Die weiterführenden Untersuchungen, die den Begehungen folgten, erlaubten es, den Ablauf des Geschehens zu rekonstruieren. Danach war eine römische Armee vermutlich bis zur Elbe vorgestoßen. Weil bei deren Rückmarsch eine schmale Senke zwischen dem Harzhorn im Westen und dem unwegsamen Bergland im Osten passiert werden musste, blockierten die Germanen den Weg, um aus sicherer Position heraus die Römer angreifen zu können. Jedoch konnten die Römer aufgrund der überlegenen Waffentechnik und eines geschickten Umgehungsmanövers den Durchbruch erzwingen und in verschiedenen Einzelgefechten die germanischen Gegner besiegen. Damit war der Rückweg frei. (Abb. 16)
Abb. 16 Northeim. Die Landschaft am Harzhorn.
In den nächsten Jahren wird man den Verlauf der Schlacht noch viel genauer darstellen können. Drei Voraussetzungen für diese Prognose spielen dabei eine wichtige Rolle: Das Schlachtfeld lag seit den Geschehnissen so abseits, dass es nie bebaut oder auch nur als Ackerland genutzt wurde. Daneben bot der kalkhaltige Boden optimale Voraussetzungen für die Konservierung von Metallobjekten. Und schließlich muss man das Verhalten der damaligen Konfliktparteien näher betrachten. Die siegreichen Römer wollten ihren Erfolg nicht aufs Spiel setzen, indem sie sich um das Aufräumen eines Schlachtfeldes kümmerten, während die Germanen, die sonst gerne das Schlachtfeld plünderten, den Ort ihrer Niederlage aus religiösen Gründen oder des Aberglaubens wegen mieden.
Noch heute lassen sich die Positionen der Gegner genau nachvollziehen. Dort, wo viele römische Pfeilspitzen gefunden wurden, befanden sich die Ziele der Römer, die germanischen Stellungen. Genauso lässt sich aus der Verteilung der Schuhnägel ein römisches Bewegungsprofil ableiten.
Die Ausgräber stellten sich natürlich sofort die Frage, mit welchem geschichtlichen Ereignis diese Schlacht verbunden gewesen sein könnte. Eine Antwort gaben die Funde: Unter den zahlreichen römischen Münzen stammten die jüngsten aus dem Jahr 228 n. Chr.; damit musste die Schlacht nach diesem Datum stattgefunden haben. Im Jahr 2011 kam ein weiterer Schlüsselfund ans Tageslicht: Eine hervorragend erhaltene römische Pionieraxt konnte durch eine Inschrift dem Material der 4. Legion zugeordnet werden, die 234/235 n. Chr. zu den in Mainz ansässigen Truppen gehörte. Damit war klar, dass hier ein Zeugnis jenes Feldzuges vorlag, den Severus Alexander geplant, Maximinus Thrax aber durchgeführt hatte. Die Dimensionen deuten auch darauf hin, dass Rom sein Interesse am freien Germanien im 3. Jh. n. Chr. noch nicht verloren hatte und vielleicht ein Abschnitt unserer Geschichte neu bewertet werden muss.
Das Schlachtfeld kann mit Führern besichtigt werden. Weitere Informationen: www.roemerschlachtamharzhorn.de/besucher-information.html
Literatur
F. Haedecke, Roms vergessener Feldzug – Das Schlachtfeld am Harzhorn, in: A. Hesse (Hrsg.), Deutschlands Supergrabungen (2012) 76–83; M. Geschwinde – P. Lönne, Die Spur der Sandalennägel. Hintergründe zur Entdeckung eines römischen Schlachtfeldes. AiD 2009/2, 38–39; M. Geschwinde – H. Haßmann – P. Lönne – M. Meyer – G. Moosbauer, Roms vergessener Feldzug. Das neu entdeckte römische Schlachtfeld am Harzhorn in Niedersachsen, in: Varusschlacht im Osnabrücker Land GmbH – Museum und Park Kalkriese (Hrsg.), 2000 Jahre Varusschlacht II, Konflikt (2009) 228–232.
