„Und was ist mit meiner Frau, muss die auch so ein … ein Reinigungsdings über sich ergehen lassen?“
Ich sah, wie Charlotte unruhig wurde.
„Kümmere dich nicht um deine Frau, sie geht ihren eigenen Weg.“
Jeschua schüttelte den Kopf: „Was ist bloß passiert?“, seufzte er, „das schönste Geschenk, die Vergebung, fürchtet ihr wie der Teufel das Weihwasser. Ich dreh mal eine Runde durch eure Siedlung, dann hast du Zeit, dir alles einmal gründlich zu überlegen.“
Er stand auf und ging los, ohne sich umzudrehen.
Wir waren zunächst sprachlos. Die Sache, die so spektakulär angefangen hatte, ging plötzlich ans Eingemachte.
„Na ja“, meinte Charlotte, „er hat ja irgendwie recht, oder? Manche Leute putzen vor jeder Reise ihre Wohnung oder ihr Auto, aber an die Seele denkt niemand.“
„Seele, Seele“, murmelte ich. „Klar, die Katholiken glauben noch daran, aber in der protestantischen Theologie vermeidet man den Begriff. Der Mensch sei eine Einheit, heißt es. Was man früher Seele nannte, bedeutet einfach die lebendige Seite des Menschen, eine Funktion des Körpers. Gott schafft nach dem Tod alles neu …“
„Ach so“, führte Charlotte meine Gedanken weiter, „und wenn es keine richtige Seele gibt, dann muss sie auch nicht gereinigt werden?“
„So ähnlich. Ich dachte immer, die Vergebung ist eine Beziehungssache und nicht eine Bürste mit himmlischer Seife.“
„Aber wenn Jeschua das sagt? Er muss es schließlich wissen. Als er zu dem Verbrecher am Kreuz sagte: Heute wirst du mit mir im Paradies sein , dann hat er doch damit gerechnet, dass die gesamte Persönlichkeit dieses Mannes nach dem Tod woanders sein würde, oder nicht?“
„Ja schon. Seele – das ist ein völlig veralteter Begriff und …“
Ich hörte mit Sprechen auf, weil Jeschua wieder auftauchte.
„Na? Hast du dich entschieden?“
Ich seufzte. „Wir diskutieren gerade, ob es überhaupt eine Seele gibt, die dreckig werden kann.“
„Richtig, die Seele ist inzwischen aus der Mode gekommen. Vielleicht hilft es ja, wenn ihr sie mal kurz sehen könnt. Dazu muss ich eure inneren Augen öffnen. Augenblick mal.“
Ich wollte gerade sagen, wie das vor sich gehen sollte, da veränderte sich plötzlich die Umgebung. Ich war geplättet.
Neben mir und um uns herum standen eine Menge menschlicher Gestalten. Einige von ihnen leuchteten in wunderbaren Farben, andere sahen dunkel aus oder hatten eine dumpfe Ausstrahlung.
Ich sah zu meiner Frau hinüber und merkte, dass ihr Körper von innen leuchtete und einen silbrigen Glanz versprühte.
„Die meisten Seelen um euch herum können euch jetzt nicht sehen, eure Körper sind für sie zu grob und verdecken sie. Natürlich gibt es keine Seele ohne Körper. Die Leute um euch herum haben einen geistigen Körper. Einige von ihnen sind Engel mit einem himmlischen Körper, die können euch sehen.“ Er nickte einem dieser leuchtenden Gestalten zu und redete zu ihm in einer fremden Sprache, die sich seltsam anhörte, reich an Vokalen und sehr melodisch.
Und schon war die Versammlung von Seelen verschwunden.
„Dass ihr das sehen konntet, ist eine Ausnahme“, sagte Jeschua. „Es ist nicht gut, die anderen dauernd wahrzunehmen, das würde euch nur verwirren. Aber habt ihr die dunklen, dumpfen Gestalten gesehen?“
Wir nickten.
„Das waren Seelen, die nicht das Vergnügen hatten, durch die Vergebung gereinigt zu werden. Es ist ungefähr so, als ob du wochenlang im Garten gearbeitet hast, aber es gibt keine Dusche weit und breit. Also, was ist? Wollt ihr generalüberholt werden oder nicht?“
Die Sache mit den dunklen Seelen hatte mich überzeugt. „Okay, ich bin bereit.“
„Ich auch“, sagte Charlotte.
Jeschua fuhr sich durch die Haare, blickte mich an und gab mir dann den Tipp, ein leeres Blatt zu nehmen, mich zurückzuziehen und alles aufzuschreiben, was mir an Dingen einfiel, die in letzter Zeit nicht richtig gewesen, die schief gelaufen sind und die ich nun bereute.
