Dino Minardi - Ein Espresso für den Commissario

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Commissario Marco Pellegrini hatte sich auf die ersten warmen Frühlingstage gefreut. Zu gern hätte er in Ruhe den einen oder anderen caffè in der Bar des Familienbetriebs genossen, ehe die Touristenmassen an den Comer See strömen. Denn dann ist es auch bei der Polizia di Stato mit der Ruhe vorbei. Doch die Realität holt ihn früher ein als erwartet: Ein Student wird in seiner völlig verwüsteten Wohnung aufgefunden – erwürgt. Schnell zeigt sich, dass der Tote über außerordentlich viel Geld verfügte, das weder von seinen halblegalen Vermietungsgeschäften noch von seinem dubiosen Nebenjob kommen konnte. Woher hatte er so viel Geld? Und wurde er deswegen ermordet? Commissario Pellegrini übernimmt den Fall, wird bei den Ermittlungen aber nicht nur mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert, sondern muss auch noch lästige Streitereien in seinem Team schlichten.
Die meisten Menschen würden sagen, dass es keine Gemeinsamkeiten zwischen einem Barista und einem Commissario gibt. Pellegrini war da anderer Meinung. Beide mussten gut zuhören können, in den Leuten das Bedürfnis wecken, reden zu wollen, ohne sich dessen bewusst zu sein. Die Unterschiede kamen erst zum Tragen, wenn alles gesagt war. Während der Barista die Geheimnisse gleich einem Beichtvater für sich behielt, war es die Aufgabe des Commissario, sich alle Informationen für die Ermittlungen zunutze zu machen."

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Dino Minardi

Ein Espresso für den Commissario

Pellegrinis erster Fall

Roman

Kampa

Für Priska und

ihren Schwager Pippo

Dienstag, 15. Mai

Un caffè al banco

Die Kaffeemühle übertönte kurz, aber ohrenbetäu- bend alle anderen Geräusche in der Bar della Funicolare . Marco Pellegrini schloss die Augen und inhalierte genießerisch das Aroma der frisch gemahlenen Bohnen. Er liebte es, wenn er den Tag so beginnen konnte, allein hinter der Theke des Familienbetriebs, die runden Tische und Stühle in der Bar noch leer. Nur er und Lucio Battisti im Radio, das neben den Aperol-Flaschen im Regal über der Spüle dudelte. Ein Relikt mit Kassettendeck aus den Neunzigern, von dem sich niemand so recht trennen wollte.

Der Lärm erstarb, und Lucio Battistis Stimme gewann wieder die Oberhand. Aus dem Lager rumpelte es, auf dem Hof hinter der Bar schlug jemand eine Autotür zu und startete den Motor.

Pellegrini stellte drei Untertassen auf die Theke und legte Löffel darauf. Während der caffè in zwei vorgewärmte Tassen gluckerte, räumte er mit einer Zange die soeben angelieferten cornetti in die Auslage, legte einen zusammen mit einer Papierserviette auf einen Teller und stellte ihn neben die Untertassen. Gerade als die Maschine mit einem sanften Zischen den letzten Tropfen ausspuckte, ging die Tür auf, und die beiden Carabinieri traten ein.

Emilio Folisi nahm seine Mütze ab. » Ciao , Marco! Wie geht’s?«

» Salve , Emilio, Salvatore. Setzt euch. Ich bin sofort so weit.«

Salvatore Bianchis gewaltiger Schnurrbart bebte, als er seinerseits ein »Buongiorno!« durch den leeren Raum schmetterte, dass Pellegrini meinte, die bodentiefen Fensterscheiben klirren zu hören. Er legte die aktuelle La Provincia auf die Theke und bereitete den dritten caffè zu. Bianchi ließ sich mit einem tiefen Seufzer auf den Barhocker fallen, legte einige Münzen auf die Marmorplatte und griff nach dem cornetto , während sein Kollege sich auf die Theke stützte, die Schlagzeilen überflog und gleichzeitig reichlich Zucker in seine Tasse rührte. Pellegrini begutachtete kritisch die Crema, bevor er seinen caffè in einem Zug austrank. Heiß und schwarz. Perfetto!

Keiner der Männer sagte ein Wort, bis alle drei ihren caffè getrunken hatten.

Dann grinste Pellegrini breit. »Wie lange noch, Salvatore?«

»Vier Monate und achtzehn Tage.« Bianchi warf sich in die Brust und wischte mit dem Zeigefinger die Krümel aus seinem eisgrauen Schnurrbart.

»Ich kann es auch kaum erwarten, dich endlich loszuwerden.« Folisi schüttelte den Kopf, tat wie jedes Mal, als sei er dieses Rituals überdrüssig. Er hatte noch gut zwanzig Jahre bis zur Pensionierung.

Pellegrini lachte und hob fragend die Augenbrauen.

Folisi blätterte auf die letzte Seite. »Keine Katastrophen außer den üblichen. Alles wird immer schlimmer, die Politiker schwatzen klug daher und ändern doch nichts.«

Zufrieden nickte Pellegrini. Mit etwas Glück konnte er auf einen ruhigen Tag in der Questura hoffen. Dagegen hatte er nichts einzuwenden, im Gegenteil. Nicht mehr lange, bis die Hochsaison begann und die Touristenschwärme in die Stadt einfielen. Dann war es mit der Beschaulichkeit vorbei.

