Horst Bosetzky
Die Bestie vom
Schlesischen Bahnhof
Roman
Jaron Verlag
Taschenbuchausgabe
1. Auflage dieser Ausgabe 2013
© 2004 Jaron Verlag GmbH, Berlin
Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und aller
seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlages erlaubt.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen,
Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien.
www.jaron-verlag.de
Umschlaggestaltung: Bauer + Möhring, Berlin,
unter Verwendung eines Fotos des Landesarchivs Berlin
(Waldemar Titzenthaler: Engelbecken, 1925)
Satz: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin
ISBN 9783955522001
Cover
Titel Horst Bosetzky Die Bestie vom Schlesischen Bahnhof Roman Jaron Verlag
Impressum Taschenbuchausgabe 1. Auflage dieser Ausgabe 2013 © 2004 Jaron Verlag GmbH, Berlin Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und aller seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlages erlaubt. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien. www.jaron-verlag.de Umschlaggestaltung: Bauer + Möhring, Berlin, unter Verwendung eines Fotos des Landesarchivs Berlin (Waldemar Titzenthaler: Engelbecken, 1925) Satz: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin ISBN 9783955522001
Prolog Prolog Ein Wurstverkäufer rückt ins Blickfeld
Eins
Zwei
Drei
Erster Teil
Vier 1870
Fünf 1876 bis 1879
Sechs 1880 bis 1895
Sieben 1896 bis 1899
Acht 1899 bis 1913
Neun 1914 bis 1921
Zweiter Teil
Zehn 12. Januar 1921
Elf 4. April bis 24. Mai 1921
Zwölf 28. Mai 1921
Dreizehn Juni und Juli 1921
Dritter Teil
Vierzehn August 1921
Vierter Teil
Fünfzehn 13. und 14. August 1921
Sechzehn 17. August 1921
Siebzehn 18. August 1921
Fünfter Teil
Achtzehn 20. August 1921
Neunzehn 21. August 1921
Zwanzig 22. und 23. August 1921
Einundzwanzig 24. bis 27. August 1921
Zweiundzwanzig 8. bis 28. September 1921
Sechster Teil
Dreiundzwanzig 24. Oktober 1921
Vierundzwanzig 30. Juni bis 3. Juli 1922
Fünfundzwanzig 5. Juli 1922
Epilog
Sechsundzwanzig
Anhang
Eins
Zwei
Schlussbemerkung und Danksagung
Literatur
Ein Wurstverkäufer rückt ins Blickfeld
Der Mann riss das Brotmesser vom Tisch und kam auf sie zu. »Du weißt doch: Bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt!«
Grete Tschau sprang aus dem Bett und raffte ihre Kleider zusammen. »Hör auf, sonst schreie ich das ganze Haus zusammen!«
»Entweder du machst, was ich von dir will – oder du fliegst raus hier. Und gehst draußen vor die Hunde.«
Sie war schon an der Tür. »Zur Polizei werd’ ich gehen.«
»Wenn du das machst – dann geht’s dir wie …«
Sie sprang ins Treppenhaus und hastete nach unten. Erst im Hausflur zog sie sich an. Ihr Erschrecken hielt sich in Grenzen. Die meisten Männer, die den Krieg überlebt hatten, waren nicht mehr ganz richtig im Kopf. Und Maximilian hatte nicht nur zu lange vor Verdun gelegen, er war auch noch Theaterregisseur. Zuzutrauen war ihm alles: dass er es nur noch machen konnte, wenn er Blut sah – und dass er bereits einige Freundinnen zugrunde gerichtet hatte.
Sie hätte wirklich zur Polizei gehen sollen. Doch sie tat es nicht, denn wenn sie Pech hatte, brachte man sie nach Breslau zu ihren Eltern zurück. Und das war viel schlimmer, als in Berlin auf der Straße zu sitzen. So wie sie gebaut war, fand sie immer einen, der sich ihrer annahm.
