Was gehört zu diesen Werkzeugen? Erstens muss ein Behandler meiner Meinung nach eine objektive Wahrnehmung entwickeln. Er sollte die Anatomie, Physiologie und Pathologie kennen und all die integrierten, untereinander und mit sich selbst in Beziehung stehenden Funktionsabläufe, die zwischen all diesen Elementen der Körperphysiologie stattfinden. Er muss fähig sein, diagnostische und prognostische Erkenntnis zu evaluieren und zu bestimmen, angefangen vom ersten Untersuchen des Patienten bis zu dessen Entlassung aus der Behandlung. Er sollte in der Lage sein, bei jedem Patienten die Veränderungen, die die Nutzung der Potency im Gewebe bewirkt, mit dem objektiven Fortschritt in Richtung Normalität und wiederhergestellter Kompensation in Zusammenhang zu bringen. Und er sollte sich beim Festlegen der Vorgehensweise in jedem einzelnen Behandlungsfall von den objektiven Befunden leiten lassen.
Zweitens sollte der Behandler eine subjektive Wahrnehmung des Potenzials haben, das in der Anwendung der hier beschriebenen Heilungsprinzipien liegt. Und er sollte spüren können, wie hoch die Chance ist, den pathologischen Befund beim Patienten umzudrehen, und inwieweit eine Erholung innerhalb der Gewebeeinheiten möglich ist. Er hat mit dem subjektiven Phänomen des Lebens selbst zu tun und nimmt an den im Patienten sich vollziehenden subjektiven Veränderungen teil, indem er versucht, sie zu evaluieren. Er muss die anatomisch-physiologischen Erfordernisse für jedes Patienten-Problem erkennen und subjektiv mit ihnen arbeiten, während er zusätzlich objektiv den Fortschritt beobachtet.
Drittens sollte der Behandler denkende, sehende, fühlende, wissende Finger entwickeln, die buchstäblich den von Moment zu Moment stattfindenden Veränderungen folgen können, die innerhalb der eingeschränkten Gewebe geschehen, während diese mit dem Meisterlichen Architekten arbeiten, um ihr normales bzw. neu kompensiertes Muster der Gesundheit wiederherzustellen. Dieses kundige Berühren ist nicht einfach zu erlernen. Es braucht Monate und Jahre der Geduld und Arbeit an Patienten, bis dies zu einem brauchbaren, effizienten Werkzeug für Diagnose und Behandlung wird. Jeder Patient ist eine Herausforderung, diese Fähigkeiten weiter zu verbessern. Es gibt keinen Zeitpunkt, zu dem ein Behandler sagen könnte: „Jetzt weiß ich alles, was es über dieses spezielle Problem zu wissen gibt.“ Schon der nächste Besuch des Patienten eröffnet Neues.
Natürlich gibt es noch viele andere Faktoren, die man hier diskutieren könnte, aber diese drei sind die Hauptpunkte, wenn der Behandler lernen will, sowohl beim Diagnostizieren als auch beim Behandeln mit den heilenden Prinzipien des Höchsten Bekannten Elementes zu arbeiten. Zusätzlich zu diesen drei Punkten sollte sich der Behandler jedoch immer, wenn ein Patient seine Dienste in Anspruch nimmt, eines ganz bewusst machen: die objektive, subjektive und wissende Wahrnehmung der Potency in ihm selbst, in seinen sich entwickelnden, wissenden Fingern und im Patienten – einer Potency, der sich der Behandler gelassen hingibt, um geführt zu werden und zu verstehen. Ich möchte hier nicht behaupten, dass es bei dieser Art zu arbeiten jedes Mal, wenn ein Patient behandelt wird, zu einer sofortigen Heilung kommt – obwohl die Ergebnisse Sie oft überraschen werden. Was ich Ihnen jedoch sagen möchte, ist Folgendes: Wenn der Osteopath bei jeder Behandlung mit dem Meistermechaniker arbeitet, wird es ihm möglich, den besten, effizientesten und fachkundigsten Dienst zu leisten, der dem Patienten auf dem Gebiet der heilenden Künste zur Verfügung steht. Dies ist ein wissenschaftlicher Ansatz, der alle Prinzipien jener „Gesetze, nicht von Menschenhand geschaffen […] “ mit einschließt und auch „ […] alle bekannten stofflichen Prozesse und erklärenden Prinzipien, die zum Leben gehören.“ Es ist die lebendige Anwendung der Wissenschaft der Osteopathie.
Wir sind hier ziemlich tiefschürfend geworden. Daher will ich jetzt das Tempo etwas ändern und von den lustigeren Momenten sprechen, die in unserer Praxis auftreten, wenn wir mit diesen Wahrheiten arbeiten. Eines der wichtigsten Dinge für den Osteopathen ist nämlich, seinen Sinn für Humor zu entwickeln. Die Äußerungen, die ich in meiner Praxis am häufigsten höre, sind: „Er hat gar nichts gemacht, aber … […] “ oder „Alles, was er gemacht hat, war, seine Hände auf mich zu legen und dazusitzen, und als er fertig war, ging es mir besser.“ Es ist immer wichtig, eine gute Beziehung zum Patienten herzustellen und zuzulassen, dass die innere physiologische Funktion ihre eigene, sich nie irrende Potency als bewegende Kraft für die Korrektur einbringt, statt eine Kraft blind von außen anzuwenden.
