Sie sah ihn an. »Und …?«
»Ja, Tante Emilie?«, fragte Ernst Moritz Tschello schmelzend wie ein Bariton.
»Guck nicht so wie ein Schoßhündchen.« Sie lachte schrill auf. »Hol mir was zu trinken! Aber was Vernünftiges. Dass ich in Wassersuppe geboren bin, heißt ja nicht, dass ich nur Wasser trinke.«
Schon war Ludolf Tschello mit einem Glas Sekt zur Stelle.
»Zum Wohl, liebe Tante Emilie.«
»Danke.« Sie leerte das Glas mit einem Zug und rülpste ungeniert.
Auguste Tschello zuckte zusammen, denn sie wusste, dass Tante Emilie unter dem litt, was die Ärzte schamhaft als Flatulenz bezeichneten. Hoffentlich hatte sie nicht wieder Erbsen gegessen wie bei ihrem letzten Besuch.
»Dürfen wir fortfahren?«, fragte Ernst Moritz Tschello.
»Wohin denn?« Sie lachte schallend über ihren nicht eben originellen Scherz.
Ihr Neffe musste ernst bleiben. »Ins Land der Träume, liebe Tante.«
»Gut, sehr gut. Aber spielst du heute bitte mal das Instrument, das nach dir benannt worden ist?« Jetzt lachte sie so dröhnend, dass der empfindsamen Dichterin neben ihr das Trommelfell zu platzen drohte.
»Wir haben leider kein Cello zur Hand«, bekannte ihr Neffe und senkte den Blick. »Aber wenn ich dir zu Ehren ein kleines Stück von Mozart auf der Geige …«
»Ja, ich bitte darum.«
Während sich Ernst Moritz Tschello mühte, sein Bestes zu geben, schloss Tante Emilie die Augen und ließ in regelmäßigen Abständen leise einen entfleuchen. Als ihr Neffe die Extradarbietung ihr zu Ehren beendet hatte, erwachte sie und klatschte begeistert.
Ernst Moritz Tschello begann nun von vorn: »Für die zweite Darbietung dieses Abends, liebe Freunde des Hauses, liebe Anverwandte, liebste Tante Emilie, haben meine Frau Gemahlin und ich keine Kosten und Mühen gescheut, um bei den Göttern ein Wesen loszueisen, das ihr absoluter Liebling ist und das sie mit einer Stimme ausgestattet haben, wie sie seit Jenny Lind, der schwedischen Nachtigall, keiner Frau mehr geschenkt ward. Nun, eine Frau ist unsere Cécile noch nicht, aber sie singt und tanzt bereits jetzt so hinreißend, dass sie zu sehen uns jetzt schon viele Silbergroschen wert sein dürfte. Da wir aber heute Abend keinen Eintritt nehmen, möchte ich Sie bitten, das Geld, das Sie durch unsere Einladung sparen, in diesen Zylinderhut hier zu werfen. Alles kommt dem Waisenhaus zugute, das meine Frau unter ihre Fittiche genommen hat … Nun aber zu einem Stern am Theater- und Konzerthimmel, der gerade am Aufsteigen ist und in wenigen Jahren alles überstrahlen wird: unsere Cécile.«
Die Kleine war wirklich hinreißend, nur vertat sie sich bei einem von Ernst Moritz Tschello vertonten Goethe-Gedicht – Die Freude – und sang in der zweiten Strophe, wo es heißen musste: Sie schwirrt und schwebet, rastet nie , wohl irritiert vom Anblick eines vom Rost zerfressenen Säbels an der Wand, mit dem einer von Tschellos Vorfahren 1758 bei Zorndorf gekämpft hatte, ganz deutlich »rostet nie«. Die Zuhörerinnen und Zuhörer, die den vorher ausgeteilten Text vor sich liegen hatten, lachten zwar nur verhalten und keineswegs höhnisch, doch das reichte, die junge Künstlerin die Contenance verlieren zu lassen. Sie stürzte aus dem Raum, um sich irgendwo zu verkriechen. Die Türen, die vom Flur abgingen, waren verschlossen – bis auf eine, und die gehörte zu Ludolf Tschellos Kinder- beziehungsweise Arbeitszimmer. Da man vor Beginn des Konzerts die Lampe gelöscht hatte, übersah sie die Einradbahn, die auf dem Teppich verblieben war. Ein Krachen – und Cécile hatte mit ihrem rechten Füßchen die große Erfindung der beiden Knaben zermalmt.
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