Nun saß Gribus in einem Sessel in Medikusius’ Wohnzimmer. Der Drachenjunge lag neben den warmen Kamin und aß eine Rübe, die ihn der Elf gegeben hatte. Der Elf selber brachte gerade Bergbier herein. Er stellte das Tablett mit den beiden Bechern auf einen Tisch ab und setzte sich dann in einen zweiten Sessel. Zögernd fing er an zu sprechen; „Ich weiß nicht so ganz, wo ich anfangen soll.“
„Dann sagt doch erst mal, was für ein Wesen das ist“, schlug Gribus vor. „Okay. Wie du schon vielleicht erkennen konntest, ist es ein Drache, wenn auch ein außergewöhnlicher. Er gehört der ausgestorben geglaubten Art der Schwarzen Vegetarier an.“
„Schwarze Vegetarier?“
„Ja. Sie sind beziehungsweise waren die einzigen Drachen, die sich ausschließlich von pflanzlicher Nahrung ernährten. Sieh dir die Krallen an! Sie dienen nicht dazu, um Beute zu reißen, sondern um zum Beispiel Knollen auszugraben.“
„Du hast Recht. Doch du sagtest, sie wären ausgestorben“, fragte Gribus nach. „Ja. Aber ich fange am besten von vorne an. Diese Drachen waren keine wildlebenden Tiere, sondern eine Züchtung der Elfen. Die Elfen wollten Wesen, die die Weisheit der Drachen hatten, aber auch friedlich und freundlich waren. Das hatten sie auch geschafft, zum Teil zumindest. Die Schwarzen Vegetarier wurden die besten Gefährten der Elfen. Sie waren Gelehrte, Mentoren, aber auch Kämpfer.“ Gribus fragte nochmal nach: „Du sagtest aber, sie wären friedlich gewesen.“
„Das stimmt. Sie waren friedlich. Wenn man aber kämpfen musste, so taten sie es wie die Elfen. Auch wenn sie Pflanzenfresser waren, konnten sie sehr gefährlich werden. Ihr giftiger Atem, etwas, was sie von ihren Vorfahren, den Sumpfdrachen, geerbt hatten, ätzte ganze Armeen weg. Und mit ihren Geisteskräften konnten sie selbst die mächtigsten Magier besiegen.“
„Geisteskräfte?“, fragte Gribus nach. Medikusius nickte: „Ja, sie besaßen die Fähigkeiten der Telepathie und der Telekinese.“
„Wenn sie so mächtig waren, warum sind sie dann ausgestorben?“ Das Gesicht des Elfen bekam einen traurigen Ausdruck: „Es geschah während des Kontinentalkrieges. Im Kampf hatten die Schattenelfen den Schwarzen Vegetariern nichts entgegen zu setzen. Deshalb griffen sie zu einem heimtückischen Mittel: dem schwarzen Tod. Es war eine fürchterliche Krankheit. Die armen Drachen bekamen überall Beulen, die extrem empfindlich waren und schmerzten, wenn sie mit etwas in Berührung kamen.“ Gribus war entsetzt: „Schrecklich!“
„Ja, das war es. Und selbst die Lichtmagier verzweifelten an dieser Krankheit.“ Nun schwiegen der Elf und der Zwerg.
