»Es war nie die Menschheit als Ganzes. Es waren immer einige wenige. Die Bevölkerung wurde in Vielem nicht richtig oder gar nicht informiert.«
»Das ist keine Rechtfertigung. Ihr habt es zugelassen. Ihr habt nichts hinterfragt, was um euch herum geschah, solange es euch nur gut ging. Das macht euch genauso verantwortlich. Zudem hat jeder Mensch für sich selbst in seinem Leben immer wieder Handlungen begangen, ohne die Folgen zu bedenken.«
»Da hast du wohl recht.«
»Ihr wurdet für eure Versäumnisse mehrmals hart bestraft, sei es durch Einzelschicksale oder durch globale Ereignisse. Die Menschheit wurde durch Seuchen, Naturkatastrophen, Kriege und durch wirtschaftliche, gesellschaftliche, soziale und kulturelle Auseinandersetzungen fast ausgerottet. Ihr wurdet in eurer Entwicklung um Jahrhunderte zurückgeworfen, musstet in vielen Bereichen wieder von vorne beginnen. Aber ihr habt trotz allem nichts daraus gelernt. Heute steht die Bevölkerung der Erde wieder vor dem Abgrund. Es braucht nur noch eine einzige falsche Entscheidung und deine Projektion wird Wirklichkeit.«
Christopher starrte auf die Oberfläche der Plattform und wusste nicht, was er dazu sagen sollte.
Stattdessen fuhr Ahen fort: »Aber wir werden es nicht zulassen!«
Christopher hob den Kopf und sah ihm in die Augen. »Was soll das heißen? Wen meinst du mit wir?«
Als er den Gesichtsausdruck und den Blick seines Gegenübers sah, erschrak er zutiefst.
»Wir müssen verhindern, dass diese Partikel die Erde verlassen. Wenn es sein muss, mit Gewalt! Damals, als du Neha in ihrer Sphäre lebend wiedergefunden hast, wurden dir Informationen über die Sphären, die Nanopartikel und über die ursprünglichen Erbauer der Sphären übermittelt. Die Sphären handeln im Kollektiv, anfänglich im Auftrag der Erbauer. Ich bin lediglich der Hüter der Sphären und der Vermittler zwischen ihnen und der Menschheit.«
»Wer sind diese Wesen? Und warum ursprünglich?«
»Diese Wesen sind euch Menschen sehr ähnlich und doch ganz anders. Ihr seid zu einem Teil mit ihnen verwandt, aber auch wieder nicht. Ursprünglich, weil sie die Geschicke nicht mehr lenken.«
»Du sprichst in Rätseln.«
»Wenn ich dir zu viel verrate, könnte es den Lauf der Dinge zu stark beeinflussen.«
»Was kann ich tun?« Christopher hatte sich schon lange nicht mehr so hilflos gefühlt wie in diesem Moment. Er fragte sich immer mehr, wer eigentlich die Macht hinter den Sphären war. Anscheinend war Ahen auch nur ein Befehlsempfänger. Aber er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ihm sehr viel an der Menschheit lag.
»Versuche, die Anführer der Menschheit von der Notwendigkeit zu überzeugen, die Experimente mit den Partikeln einzustellen.«
»Das werden sie niemals tun. Die Grundlage der gesamten Mikro- und Nanoelektronik basiert auf diesen Partikeln.«
»Niemand verbietet euch, die Partikel zu erforschen und zu nutzen. Aber ihr versucht nach wie vor, sie zu verändern oder sie auf primitive Art zu klonen. Das Ergebnis kennst du.«
»Was kann ich schon ausrichten? Ich bin ein Nichts, ein unbedeutender Pilot eines kleinen Raumschiffs. Niemand wird auf mich hören.«
»Es wird hart für dich werden. Aber irgendwann wird man auf dich hören, wenn du den richtigen Weg wählst.«
»Was passiert, wenn ich versage?«
»Dann habe auch ich versagt«, antwortete Ahen mit ernster Miene. »Sogar ich weiß nicht, was dann geschieht.«
»Bist du den Erbauern der Sphären schon einmal begegnet?«
»Nein. Ich weiß nicht, wer sie sind. Aber ich weiß, dass sie existieren. Und ich weiß, dass sie hierherkommen werden, falls auch nur die geringste Möglichkeit eines Versagens unsererseits besteht.«
Ahens Gesichtsausdruck bei diesem letzten Satz ließ Christopher frösteln.
Als er erneut aufwachte, war er von einem düsteren, bläulichen Licht umgeben. Er lag in Fötusstellung auf dem dunkelblauen Boden.