Er sammelte die Tassen und das Kleingeld ein und legte den Kassenbon auf die Theke, der dort wie immer liegen bleiben würde, bis Paolo später aufräumte. Die Bar hatte offiziell bereits seit sechs Uhr geöffnet, aber um diese Zeit kamen nur wenige Gäste. Der erste Schwung Einheimischer auf dem Weg zur Arbeit war bereits wieder aufgebrochen, die Touristen waren noch nicht unterwegs. Eine der wenigen Ausnahmen waren die beiden Carabinieri. Sie bekamen ihren caffè , solange Pellegrini zurückdenken konnte, morgens um kurz nach halb acht. Und seit er vor gut vier Jahren nach einer längeren Auszeit zurück nach Brunate gekommen war, war es für ihn eine lieb gewonnene Tradition geworden, mit ihnen gemeinsam den ersten caffè des Tages zu trinken, wann immer es ihm möglich war.

Er trocknete sich die Hände an einem Küchentuch, das er ordentlich über eine Stange ausbreitete. Dabei warf er einen prüfenden Blick auf die verspiegelte Rückwand der Bar und unterdrückte den Impuls, mit den Fingern seine dunklen Locken zu glätten. Es war ohnehin sinnlos, er sollte besser mal wieder zum Friseur. Anschließend krempelte er die Ärmel nach unten und schloss die Manschetten, bevor er zuletzt nach Schlüsselbund und telefonino griff und beides in den Innentaschen seines Jacketts verstaute. Franca hatte einmal behauptet, die Jacke wäre seine Handtasche. Ganz unrecht hatte sie damit nicht, obwohl er das ihr gegenüber niemals zugeben würde.

»Paolo, ich muss los. Bis morgen«, rief er in Richtung Lager.

Der Barista erschien im Durchgang, mehrere Lavazza-Pakete im Arm. Sein » Arrivederci , Marco!« ließ keinen Zweifel daran, dass er es nicht sonderlich schätzte, Pellegrini hinter der Theke anzutreffen. Wobei sogar Paolo sich inzwischen fast an das morgendliche Ritual gewöhnt hatte und die Zeit nutzte, um angelieferte Waren zu verstauen. Mit welchem Recht könnte er auch dem Sohn des Hauses verbieten, die Espressomaschine zu bedienen?

Pellegrini legte sich das Jackett über den Arm, grüßte in Richtung der Carabinieri und verließ die Bar. Die beiden würden vermutlich noch eine Weile sitzen bleiben und einen zweiten oder gar dritten caffè trinken, bevor sie ihre Runde in Brunate begannen. Sie hatten es selten eilig. Der kleine Ort hoch über dem Comer See war nicht gerade ein krimineller Brennpunkt. Salvatore Bianchis Posten, so hieß es, würde vermutlich nicht neu besetzt werden, wenn er nach über vierzig Dienstjahren ausschied.

Pellegrini schlenderte pfeifend quer über die Straße zur Station der Standseilbahn, die Brunate mit Como verband. Der Tag war sonnig und windstill, nur ein paar Vögel zwitscherten in den Bäumen. Eine kurze Treppe führte von der Straße steil hinauf zum Bahnsteig. Die rote funicolare wartete bereits mit geöffneten Türen auf die Fahrgäste. Wie immer stieg Pellegrini vorne ein und schaute auf den See. Dunkelblau und spiegelglatt schimmerte das Wasser in der Morgensonne. Er lächelte versonnen. Was für ein Glück er doch hatte, hier zu leben und zu arbeiten.

Hätte er geahnt, dass er eine gute halbe Stunde später, kaum dass er die Questura betreten hatte, von einem aufgelösten Vice Ispettore Fabio Cunego empfangen werden würde, hätte er sich mehr Zeit gelassen.

»Mord?« Pellegrini massierte sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel. Richtig, er war Commissario der Polizia di Stato von Como, der ab und zu in der Bar seines Vaters die Espressomaschine bediente, und kein Barista. Es gab diese Tage, an denen er sich wünschte, es wäre anders, und heute schien ein solcher zu werden.

»Mord«, wiederholte Cunego und konnte seine Aufregung nur schwer verbergen.

Pellegrini sah es ihm nach. Der Ispettore war noch nicht ganz trocken hinter den Ohren, erst vor einem halben Jahr befördert worden. Er machte sich recht gut, war trotz seines jungen Alters mit Routineaufgaben schnell unterfordert. Er sollte sich nach Mailand versetzen lassen, da war vermutlich mehr los.

»Ein Student, in seiner Wohnung. Im Schlaf erwürgt.«

Pellegrini seufzte. »Gut, schauen wir uns das mal an.«

1

»Da hätten wir auch zu Fuß gehen können.« Pellegrini schlug die Tür des hellblauen Alfa Romeo zu und legte den Kopf in den Nacken, um an dem Gebäude hinaufzusehen. Die Mehrfamilienhäuser in der Gegend um die Via Napoleona lagen kaum einen Kilometer südlich der Questura. Keine besonders noble Gegend, aber bestimmt nicht die schlechteste Wohnlage.

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