Yungdrung Wangden Kreuzer
Kunst des Lebens Kunst des Sterbens
Wie wir den Traum von Ich und Welt mit Achtsamkeit, Mitempfinden und offenem Gewahrsein meistern und befreiende Luzidität erlangen können
Arbor Verlag
Freiburg im Breisgau
Impressum
© 2021 Arbor Verlag GmbH, Freiburg
Alle Rechte vorbehalten
E-Book 2021
Lektorat: Ralf Lay; Lektorat Glossar: Tina Draszczyk
Coverabbildung: © Yungdrung Wangden Kreuzer
Umschlaggestaltung und Satz: mediengenossen.de
www.arbor-verlag.de
ISBN E-Book: 978-3-86781-346-4
Widmung Widmung Die Arbeit an diesem Buch war im Herbst 2019 beendet. Es sei dem langen Leben und segensreichen Wirken aller erleuchteten Meister und der baldigen Befreiung und Erleuchtung aller Wesen gewidmet.
Erster Teil Erster Teil
Kunst des Lebens – Kunst des Sterbens Kunst des Lebens – Kunst des Sterbens
1 1
Ars longa, vita brevis: Eine Einleitung in die Thematik des Buches
2 Vanitas oder Der Traum des Sisyphos
3 Der Vergänglichkeit aller Erscheinungen gewahr werden
4 Wenn wir träumen, dass wir träumen, sind wir dem Erwachen nah
5 Der Traum des Denkens und Sprechens und das Vorbild der Meister
6 Das Leben und Sterben von einem, der die Weisheit liebt
7 Erkenntnistheorie, selektive Wahrnehmung und Traumdeutung
8 Thanatologie als die Lehre über Sterben und Tod und ihre möglichen Quellen
9 Erlebnisberichte von Todesnähe und außerkörperlicher Erfahrung
10 Warum wir der Unzerstörbarkeit unseres Gewahrseins gewiss sein können
11 Die außerkörperlichen Erfahrungen heutiger Menschen und die Kunst der Entdopplung
12 Einige in allen Kulturen wiederkehrende Grundmotive der Seelenreise
13 Zufriedenheit ist der größte Schatz und Selbstvertrauen der beste Freund
14 Die Schwächung des Egos in Krankheit und im Sterben als Chance für Metanoia, Katharsis und Selbsterkenntnis
Zweiter Teil
Leben und Sterben im Licht des erleuchteten Geistes von Weisheit und Mitgefühl
15 Von der alles verwirklichenden Kraft des Wünschens und der Intention
16 Wie in unserer Vergänglichkeit schon unsere Erlösung vollendet ist
17 Die sechs Bardos oder Zwischenzustände nach der Lehre des Dzogchen und des Tibetischen Totenbuchs
18 Wie wir rückblickend auf einen Tag und eine Nacht die sechs Bardo-Zustände verstehen können
19 Über die Kontinuität unseres Geistes, der niemals geboren wurde, der in nichts verweilt und der niemals vergeht
20 Wie wir die Unsterblichkeit unseres eigenen Gewahrseins unmittelbar erkennen und in allen Erfahrungen achtsam erinnern können
Dritter Teil
Drei Übungen für ein gutes Sterben und ein gutes ewiges Leben
21 Der unzerstörbare Atem von Segen und Mitgefühl
22 Der alles befreiende Atem des A
23 Die Befreiung durch Erinnern und durch Hören im Sterben und im Postmortem
Literatur
Glossar
Abbildungsverzeichnis
Über den Autor
Die Arbeit an diesem Buch war im Herbst 2019 beendet. Es sei dem langen Leben und segensreichen Wirken aller erleuchteten Meister und der baldigen Befreiung und Erleuchtung aller Wesen gewidmet.
Kunst des Lebens – Kunst des Sterbens
1
Ars longa, vita brevis:Eine Einleitung in die Thematik des Buches
Wer ein gutes Leben führt, der stirbt auch gut.
Motto der Ars Moriendi
Leeres Gewahrsein hat keinen Anfang und kein Ende. Weil es nicht geboren wurde, stirbt es nicht.
Longchen Rabjam Gyalpo
Schlechtes wird von der Seele nie als solches gewählt, sondern als vermeintlich Gutes.