»Bist du wieder wach?«, hörte er Michelles Stimme unmittelbar neben sich.
Er hob den Kopf und sah sich um. Michelle kniete neben ihm und blickte ihm besorgt in die Augen. Langsam richtete er sich auf. Dann erkannte er auch Kevin in seiner Nähe.
»Wo ist Neha?«, fragte er.
»Vor einigen Sekunden verschwunden«, antwortete Michelle. »Die Sphäre hat sie anscheinend woandershin transportiert.«
»Nur sie?«
»Wie es aussieht, ja.«
Plötzlich erinnerte sich Christopher wieder an seine schlimme Projektion. »Wir müssen sofort zur Erde zurückkehren.«
»Was ist los?«
»Die Menschheit ist in großer Gefahr!«
14.
Die fünfundzwanzig Mitglieder des Irdischen Weltrats trafen sich mit ihren Gefolgschaften in Geneva zu einer außerordentlichen Vollversammlung. Die zwölf Vertreter der Kolonien befanden sich allerdings nicht darunter. Es kam äußerst selten vor, dass sich alle irdischen Räte zu einer Besprechung trafen, eigentlich nur in Krisensituationen von globalem Ausmaß. Der Grund für das heutige Treffen war ein solcher Anlass.
Im Luftraum über sämtlichen größeren Städten der Erde hatte es seit einigen Tagen Beobachtungen von unzähligen geheimnisvollen, leuchtenden Kugeln gegeben. Und es wurden immer mehr.
Nebst dem Irdischen Weltrat war auch der komplette Militärische, Wissenschaftliche, Wirtschaftliche und Diplomatische Rat anwesend. Eine Zusammenkunft von dieser Größenordnung hatte es seit vielen Jahren nicht mehr gegeben.
Der amtierende Sprecher des Irdischen Weltrats, ein Inder namens Ashraf Desai, stand am Rednerpult der großen Tagungshalle und begrüßte die Anwesenden über das Mikrofon an seinem Headset. Nachdem er alle Personen namentlich erwähnt hatte, ließ er die einzelnen Mitglieder von ihren Beobachtungen berichten. Dieser Prozess erstreckte sich über einen Zeitraum von mehreren Stunden.
Danach übergab der Sprecher des Weltrats das Wort an Alan Simmerman, dem Leiter des Wissenschaftlichen Rats, zu einer ersten Einschätzung.
»Meine Damen und Herren. Aus den soeben geschilderten Beobachtungen und anhand unserer ersten, allerdings noch ungenauen Analysen, können wir davon ausgehen, dass es sich bei all diesen Kugeln um dieselben Objekte handelt. Nach ersten Schätzungen besitzen alle die gleiche Größe und strahlen dieselbe Lichtstärke aus. Dabei handelt es sich nicht um reflektiertes Licht der Sonne oder anderer Quellen. Diese Kugeln besitzen eigenes Licht. Andere Strahlungen, beispielsweise Radioaktivität, Gammastrahlung oder die für uns schädliche UV-Strahlung, konnten wir bisher nicht feststellen. Man kann sagen, dass dieses Licht den Sonnenstrahlen, wie wir sie auf der Erdoberfläche empfangen, sehr ähnelt.«
»Heißt das, diese Kugeln sind ungefährlich?«, fragte ein Mitglied des Weltrats.
»Was Strahlungen angeht schon. Über alles andere befinden wir uns noch im Unklaren. Wir wissen nicht, welche Energieform sie nutzen, aus welchem Material sie bestehen, woher sie kommen und warum sie hier sind. Sämtliche Observatorien weltweit führen Messungen und Analysen durch und vergleichen sie untereinander. Wir erwarten für morgen die ersten Resultate.«
»Wurden irgendwo feindliche Aktivitäten festgestellt?«, fragte ein Mitglied des Militärischen Rats.
»Bisher nicht. Sie sind einfach aufgetaucht und verharren in ihren Positionen.«
»Konnten Sie an deren Oberfläche irgendwelche Waffensysteme entdecken?«
»Dies mag etwas eigenartig klingen, aber wir konnten bisher gar keine Oberfläche ausmachen. Zumindest keine materielle. Dadurch konnten wir in ersten Messungen weder Größe noch Positionshöhe ermitteln. Unsere Messstrahlen gingen einfach durch sie hindurch.«
Unter den Ratsmitgliedern brach ein Raunen aus, gefolgt von leisen Diskussionen.
»Und was ist das, was wir sehen?«, erklang es aus dem rechten Teil des Saals.
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