Grete trat auf den Bürgersteig hinaus. Um zu wissen, wo sie war, musste sie erst zur nächsten Ecke gehen und auf das Straßenschild schauen. Das Pflaster schien ein wenig zu schwanken. Mehrmals stolperte sie. Der viele Sekt. Nach knapp 100 Metern war sie an einer großen Kreuzung angekommen und las Kottbusser Damm und Pflügerstraße . Sie überlegte. Nach Neukölln war sie also gestern Nacht geraten. Wenn sie nun noch gewusst hätte, welcher Tag heute war … Sie blieb vor einem Zeitungskiosk stehen und las: Mittwoch, 17. März 1920 . Und ansonsten: Immer noch der ganze Schlamassel. Mist! Seit letztem Sonnabend ging das nun schon so. Die Erlebnisse der letzten Tage überfluteten sie:
Sie fährt mit der Stadtbahn zum Metropol-Theater, um dort vorzusprechen, und sieht sich plötzlich inmitten von Stacheldrahtverhauen, Maschinengewehren, Feldgeschützen und kampfbereiten Offizieren und Soldaten. An den Gebäuden flattern die alten schwarz-weiß-roten Fahnen des versunkenen Kaiserreichs und die Kriegsflagge der Marinebrigade. Automobile jagen vorüber. Sie kann sich gerade noch in ein Café flüchten. Dann gibt es den Generalstreik. Bahnen und Busse fahren nicht mehr. In den Abendstunden liegen die Straßen in tiefer Dunkelheit. Die großen Gasthausbetriebe haben geschlossen. Immer wieder fallen Schüsse. Vor den Bäckerläden bilden sich endlose Schlangen. Die Brotvorräte sind schnell ausverkauft. Die Warenhäuser schließen. In vielen Stadtbezirken versagt die Wasserversorgung, und auch der Gasdruck wird immer schwächer. Schnell spricht sich in der ganzen Stadt herum, wo was passiert ist. In der Schloßstraße in Steglitz gibt es die ersten Todesopfer. Bei einem Streit zwischen Militär und Zivilisten werden acht Menschen getötet. Am Halleschen Tor überfällt die Menge einen Militärlastwagen mit Soldaten. Diese feuern. Mehrere Tote bleiben zurück, darunter ein junges Mädchen. Am Friedrich-Wilhelm-Platz werfen Soldaten Handgranaten. In allen Stadtteilen werden Menschen erschossen. Leuchtkugeln steigen zischend in die Nacht, Scheinwerfer suchen den verdunkelten Himmel nach Flugzeugen ab.
Grete Tschau war ein wenig ratlos. Konnte man sich schon wieder in die Innenstadt wagen oder nicht? Sie fragte den Zeitungshändler, der heute nicht viel zu verkaufen hatte.
»Können Se nich, junge Frau, können Se noch nich. Der Kapp und der Lüttwitz, die ham zwar bald ihren letzten Pup gewinselt, aba janz aus isset mit die noch nich. Und die Kommunisten schießen ooch noch.«
Trotzdem machte sie sich auf den Weg. Den Kottbusser Damm hinauf Richtung Hochbahn. In der Brückenstraße wohnte ihre Freundin Valeska, und von der war am ehesten Hilfe zu erwarten. Als Langschläferin war sie sicher noch zu Hause. Grete überlegte, wie lange sie zu Fuß zur Jannowitzbrücke brauchen würde. Kottbusser Tor, Adalbertstraße, Köpenicker Straße, Brückenstraße … Das waren um die vier Kilometer, also bei ihrem Tempo eine gute Stunde. Bahnen und Busse fuhren ja noch immer nicht. Sie schimpfte leise vor sich hin. Aber es war ja erst kurz vor neun. »Auf, auf!« Sie machte sich Mut. Ihr erstes Ziel war die Kottbusser Brücke. Trotz ihrer hochhackigen Schuhe ging es ganz gut. Zu Hause in Breslau hatte sie viel laufen müssen. Bis sie davongelaufen war … »Na bitte!« Sie war zufrieden mit sich.
Doch schon kurz hinter dem Landwehrkanal war es vorbei mit dem raschen Vorankommen, denn hin zum Hochbahnviadukt gab es einen riesigen Menschenauflauf. An der Einmündung der Admiralstraße hatten sie sogar eine Barrikade errichtet. Grete Tschau wollte sich durch die Menge hindurchquetschen, blieb aber bald stecken. Zu dicht waren die Leiber aneinander gedrängt. Vorn gab es Schreie. Eine Patrouille der Sicherheitspolizei war dabei, die Menge auseinanderzutreiben, wurde aber ganz offensichtlich zurückgeschlagen. Wie von einer Riesenwelle wurde Grete Tschau ein paar Meter nach hinten geworfen. In Panik flüchtete sie sich in einen Hauseingang. Gerade rechtzeitig, um nicht von einem Lastwagen erfasst zu werden, auf dem Reichswehrsoldaten anrückten.
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