»… wird eine Straße zum Lazurwasser, die du bald gehen wirst. Nach dem Aufbruch der Schiffe wird aus der Werft eine neue Stadt. Das ist der Wille Pharaos.«
Abdi-ashirta richtete sich auf. »Das bedeutet, Sidonien muss künftig Kemets Gnade erbitten, um in das Südliche Haus zu gelangen? Wir mieten am Lazurwaser Schiffe und stehen unter Menfes Regiment?«
»Ja!«
»Zur Audienz zeigten die Kaufleute im Rat ihre Verzweiflung über Nechos Entschluss, den Kanal nicht zu bauen.«
Kerifer-Neith verscheuchte mit beiden Händen ein Insekt. »Necho berief sie, um die Macht der Militärs zu brechen. Das bezeugt seine Weitsicht. Er will die Große Zeit mit der Waage und nicht mit dem Schwert erschaffen. Es ist in Menfe wie in Zor. Kaufleute sind schlau, aber selten klug. Sie verlieren im Kanal den Handelsweg, erkennen aber nicht die goldene Zeit, die dein Erfolg bringen könnte. Nicht selten frisst Sobek an ihrem Hirn und das Schwert zerschlägt die Waage. Manche bereiten vielleicht dein Scheitern vor.« Den letzten Satz flüsterte er in altkemetischen Worten, die außer den Priestern kaum jemand verstand. Er zerrte das Fell zu Seite und schob den Kopf über den Dachrand, öffnete die Luke und nickte zufrieden. »Die langen Ohren stören unsere Stunde nicht. Ich wollte dir schon am Tage von Kum-Ran erzählen, von einem Kanal zu dieser Seesiedlung, die Balsam hat und Asphalt, der deine Schiffe dichtet. Du wolltest es nicht hören. Kaum bliesen Boten dem Volk diese Idee in die Ohren, erhob sich klagendes Landgeschrei: Wir werden ersaufen! Du wolltest nicht hören, wie man Kum-Rans Herrscher ein neues Spielzeug wies: Den Weg nach Osten, in das Land, dessen Berge die Sterne berühren und in dem die Gebieter der Erde wohnen. So sagt man. Du wolltest nicht hören, dass der Führer zum Himmel irdischen Lohn verlangte und man ihm ein schönes Wesen versprach, das dem Herrscher näher stand, als es sich schickte. Man hätte mit einem Schlag zwei schwarze Pferde getrieben. Du wolltest es nicht wissen und so spricht Ma‘at eben jetzt. Sie wird dir sagen, dass Geschichten sich wiederholen.
Neferheres band sich einst an Sothur, Obrist in Nechos Garde. Aus der Schwärmerei eines Mädchens wurde die Liebe einer Frau. Aber eure Zukunft vereint stärker als Gefühle, sie wird dir Gefährtin sein. Du bist ihre Möglichkeit, das Landgut Ift-ar zu gewinnen. Wer ist dann noch Sothur? Frag sie, wenn ihr Ift-ar besucht, nach der Zeit hinter der Expedition, frag sie aber nicht nach dem Gardisten. Neferheres wird Sothur vergessen, denn wer vom Essen nur träumt, wird nicht satt. Neferheres, sie ist etwas Besonderes, sie schaut mit Necho in die Große Zeit zurück und lässt in den Siedlungen nach deren Zeugnissen suchen. Sie kann die Inschriften der Gräber lesen und spricht oft mit den Wendungen unserer alten Dichter. – Aber berichte mir jetzt von dir, schildere den Augenblick, der dich nach Menfe rief. Ich will den Mann Abdi-ashirta kennenlernen. Wir haben noch zwei gemeinsame Jahreszeiten vor uns, ehe deine Schiffe die Bugspitzen nach Süden richten.«
Abdi-ashirta erzählte von dem Tag, an dem der Libanon seinen Wind nach Zor schickte, der zum Abend den Sturm gebar, berichtete von den Frauen, die ihren Söhnen den Namen toter Seeleute gaben, und er sagte dem Priester die Worte Hir-Rectars, seines Königs, wie er ihn nannte. Aber er sagte nur, was er für richtig hielt.
Die Dachfackeln erhellten Kerifer-Neiths Gesicht, das weicher erschien als unter Res Augen. Seit dem Tag, an dem ihm die kindlichen Haarlocken geschnitten wurden, hatten Schemu und Peret keine zwanzig Mal gewechselt. Es fehlten in dieser dunklen Stunde die herrischen Gesten, die seine Reden gewöhnlich begleiteten.