Gribus ergriff als Erster wieder das Wort: „Danke, dass du mir das erzählst hast. Eine Frage hätte ich jedoch: Was soll ich mit dem Drachen machen?“ Medikusius lächelte dankbar für den Themawechsel und antwortete mit einer Gegenfrage: „Hast du schon mit den Gedanken gespielt, ihn zu behalten?“ Gribus nickte: „Ja, ich mache mir jedoch Sorgen um das Geld für die Rüben. So ein Drache isst vermutlich eine ganze Menge.“ Medikusius beruhigte ihn: „Die Schwarzen Vegetarier sind genügsame Esser. Na, dann ist es ja geklärt. Heute ist es schon spät. Morgen aber komme ich zu euch und werde dir helfen, alles für den Drachen einzurichten.“
15. Kapitel – Die Wüstenkönigin
Irgendwo in der Wüste
Morgen des sechsten Tages nach dem Fall von Erlin
Dunkelheit. Nur Erwins’ Licht durchdrang sie. Einen ganzen Tag schon irrte er durch dieses riesige Tunnelsystem. Mehrmals war er schon auf unsichtbare Riesenkäfer gestoßen, die er aber dank seiner Lichtmagie aufspüren und besiegen konnte. Seine Robe war von Schweiß und Blut, glücklicherweise war es nicht seins, durchtränkt. Immer mehr litt er und der laufende Tintenfisch unter dem Hunger. Durst hatten sie dank des Geruchssinns des schon kalbgroßen Tintenfischs, der sie direkt zu einer unterirdischen Quelle führte, nicht. Doch der Hunger war so schlimm, dass Erwin sogar mit dem Gedanken gespielt hatte, einen der Riesenkäfer auszuweiden. Als er es jedoch in Angriff nehmen wollte und einen mit seinem Allzweckwerkzeug Licht aufschnitt, reichte ein Blick hinein, um ihn klar zu machen, dass er so hungrig doch wieder nicht war. Als hätte das Licht seine stummen Klagen bemerkt, weitete sich der Tunnel und mündete in eine große Höhle. Erwin traute seinen Augen nicht und die Glubscher des Tintenfischs traten hervor. Die Höhle, in derern Deckenmitte durch einen meterlangen Schacht Sonnenlicht hinein schien, war in zwei Hälfte geteilt. Die linke Hälfte bestand nur aus Sand. Die andere genauso große war dafür umso fruchtbarer. Es war eine Wiese mit mehreren Bäumen, die von einem Fluss, der in einen kleinen See mündete, bewässert wurde. Die Bäume waren mit Früchten, die Erwin noch nie zuvor gesehen hatte, beladen. Doch das Seltsamste und zugleich Schönste war ein schlankes und mittelgroßes Wesen, das zwischen den Bäumen stand. Es war eine junge Elfin. Und eine wunderschöne dazu. Sie hatte feuerrotes Haar und schneeweiße Haut. Ihre Augen glühten grün und ihre Lippen waren ebenso rot wie ihr Haar. Bekleidet war sie nur mit einem blauen Tuch, das sich um ihre Hüfte schmiegte. Ihr Oberkörper war frei, was Erwin die Schamröte auf die Wangen trieb. Sie kam lächelnd näher und als sie vor ihm stand, fing sie mit honigsüßer Stimme an zu sprechen: „Willkommen in meinem Hain, Reisender. Ich bin die Wüstenkönigin Marella. Und wer bist du?“ Erwin stotterte heftig: „Erwin.“ Marella lächelte noch mehr, fasste ihn an den Arm und flüsterte ihm ins Ohr: „Komm Erwin. Lass uns unter den Bäumen wandeln.“ Dann zog sie ihn in Richtung des Hains. Zurück blieb ein verlassener Tintenfisch. Dieser war deprimiert, weil Erwin ihn anscheinend einfach vergessen hatte, dann aber wendete er seine Aufmerksamkeit einem Baum zu, der Äpfel trug. Der Tintenfisch ging zu ihm, kletterte hinauf und pflückte eine Frucht. Als er wieder herunter kletterte, rutschte ihm die Frucht aus dem Tentakel und fiel zu Boden. Dies sollte sich als glücklicher Zufall erweisen, denn der Tintenfisch sah jetzt das Innere der Frucht. Es war schwarz und stank. Der Tintenfisch erkannte sofort, dass es eine Falle war. Er sah wieder herüber und erblickte Erwin, der immer noch von Marella verzaubert war, seinen Kopf auf deren Beinen ruhend, und Marella wollte gerade ihn mit einer der Früchte füttern. Der Tintenfisch reagierte sofort. Er rannte zum See, nahm Wasser auf, drehte sich um und schoss eine mehrere Meter lange, kochend heiße Fontäne aus. Sie traf Marella am Kopf. Die Schöne konnte nicht einmal mehr schreien, denn der Kopf war sofort weg, ohne dass Blut spritzte. Die Frucht flog aus ihrer Hand und fiel auf Erwins Brust, wo sie aufplatzte und ihre giftigen Inhalt freigab. Erwin schreckte hoch und