1 ...8 9 10 12 13 14 ...23 Dem Sidoner war schon in den ersten Augenblicken die Wasseruhr aufgefallen. Sie war rot bemalt, mit Löwe und Stier und einem Flusspferd, das ein Krokodil auf dem Rücken trug. Den Tieren folgte ein Mann, der die Arme breitete.
»Unsere Leitsterne für die Messung der zwölf Nachtstunden. Mit ihrem Stand am Himmelsbogen bestimmen wir die Zeit«, hatte Kerifer-Neith erklärt und begonnen, dem Sidoner die entsprechende altkemetische Schrift zu zeichnen. Schon nach kurzer Zeit hatte sich Abdi-ashirta Deutungen eingeprägt und erste Begriffe geschrieben.
»Übernehmt unsere Zeichen. Sie sind einfacher«, hatte er gesagt.
»Dann verstehen sie vielleicht auch die Ruderer«, war die Antwort gewesen. »Was Thot uns gab, ist heilig. Und wie werden die Beamten fett, wenn auch schwielige Hände schreiben können? Du weißt doch, dass nichts in alter Schrift auf den Listen der Kämmerer steht. Wir setzen seit vielen Regentschaften bei unseren Geschäften die Zeichen waagerecht.« Kerifer-Neith packte den Arm des Sidoners. »Träume nicht! Die Zeit rinnt auch ohne dich. Schau auf die Stadt! Sieh es an, dein Bast! Dort sind die Residenzen der Großen von gestern. Am Ende der Überschwemmung zog das Personal ab, und jetzt schon grüßt das Tor nach Süden als geschminkte Hure. Die einst hier zu graben begannen, gruben bis zum Mittelteil und zogen gestern in ihre Dörfer. In drei Tagen werden jene heimgeschickt, die ihre Arbeit am Lazurwasser verrichten. Die Flutung des Bittersees war schon vorbereitet. Es ist vorbei, du erster Seefahrer Zors. Kein Schiff des Inneren Meeres wird das Lazurwasser erreichen können. Basts Bausiedlung liegt verwahrlost. Bricht ein Hammerschlag die Stille? Hörst du die Stille, Phenesch, wie sie aus den Rissen der morschen Häuser dringt? Siehst du Kinder auf den Dächern? Bast schrumpft auf die Maße von einst. Hier handelt nur noch die Hälfte der Händler, keine Tänzer tanzen auf lustigen Plätzen. Bast stirbt, Phenesch, stirbt unter dem giftigen Atem blöder Beamten, die befürchten, ihr Wohlstand könne unter der kühnen Idee leiden. Der Kanal ließe die Welt größer werden, und das macht die Herren kleiner. Halte deine Zunge still, später auf dem Dach des Palastes wird Ma’at mich die rechten Worte finden lassen«.
Kerifer-Neith schwang sich über die Wandung. Abdi-ashirta folgte ihm auf den Steg, geriet auf eine zerbrochene Planke und spürte Uliliyas Hand. Wütend trat der Priester das Brett ins Wasser. »Morsch wie die Stadt selbst. Du schlägst gegen eine Hauswand, und das Dach stürzt ein und das des Nachbarn dazu. Das Gefängnis ist das festeste Gebäude, doch es fasst nicht alle Lumpen, die Bast bevölkern. Niemand säubert den Markt gründlich, er ist uneben, nach jedem Regen spiegeln Pfützen die Stände. Die Tuchhändler verkaufen nur noch ein Viertel der Umhänge, die Fleischer preisen dürre Hennen an. Das Elend geht als Gerippe durch die Gassen. Vorbei sind die Jahre, da Bast als fette Kuh im Delta graste. Es wird kein Tor nach Süden geben, durch das die Feinde dringen.«
Kerifer-Neith schickte einen Begleiter zum Verwaltungsgebäude. »Niemand beseitigt den Dreck der Köter. Warum auch in einer Stadt, die Katzen verehrt wie …«
»Herr, bitte sei still. Der Hafenmeister kommt.«
Kerifer Neith schob den Lotsen beiseite, der ihn warnen wollte. »Ich weiß, dass Setup ein Spitzel Ptah-hoteps ist. Aber der da kommt, ist nicht der Hafenmeister. Wer bist du? Wo ist der Hafenmeister?« Der Mann nuschelte seinen Namen. Der Priester forderte ihn auf, verständlich für alle zu reden.
»Setup ist zum Nomarchen Pedu-bastis gerufen, Hoher Herr. Sie besprechen sehr wichtige Dinge. Eure Tiere stehen bereit, die Verpflegung ist gepackt. Setup ist untröstlich, nicht selbst …« Erneut stolperte die Zunge, zwei lockere Zähne hinderten den Gehilfen des Hafenmeisters in seiner Rede.