»Jetzt willst du etwas über mich wissen?«, fragte er spöttisch, »über mich, einen Priester? Wir Priester bewahren die Wahrheit in den Lehren der Götter, bis man in diesen Lehren die Wahrheit findet. Hättest du in On nicht von Neferheres geträumt, wärest du unserer alten Geschichte begegnet. Rede nicht!« wehrte Kerifer-Neith die Einwände des Sidoners ab. »Erkenne, dass Nechos Ideen dem Willen der Götter gleich sind und von ihrer Kraft getragen werden. Die Zeit begann, als die Götter in den Himmel stiegen. Atum stand auf Benben, dem Urhügel in On und erschuf aus seinem Samen die Welt. Die Großen Häuser sind Orte, an denen sich Götter und Menschen begegnen. Mit unseren Taten halten wir das Gleichgewicht dieser Welt im ewigen Kampf zwischen Nun, dem Chaos, und Ma’at, der Ordnung. Das ist auch dein Auftrag. Du fährst im Dienste Ma’ats, du bist ein wichtiger Teil unserer kemetischen Welt geworden. Glaube das, Admiral. Wir Diener der Götter sind Wissende. Wir wurden gelehrt unter dem Großen Haus, wo heiliges Wasser Gott Osiris umfließt. Dort steht geschrieben, was schon die Ahnen wussten. Dreimal drei Tage empfingen wir die Kraft der Unzerstörbaren, die uns über die göttlichen Himmelsschächte zuströmte. Ich weiß, dass ich unsterblich bin, denn das Leben ist ein Kreis. Schließt er sich, öffnet sich eine neue Welt.«
Kerifer-Neiths Stimme zitterte. Er griff nach dem Sidoner und drückte die Finger in dessen Schultern.
»Es darf nichts verloren gehen. Sprich von unseren Großen Häusern nicht als Gräbern. Sie sind Kemet selbst. Sie sichern das Universum, sie geben die Kraft, dass sich Körper, Seele und Wille vereinigen. Seit ungezählten Königsherrschaften warnen ihre Priester vor Sandbrüchen und anderen Zeichen Nuns. Einst lag er frei, der Bewahrer, der Chufus Gesicht trägt. Wer heute Kemets Geschichte lesen will, muss tief graben.«
»Zors Wissen wurde in die Berge getragen. Ursprünglich sollte es am Salzmeer vor den Assyrern versteckt werden, doch wohin hunderte Händler um Asphalt kommen, ist kein guter Platz für Schriften. Auch hörte ich schon aus anderem Munde von Nun und Ma’at, da war ich Kind im Ostviertel …«
»Vergiss deine Welt, Sidoner. Unsere heiligen Orte wurden von den Göttern gebaut, als die Menschen in Kemets Anfang lebten. Chufu war der Erste, der durch den Nordkorridor zu den Unzerstörbaren aufstieg und diesen Weg für alle Kemeten seiner Zeit ging. Das Wissen darüber soll unter den Füßen des Großen Bewahrers liegen, die hoch der Sand deckt. Ich will diese Schriften finden, das ist meine Expedition. Sie findet im Kopf statt. Meine Taten sind Ideen, mein Abenteuer ist das Denken. Ich möchte in der anderen Welt mit den Göttern leben.«
Kerifer Neith ballte die linke Faust und hielt sie zu den Nordsternen. »Ich erzähle das, um dir zu zeigen, dass deine Fahrt nicht die Fahrt von Krämern ist. Es geht nicht darum, Zedern von Gebal nach Quart-hadascht zu schaffen. Sie ist etwas Größeres als euer von Osiris verfluchtes Ashkalon, das ihr Pheneschs neu errichtet habt. Sie ist größer als Chufus Gesandtschaft in Libyens Zentrum, die nur dazu diente, Mapet für Türpfosten zu besorgen. Necho belebt alle Taten der alten Könige. Er gewährt Ped-Osiris dich zu treffen, doch dessen Geschichte wirst du von dem Wanderer selbst hören. Dieser Mann interessiert mich nicht. Er ist ein Irrer. Necho erweckt das alte Kemet. Sein Handeln stärkt Ma’at, die Ordnung. Du bist uns wichtig, Ped-Osiris werden die Götter verfluchen.«
Der Priester blickte auf den Phenesch, der ihm in dieser Stunde vertraut geworden war und für den er auch in Gedanken kaum noch dieses Wort verwandte. Du hast Feinde, Admiral, sie sehen in dir den Fremden, der Unruhe in das Land trägt, indem er es verändert. Wenn du Libyen umsegelst, werden sie erfahren, wie klein ihre Welt ist. Doch diese Worte sprach Kerifer-Neith nicht aus.
»Lass uns ruhen. Morgen erwartet uns Ptah-hotep. Das wird schlimmer, als der Ritt zu deinem Kanal.«
»Schlimmer? Ist Ptah nicht nur ein Zwergengott?«
»Du wirst dir vielleicht irgendwann wünschen, mit Zwergen auf dem Schiff zu fahren. Zwerge sind geschickte Handwerker. Schlaf jetzt. Deine Zeit in Menfe währt nicht ewig. Die Siedlung erwartet ihren Helden. Dein Abschied wird still sein, noch spricht niemand von der Eroberung des Kreises. Neferheres und mich wirst du vor allem am Lazurwasser treffen. Noch eine Dekade, dann herrscht der Hammer über die Zunge.«
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