starrte auf den grünen Fleck auf seiner weißen Robe. Dann drehte er den Kopf und konnte gerade noch zusehen, wie Marella zu Sand zerfiel. Sie war eine magisch belebte Sandskulptur gewesen. Als Erwins Verstand wieder klar wurde, erkannte er auch, dass sie ihn verzaubert hatte und zwar nicht nur mit ihrer Schönheit. Bevor er sich völlig von dem Schrecken erholen und dem Tintenfisch danken konnte, bebte auf einmal die Erde. Erwin und der Tintenfisch ruderten mit ihren Armen bzw. Tentakeln um das Gleichgewicht zu bewahren, was ihnen allerdings nicht gelang. Während sie auf dem Boden hin- und herrutschten, bebte die Erde weiter. Bis sie plötzlich aufhörte zu beben. Erwin, sein Blick auf den Sand ausgerichtet, stand vorsichtig auf. Plötzlich brach ein meterlanger, sandfarbener Fangarm, dessen Ende mit mehreren roten kleineren Fangarmen und einem roten Auge in der Mitte bestückt war, aus dem Boden. Er sauste auf Erwin zu. Dieser konnte in letzter Sekunde ausweichen. Weitere Fangarme brachen aus dem Sand hervor und stürzten sich auf Erwin sowie auf den Tintenfisch. Die beiden konnten nur mit Mühe ausweichen. Erwin wusste, dass sie nicht ewig ausweichen können würden und dass sie in die Offensive gehen mussten, wenn sie das überleben wollten. Er rief dem Tintenfisch zu: „Angriff ist die beste Verteidigung … Debecia.“ Er wusste zum Zeitpunkt selber nicht, warum er diesen Namen kannte, hatte jedoch andere Sorgen in Form von heransausenden Fangarmen. Der Tintenfisch hatte verstanden, rannte los, wich dabei den Armen weiterhin aus und stürzte sich auf den See. Er saugte so schnell er konnte und so viel Wasser wie möglich auf. Dann stellte er (oder sie?) sich todesmutig drei Fangarmen entgegen, die auf ihn/sie zustürzten. Doch sie erreichten ihn/sie nicht. Ein kochend heißer Wasserstrahl schoss hervor und traf sie nacheinander. Das Wasser verbrühte die Arme nicht, es kochte das Fleisch weg. Das Fleisch teilte sich in seine kleinsten Bestandteile auf, so heiß war der Strahl. Schlicht gesagt, das Fleisch verpuffte. Drei abgetrennte Arme fielen herunter. In der Zwischenzeit hatte Erwin mit drei gebündelten Lichtstrahlen ebenfalls drei Fangarme durchtrennt. Die anderen Fangarme zogen sich anscheinend eingeschüchtert zurück in die Erde. Jedoch war dies nicht das Ende des Kampfes. Bevor Erwin und Debecia Luft holen konnten, ließ ein schriller Wutschrei die Höhle beben. Etwas sehr Großes und sehr Wütendes erhob sich aus dem Sand. Es war das Hässlichste, was Erwin je gesehen hatte. Das Wesen bestand aus einem unförmigen, sandfarbenen Körper, auf dem ein Kopf saß. Dieser ähnelte dem einer Wespe. Mit zwei Unterschieden. Statt Facettenaugen waren an derer Stelle zwei Stielaugen. Auf der Stirn des Wesens befand sich ein riesiges, verschlossenes Auge. Aus dem Körper gingen zahlreiche Fangarme hervor. Das Wesen war fünf Meter breit und zehn Meter hoch. Es war die wirkliche Wüstenkönigin, Königin der Wüstenkäfer. Die Königin sah Erwin und Debecia mit ihren Stielaugen an. Sie starrten sich mehrere Minuten lang an. Dann kreischte die Königen und sämtliche Fangarme rasten gemeinsam auf Erwin zu. Erwin reagierte instinktiv. Er erschuf einen Lichtschild um sich und Debecia. Die Fangarme schlugen dagegen und verbrannten. Jetzt kreischte die Königin vor Schmerz und zog ihre Arme zurück. Dann verharrte sie. Und verharrte. Erwin misstraute der Waffenruhe und erhielt den Schild aufrecht. Er sollte sich nicht geirrt haben. Plötzlich öffnete sich das Auge auf der Stirn der Königin. Es war ein Auge der Finsternis. Ein Auge, das nur von Wesen, die den Schatten verkörpern, getragen wurde. Ein Strahl gebündelter Finsternis schoss auf den Lichtschild zu. Erwin schrie, als beide Kräfte aufeinander stießen. Er hatte keine Chance. Sein Schild brach sofort zusammen und er fiel gebrochen zu Boden. Sofort schnappte ein Fangarm ihn und Debecia, bevor einer von den beiden reagieren konnte. Sie wurden auf Augenhöhe der Königin gehoben. Diese lächelte jetzt, riss das Maul auf und der Fangarm bewegte sich wieder, um seine Beute in den tiefen Schlund zu stecken.
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