Wenn Sie nun bei jemand gute Resultate erreicht haben, der schon verschiedene andere Behandlungen hinter sich hatte, darunter manchmal auch Osteopathie mit Hilfe von Manipulationen, dann wird Ihnen dieser Patient bzw. diese Patientin gerne seine oder ihre Freunde schickt. Es ist interessant zu sehen, wie diese potenziellen Patienten auf Ihre Dienste vorbereitet werden. Dem neuen Patienten wird gesagt: „Wenn du zu meinem Osteopathen gehst, sei nicht überrascht über seine Behandlungsart. Du wirst denken, er tut nichts, aber es wird dir besser gehen, wenn er mit der Behandlung fertig ist; und wenn er sagt, er will dich noch einmal sehen, bleib dabei, und er wird dafür sorgen, dass es dir wieder gut geht.“ Ich habe einen sehr feinen Gentleman als Patienten, der mir schon viele andere Patienten geschickt hat, und denen sagt er: „Geh zu meinem Osteopathen mit den magischen Händen. Ich weiß nicht, wie er es macht, aber er kann dir helfen.“
Ihre Patienten kommen wieder und schicken ihre Freunde, weil Sie gute Resultate bei Problemen erreichen, die weder von Medizin, Physiotherapie oder einer anderen Form von Untersuchung oder Tests gelöst werden konnten. Wenn sich Ihre Fähigkeiten dann weiterentwickeln, werden Sie immer komplexere Fälle bekommen; Leute, die schon überall waren und immer noch Hilfe für Ihre Probleme benötigen. Und gerade wenn man meint, das sei jetzt der schwierigste Fall überhaupt, kommt ein neuer Patient, der alle davor liegenden Fälle einfach erscheinen lässt. Wenn man die unfehlbare Potency, als die Hauptkraft für Diagnose und Behandlung nutzt, zieht das komplexe Fälle an, so wie Blumen Bienen anlocken. Das ist der Grund, warum diese Art der Arbeit immer wieder interessant ist. Es gibt stets etwas Neues zu lernen von dem physiologischen Körperbild des Patienten. Wachsendes Verständnis – das ist es, was der Behandler braucht, um dem Patienten helfen zu können.
„Sie kommen zurück zur Ursache“, sagte Dr. Sutherland. „Wenn Sie den Mechanismus verstehen, ist die Technik einfach.“ Denken Sie einen Moment darüber nach, was diese zwei Aussagen für den Osteopathen bedeuten. In dieser Welt der Folgen häufen sich bei den Problemfällen, die zu uns in die Praxis kommen, Folgen auf Folgen, bis diese Folgen völlig den ursächlichen Faktor übertönen, also die ursprüngliche Verletzung oder Krankheit, die das Syndrom ausgelöst hat. Jetzt werden wir innerhalb dieser eingeschränkten Situation zu einem Schöpfer geleitet, einer Ursache, die durch die Folgen hindurch dringt und der Gesundheit erlaubt, wieder im Patienten zu erscheinen. Wir wollen die Revitalisierung der Gesundheit im Patienten, nicht nur die symptomatische Erleichterung der Folgen. In der Ursache verborgen liegt die Gesundheit, und es ist unsere Aufgabe, dem Patienten zu helfen, diese für seine Genesung wieder zum Vorschein zu bringen.
Was für ein Reichtum an Einsicht liegt in diesen wenigen Worten: „Wenn Sie den Mechanismus verstehen.“ Das drückt alles aus, was wir bereits besprochen haben. Der Behandler sollte eine bewusste Wahrnehmung des Schöpfers in ihm selbst und im Patienten haben. Er sollte sich der Potency bewusst sein und ihrer rhythmischen Fähigkeit, innerhalb der Tiden der Körperphysiologie zu funktionieren. Ebenso sollte ihm klar sein, wie man mit diesen Tiden im gesamten Körper arbeitet, um die ihnen innewohnende Potency zu nutzen. Er sollte ein praktisches Wissen um das Funktionieren der Körperpysiologie haben und durch kundiges Berühren spüren können, wie die Veränderungen in Gewebe und Flüssigkeit stattfinden. Er sollte die gesamte Anatomie und Physiologie, so wie heutige Lehrbücher sie beschreiben, aus der Praxis kennen und dann über diesen Punkt hinaus weitergehen können, mit offenem Geist und offenem Berührungssinn, um die Erfahrungen zu akzeptieren, die ihm die unfehlbare Potency bringt, während sie in der Körperphysiologie ihr unsichtbares Werk verrichtet. Sicher ist es eine unsichtbare Kraft, aber sie manifestiert sich in anatomisch-physiologischen Elementen, und der Behandler kann dies lernen zu spüren und für seine Diagnose und Therapie in den ihm anvertrauten Fällen zu interpretieren. Er sollte ein Verstehen von Fulkren entwickeln, frei schwebenden, automatisch sich verändernden Fulkren in der Körperphysiologie. Er sollte sein Verständnis fördern für die Potency der Stille in diesen Fulkrum Pauseoder Ruhezeiten, so wie sie funktionieren, wenn der Moment kommt und alles so zusammenpasst, dass sich ihre Zeitsequenz entfalten kann.
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