»Wolln Se ma vergackeiern?«
»Nein, um Gottes willen. Dies ist eine ganz neue Erfindung: die Konservenbüchse. In ihr kann man Fleisch und Gemüse über lange Zeit hinweg frisch und genießbar halten. Probieren Sie es morgen bitte einmal aus!«
»Gott, wenn das unsere Künftigkeit sein soll!« Die Hausfrau rang die Hände. »Nicht mehr auf den Markt gehen, nicht mehr selber kochen … Mit diesem Geschenk beleidigst du mich, lieber Theodor.«
»Das lag mir wirklich fern, liebe Magdalena. Ich weiß doch, wie köstlich du selber kochen kannst.«
»Du Federleser, du!«
»Ich – und ein Schmeichler? Oh, wenn ich das nur besser könnte!« Theodor Blumenthal legte seinen Löffel in den Teller und wischte sich den Mund ab. »Wisst ihr, wen ich gestern zufällig auf der Schlossbrücke getroffen habe?«
»Nein.« Seine Schwägerin sah ihn hochachtungsvoll an.
»Doch nicht etwa Seine Majestät?«
»Nein, nur den Grasmuck. Den kennt ihr auch, der hat ein Fuhrgeschäft in Rixdorf, züchtet aber vor allem Pferde für unsere Droschken und Pferdebahnen. Und der sagt, dass die Droschken billiger werden, weil es immer mehr Pferdebahnen gibt.«
Berthold Blumenthal lachte. »In einigen Jahren wird es den Pferdebahnen genauso ergehen: Da werden auch die billiger werden müssen, weil die Leute mit den elektrischen Bahnen fahren.«
»Das möge unser Herrgott verhindern!«, rief Magdalena Blumenthal. »Denn die Elektrizität ist vom Valant.«
»Wovon?«, fragte ihr Schwager.
»Vom Teufel.«
»Warum denn das? Der Blitz ist doch auch ein Stück Natur.«
Magdalena Blumenthal ließ sich nicht beirren. »Aber nicht die Ströme, die der Mensch selbst erzeugt. Mein Arzt hat mir erklärt, dass sie in das Hirn des Menschen eindringen und uns krank machen. Darum flehe ich dich an, Berthold, des Glückes unserer Kinder wegen: Nutze deine Stellung bei Baurat Hobrecht, und tue alles, um diese elektrischen Bahnen, dieses Teufelszeug, zu verhindern, ob sie nun auf, über oder unter der Straße fahren sollen!«
Was blieb Berthold Blumenthal anderes übrig, als zu nicken und ihr zu versprechen, sein Bestes zu tun. Um seine Frau von diesem heiklen Thema abzulenken, kam er auf das zu sprechen, was die Berliner Verwaltung derzeit stark beschäftigte: unter anderem, dass die Charlottenburger sich mit Händen und Füßen dagegen wehrten, eingemeindet, also vom Moloch Berlin verschluckt zu werden.
Theodor Blumenthal lachte. »Sind wir ja selber schuld dran«, sagte er.
In diesem Augenblick fing im Nebenzimmer ihre Jüngste an, fürchterlich zu schreien, und Magdalena ging auf ihren Mann los. »Siehst du, Berthold, ich hab dir ja gleich gesagt, dass sie davon krank werden wird.«
»Wovon denn krank?« Berthold Blumenthal konnte sich keinen rechten Reim auf alles machen.
»Na, gestern im Rathaus, als ich dich besucht habe.«
»Was war denn da?«
»Da habe ich mit dem Kind eine Weile unter den Sedan-Birnen gestanden.« Das war die volkstümliche Bezeichnung für die elektrische Beleuchtung, die man 1878 zur Erinnerung an die glorreiche Schlacht von Sedan, die auf den 1. und 2. September des Jahres 1870 datierte, im Berliner Rathaus installiert hatte. »Zehn Minuten nur – und das hat schon gereicht, das Kind … Meine arme Betti!« Sie stürzte aus dem Zimmer.
Formal lag die Entscheidung, ob eine Hoch- oder Untergrundbahn gebaut werden durfte, bei der Baupolizei, die streng über die Einhaltung aller Vorschriften und Bauordnungen wachte, aber natürlich verständigte sich der Polizeipräsident vorher mit dem Magistrat, so dass Baurat Hobrecht sofort in Rage geriet, als Werner Siemens den ersten Entwurf einer elektrischen Schnellbahn vorgelegt hatte.