»Hol die Tiere!« befahl Kerifer-neith. »Hast du seine Sandalen gesehen, Seefahrer?«, fragte der Priester, als der Mann zwischen den Häusern verschwunden war. »Die Verwaltung kann das Kupfer nicht messen für neues Leder. Nechos Vater band Ueset und Menfe wieder aneinander. Nach seiner Rückkehr aus Assyrien gebot er, auf den Hauptmärkten den Münzhandel einzuführen, als Zeichen der neuen großen Zeit. Nun geht Kemet auf dünnen Sohlen. Seit die Hände nicht graben, steht für Bast der Hapi still. Nomarch von Bast, das Amt trug einst goldene Feigen. Jetzt schlagen Ptah-hoteps Befehle den Takt.«
»Nieder! Hrrst! Hrrst!« Die Treiber verbeugten sich vor ihren Tieren, die sich gehorsam hinknieten.
»Keine Pferde?«, fragte Abdi-ashirta verwundert. Der Priester hob die Hände. »Der Göttergleiche erstrebt die Macht der Urahnen. Die Bewohner der Himmelshäuser kannten keine Pferde. Ich glaube aber, dass sie auch diese Tiere nicht kannten. Was schert es dich. Steig auf! Ein Kamel schaukelt kaum stärker als dein Schiff. Wir reiten den Ostweg, der zur Werft am Lazurwasser führt. Diese Straße wird dir bald vertraut sein.«
Abdi-ashirta stieg zwischen die Höcker. Kerifer-Neith lauerte vergeblich auf eine Blöße des ihm anvertrauten Pheneschs. Die Unterweisungen durch Zors Stadtwächter erwiesen ihren Nutzen, nach kurzer Zeit war der Seefahrer schon auf dem Damm zur Insel geritten. Kerifer-Neith zog die Augenbrauen hoch und schwieg noch, als sie schon auf die Straße nach Per-Sepa einbogen.
Sie ritten durch Randgassen, deren Häuser nicht alle offene Luken hatten. Klumpen von Lehm störten den Weg, oft waren aufgeweichte Dächer nicht geräumt. Die Vorsiedlung endete, vor einem letzten Gasthaus pries ihnen der Wirt sein Bier.
»Treibe dein Tier, Phenesch! Die Häuser stehen nur noch wie Zähne in alten Gebissen. Gleich sind wir im Grasland.«
Der Leib Ayteps, des Führers, hing gebeugt zwischen den Höckern.
»Welche Arbeit!« spottete der Priester. »Schläft er, der Held? Hatte ich durch meinen Boten nicht einen Wachsamen gefordert?«
»Aytep ist wachsam, Herr. Prüfe meinen Sinn durch ein Gespräch. Gewiss bin ich ein Stiller, denn wer auf seine Zunge achtet, schläft nachts ohne Feind.«
»Welch ein Geist wohnt in deinem Herzen! Beginn den Tag mit Frohsinn und lass nie ab davon. So fordert es ein Wandlied im Schlafgemach des Göttergleichen.« Kerifer Neith drängte sein Tier an die Seite des Sidoners. »Höre! Du hast auf dem Schiff gebettelt, von Neferheres zu erzählen. Ich male dir ihr Bild. Das Herz der Edlen ist eine Schatzkammer, die zu viele Worte plündern.«
»Deine Bilder sind schön wie die Frau, die sie beschreiben, doch fehlt mir die Ruhe, sie aufzunehmen. Wann sehe ich das Werk, das Zor auch heute noch als Zukunft preist?«
»Schweig noch einmal die Zahl der Tritte, die dein Tier bis hierher getreten hat, dann küsse kniend, was die Götter verfluchten. Doch jetzt höre mein Lied von Neferheres. Es ist selten gut, die Wahrheit im Maul zu tragen, deshalb singt mein Lied von Kum-ran. Und steckt am Abend unser blöder Führer seine Zunge in das Ohr des Herrn, wird sie Unsinn schwätzen. Was kümmert dich der Kanal in deiner Zukunft! Täglich steigt Re über das Ostgebirge, täglich zieht den Hapi seine Bestimmung in das Innere Meer, seit Tausenden Jahren binden sich die Himmelshäuser an die Unzerstörbaren.«
Kerifer-Neits Umhang rutschte von den Schultern, ungeduldig zog er das Leopardenfell zurecht. »Kum-Ran liegt an einem See, den nie ein Fisch bewohnte. Sein Wasser schmeckt wie die Lauge zum Pökeln. Der dortige Herr befahl: Zieht eine Wasserstraße zum Inneren Meer! Das aber erhob sich über die Ebene von Kum-Ran. Phenesch, warum hörst du nicht zu? Soll ich Melkart bitten, dich durch die Ohren zu stechen? Meine Geschichte ist deine Gegenwart.«
»Vom salzigen See hörte ich schon früher Geschichten. Sprich zu mir von Menfe. Der Spitzel versteht uns nicht. Wird alles sein, wie der Erhabene es sagt?«
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