Höhlen – geheimnisvolle Welten unter der Erde! Noch heute geht von diesen Räumen eine große Faszination aus. Dafür gibt es viele Gründe: Mancher Besucher erfreut sich einfach an den Naturwundern, die Höhlen bieten können, andere wiederum werden von ihrer Neugier angetrieben, in Bereiche vorzustoßen, die vielleicht noch nie ein Mensch betreten hat. Vor Tausenden von Jahren aber hatten Höhlen eine ganz andere Funktion. Sie boten als Wohnraum Schutz gegen menschliche oder tierische Feinde und schlechtes Wetter oder waren Kultorte und letztlich auch Begräbnisstätten.
[17] Osterode – Die Lichtensteinhöhle
Niedersachsen
Die Höhle und ihre Überraschungen
Als im Jahr 1972 eine Gruppe von Höhlenforschern am Nordwesthang des Lichtensteins unweit von Osterode auf der Suche nach einem mittelalterlichen Geheimgang eine Höhle entdeckte, konnten die Beteiligten noch nicht ahnen, welche sensationelle Entdeckung sie gemacht hatten. Statt des vermeintlichen Geheimgangs fand man eine natürliche Höhle, die letztendlich den Namen der über ihr gelegenen Burgruine Lichtenstein erhalten sollte. Das Ereignis, das die Höhle schließlich weltbekannt machen sollte, fiel in das Jahr 1980: In der inzwischen gut erforschten Höhle stießen die Höhlenforscher auf eine unpassierbare Engstelle. Neugierig, was da noch kommen könnte, erweiterten sie die Engstelle und erschlossen fünf neue Kammern.
Völlig überraschend stieß man auf unzählige Knochenreste und zahlreiche Gegenstände, die natürlich die Archäologen auf den Plan riefen. Bei den nun folgenden Ausgrabungen zeigte sich, dass hier die Skelette von 40 Menschen – Männer, Frauen und Kinder – ruhten. Zwischen den menschlichen Überresten lagen Ringe, Armreifen, Gürtelhaken, Keramik und viele andere Dinge, die schnell eine Datierung der Fundstelle in die Zeit von ca. 1000–700 v. Chr. ermöglichten. Außerdem wiesen andere Funde, Knochen von Nutz- und Wildtieren, aber auch Feuerstellen auf rituelle Mahlzeiten hin. (Abb. 17)
Abb. 17 Osterode, Lichtensteinhöhle.
Schnell spekulierte man darüber, warum die Toten hier bestattet worden waren. Diese Frage drängte sich umso mehr auf, weil in der „Urnenfelderkultur“, so nennt die Forschung eine bronzezeitliche Kultur, in dieser Zeit die Bestattungssitten von der Körperbestattung zur Totenverbrennung wechselten. Schnell verbreiteten sich Theorien, die von Massenmord über Menschenopfer bis hin zu Kannibalismus reichten. Diese Hypothesen konnten aber alle inzwischen ausgeräumt werden. Tatsache ist, dass die Lichtensteinhöhle als Grablege verstanden werden muss.
War der Fund allein schon spektakulär, so sollten naturwissenschaftliche Untersuchungen noch ganz andere überraschende Ergebnisse liefern. Als man noch vermutete, es könnte sich hier um einen Opferkult handeln, interessierten sich ab 2002 die Anthropologen der Universität Göttingen für die Skelettreste. Aufgrund der Umgebungsbedingungen war das Knochenmaterial in einem so guten Zustand, dass DNA gewonnen und analysiert werden konnte. Schließlich war klar: Die in der Höhle Beigesetzten gehörten alle zu ein und derselben Großfamilie.
Bald nach dieser Erkenntnis, im Jahr 2007, führte man bei Bewohnern der Region ebenfalls DNA-Tests durch. Überraschend zeigte sich, dass einige der heute hier lebenden Menschen Nachkommen jener Menschen aus der Höhle waren und so auf einen Stammbaum mit mehr als 120 Generationen zurückblicken können.
HöhlenErlebnisZentrum Iberger Tropfsteinhöhle
Das HöhlenErlebnisZentrum vereinigt zwei Museen. Dabei handelt es sich um das „Museum am Berg“, das den Funden aus der Lichtensteinhöhle gewidmet ist, während sich das „Museum im Berg“ der Geologie der Region widmet.
Weil die Originalhöhle „Lichtenstein“ selbstverständlich nicht be-sichtigt werden kann, hat man hier ein Museum geschaffen, das unter Nutzung der verschiedensten Medien die Kultur der Bronzezeit anschaulich darstellt.
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