»Ich lasse mir doch von diesem Elektrotechniker mein schönes Stadtbild nicht verschandeln!«
»Sehr wohl …« Berthold Blumenthal konnte nicht anders, als seinem Vorgesetzten grundsätzlich recht zu geben, aber er wagte auch, ein klein wenig zu räsonieren. »Andererseits wäre es nicht schlecht, ein Pendant zur Stadtbahn zu schaffen. Wenn die in zwei Jahren eröffnet wird, haben wir in Ost-West-Richtung eine ausgezeichnete Bahnverbindung und können die Menschenmassen mühelos vom Schlesischen Bahnhof nach Charlottenburg befördern, in Nord-Süd-Richtung aber verbleiben wir auf dem Stande der Droschken und Pferdebahnen.«
James Hobrecht reagierte unwirsch. »Blumenthal, das ist doch ein unzulässiger Vergleich! Die Stadtbahn hat eine eigene Trasse, ihre Züge dampfen nicht durch enge und belebte Straßen.«
»Darum will Siemens ja auch in die Höhe gehen.«
Das Konstruktionsbureau von Siemens & Halske hatte eine sogenannte Pfeilerbahn geplant, die vom Weddingplatz über Chaussee- und Friedrichstraße zum Belle-Alliance-Platz führen sollte. Nach dem Vorbild New Yorks sollte die Bahn nach Richtungen getrennt rechts und links des Fahrdamms angelegt werden, und zwar an der »Trittoirkante«. Der Bahnkörper ruhte dabei auf 4,50 Meter hohen Pfeilern, einstieligen Stützen.
»Durch eine Plattform sollen diese Stützen zu einem durchgehenden Schienenstrang verbunden werden«, erläuterte Blumenthal den Entwurf.
»Und wenn ein Wagen entgleist?«, fragte Hobrecht, um gleich selbst die Antwort zu geben. »Dann stürzt der ganze Zug auf die Straße, und wir haben Dutzende von Toten, Fußgänger wie Fahrgäste. Alle zerquetscht und verstümmelt.«
»Auch Schiffe können untergehen – und trotzdem wagen sich die Leute mit ihnen auf die Ozeane hinaus«, wagte Blumenthal einzuwenden. »Und für die Sicherheit ist gesorgt, denn der gesamte Unterbau wird aus Eisen gefertigt. Die Stützen werden aus Gusseisen sein und mit Blütenkapitellen verziert. Alles aus der Schinkel-Bötticher-Schule.«
»Schön und gut, aber …« James Hobrecht zeigte sich von alldem wenig beeindruckt. »Die Pfeilerbahn nimmt den Geschäftsleuten das Licht und ihren Läden jede Wirkung. Jeder blickt nur nach oben, wo die Bahn dahinzieht, und nicht mehr in ihre Schaufenster. Schlimmer noch: Sie müssen unter Umständen ihre Ladenlokale aufgeben, wie auch die Mieter in den ersten Etagen ihre Wohnungen.«
Das bezog sich auf die Angaben, die Siemens im Hinblick auf die Gestaltung der Haltestellen gemacht hatte: Was das Aufsteigen an den Stationen betrifft, so würde es wohl das Beste sein, dass man an den geeigneten Stellen einen Laden in erster oder zweiter Etage mietete. Dieser würde ein Wartezimmer bilden und durch eine Brücke mit der Bahn verbunden werden. Da nicht mehr als fünfzehn Personen in einem Wagen Platz haben sollten, sei mit größeren Publikumsansammlungen nicht zu rechnen. Deshalb bräuchten keine großen Warteräume eingerichtet zu werden. Auf freien Plätzen würde man in leichter Eisenkonstruktion eine Treppe oder Galerie anlegen können, die als Perron diene.
»Und alles versperrt einem die Sicht!«, rief Hobrecht. »Und wenn man flaniert, leidet man unter dem Höllenlärm, den die Züge machen. Nein, mein Lieber, diese Pfeilerbahn ist reine Narretei. Und wozu all dieser Aufwand und all diese Beeinträchtigungen, wenn ein Wagen nur fünfzehn Menschen aufnehmen kann! Das ist doch absoluter Unsinn, das schafft man doch auch mit dem Pferdebus und der Pferdebahn.«
»Zu wenige Passagiere, sagen Sie …« Berthold Blumenthal reizte es, seinen Vorgesetzten ein wenig aus der Fassung zu bringen – und das gelang ihm immer am besten, wenn er Hobrechts heilige Kuh, seine Kanalisation, ins Spiel brachte. »Wesentlich mehr Menschen kann man natürlich befördern, wenn man lange Züge unter der Erde fahren lässt, wie man das in London seit Jahren praktiziert.«
Da schlug James Hobrecht mit der flachen Hand auf den Tisch. »Nur über meine Leiche! Ich lasse mir doch meine ganze herrliche Kanalisation nicht durch diese Röhrenbahnen verderben!«
»Soll also der Antrag der Firma Siemens & Halske abschlägig beschieden werden?«, fragte Blumenthal routinemäßig, obwohl das völlig unnötig war.
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