Dann sollte ich mit dem vollgeschriebenen Blatt zu ihm kommen, und er würde mir vergeben.
Ich dachte zuerst, wie soll ich bloß dieses Blatt füllen? Aber als ich dann anfing, allen vergangenen Mist aufzuschreiben, der mir in den Sinn kam, wurde es immer mehr, und ich musste das Blatt umdrehen. Menschen kamen mir in den Sinn, mit denen ich mich verkracht hatte, kleine Unehrlichkeiten, Notlügen, verpasste Gelegenheiten, wo ich eigentlich etwas hätte tun sollen und es nicht getan hatte, die scheinbar harmlose Fahrerflucht nach einem verunglückten Einparken und so weiter. Irgendwann versiegten die Einfälle, und ich ging zu Jeschua und wollte ihm mein Blatt geben.
„Laut vorlesen“, sagte er nur.
„Aber du weißt doch schon alles.“
„Egal. Das gehört zum Ritual.“
Ich überwand mich und las es ziemlich leise vor.
Als ich fertig war, fragte er: „Bereust du das alles?“
„Klar, und wie.“
„Gut. Ich vergebe dir.“
Dann war es still. Zuerst dachte ich. Und jetzt? War ja alles ein bisschen prosaisch. Ich spürte nichts.
„Woher weiß ich denn, dass es vergeben ist?“, fragte ich.
„Abwarten“, sagte Jeschua.
Ich wartete, und dann kam eine Woge über mich wie eine riesige Welle, und mir kam es vor, als ob der ganze Dreck weggespült wurde.
Mein Inneres fühlte sich frisch an, und ein Friede breitete sich in meinem Körper aus wie ein Orgelton, der immer reicher und klangvoller tönte.
Ich fing an zu weinen und konnte gar nicht aufhören. Aber es war ein gutes Weinen.
Ich stand auf, wankte nach draußen in den Garten und setzte mich auf eine Bank. Ich brauchte frische, kühle Herbstluft. Hinter mir hörte ich wie Jeschua sagte: „Und das lasst ihr euch entgehen?“
Ich war nun also generalüberholt oder gereinigt und bereit, meinen Reisedienst mit Jeschua anzutreten. Meine Frau war dann nach mir dran, kam ziemlich aufgelöst aus dem Reinigungszimmer und setzte sich neben mich. Stumm blickten wir über den Rasen und sahen, wie durch die Lavendelbüsche der Wind strich.
Seltsam, dachte ich, da zitieren wir Christen regelmäßig im Glaubensbekenntnis den Satz: Ich glaube an die Vergebung , aber kaum jemand wendet ihn praktisch an.
Mir fiel eine Geschichte ein, die ich mal gelesen hatte. Ein Seifenfabrikant hatte eine neue Seife auf den Markt geworfen und verdiente ganz gut damit. Als er einen Priester traf, kam er mit ihm ins Gespräch und sagte: „Mit dem Glauben ist es ja so eine Sache. Seit zweitausend Jahren gibt es nun schon den christlichen Glauben, aber hat sich deshalb irgendetwas Grundlegendes geändert? Es gibt immer noch genügend Elend. Die Menschen ändern sich eben nicht. Meine Seife hat mehr verändert als zweitausend Jahre Kirchengeschichte.“
Der Priester sagte nur: „Gut. Sie haben eine neue Seife entwickelt, und jetzt schauen Sie sich mal dieses Kind an: total dreckig.“
Der Seifenfabrikant lachte: „Aber man muss doch die Seife anwenden.“
„Genau“, nickte der Priester, „man muss den Glauben anwenden.“
Wie gesagt: Wir waren jetzt startklar und gespannt, wie es mit uns und Jeschua weitergehen sollte.
Die Terrassentür öffnete sich, und Jeschua setzte sich auf einen der Stühle neben uns. Er hatte ein Tablett mit Tassen, etwas Gebäck und eine Kanne Tee. Außerdem hatte er unsere Jacken mitgebracht. Allmählich wurde es kühl nur im Hemd. Wir gossen uns Tee ein und tranken einen Schluck.
Jeschua gab mir eine Kreditkarte und sagte mir: „Besorge uns zwei Flüge nach New York.“
„Hin und zurück?“
„Nein, nur einfach. Wir müssen die Rückreise spontan buchen. Und dann nimmt sich Charlotte für das kommende Wochenende kurzfristig einen Flug, um uns zu treffen. Ich lasse ihr auch eine Kreditkarte zurück.“
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