Proklos
Wie du selbst nicht behandelt werden willst, so behandle auch die anderen nicht.
Konfuzius
Die Freiheiten eines menschlichen Lebens gefunden zu haben und zu versäumen, mich im Heilsamen zu üben – könnte es eine größere Dummheit geben als diese?
Shantideva
Die Weisen haben ihre Handlungen, ihre Worte und ihre Gedanken gemeistert. In der Tat – sie sind vollkommene Meister ihrer selbst geworden.
Dhammapada
Es ist mir eine große Freude, nun diese Sammlung von Texten in Buchform vorlegen zu können, in denen Betrachtungen, Lehren und Methoden zur Kunst eines gelassenen und achtsamen Lebens und deren Fortsetzung im Sterben und über den Tod des Körpers hinaus in eine neue, wenn möglich erleuchtete und leidensfreie Form des Daseins und Erlebens im Zentrum stehen.
Die Kunst des Lebens und die Kunst des Sterbens sind, was den Okzident betrifft, von Platon zu Plotin, Cicero und Seneca und den christlichen Autoren von Gregor dem Großen bis hin zu Seuse, Anselm von Canterbury, Thomas von Kempen und Erasmus von Rotterdam noch ganz selbstverständlich nicht voneinander zu trennen. Der nach authentischer Weisheitserkenntnis strebende Mensch widmet sich der Philosophie, indem er sich täglich im Sterben, in der Loslösung von allem Unwesentlichen übt. Seneca sagte: »Leben muss man ein ganzes Leben lang lernen und … während des ganzen Lebens muss man sterben lernen.« Was die Meister des Orients betrifft, so ist ihnen seit frühester Zeit der Tod die Richtschnur zur klaren Unterscheidung des Wesentlichen vom Unwesentlichen, vom wandellosen Wesen des Geistes und seinen wandelbaren, vergänglichen Erfahrungen. Nur was bleibt, ist wirklich, und alles andere ist unwirklich. Das Bleibende im Wandel, die ewig gültigen Wahrheiten und Gesetze des Lebens zu erkennen und aufzuzeigen ist von jeher die Aufgabe und das Ziel der »ewigen Philosophie« im Osten und im Westen.
Der Glaube an ein Fortleben des Geistes nach dem Verfall und Tod des physischen Körpers war dem Menschen schon seit frühesten Zeiten zu eigen, wie wir aus vielen archäologischen Funden schließen können, und wird – wie wir sehen werden, mit gutem Grund – trotz des diskreditierenden Einflusses neuzeitlicher, reduktionistisch-materialistischer Anschauungen auch heute noch von der Mehrheit der Menschen geteilt.
Dieser Glaube oder diese Überzeugung beruht auf in Wahrheit recht allgemein menschlichen Erfahrungen, die in Todesnähe, am Sterbebett und in der Zeit nach dem Exitus auftreten, die wir in späteren Kapiteln genauer betrachten werden. Er entspricht einem inneren, intuitiven Wissen des Menschen um seine wahre, unzerstörbare Natur als geistiges Wesen, das seinem Wesen nach unabhängig vom Körper ist. Dieses tiefe Wissen lebt fort, auch wenn zurzeit oberbewusst erdachte, gesellschaftlich vorgegebene Paradigmen dem scheinbar widersprechen.
Dieses geistige Wesen, das jetzt in einem menschlichen Körper lebt, will voll und ganz erkannt werden. Es sucht die Natur seiner Erfahrungen zu verstehen und fragt ganz natürlich nach der Sinnhaftigkeit, nach dem Woher und Wohin seines Daseins. Es kann, über seine Wahrnehmungen reflektierend, den Zusammenhang von Ursache und Wirkung in der Natur und in seinem eigenen Handeln und Erleben erkennen.
Ein klares Erkennen, welche Handlungen für uns und unsere Umgebung zu glücklichen, heilsamen Erfahrungen führen und welche zu unheilsamen, leidvollen, wird »Lebensweisheit« genannt – insofern diese die Frucht der Erfahrung vieler Leben und vieler Generationen ist. Ethisches Verhalten ist intelligentes, vernünftiges und weises Verhalten. So könnten wir, in Abwandlung eines Worts von F. Schleiermacher sagen: Ethik ist die Wissenschaft eines vernünftigen und auf die Dauer heilsamen Handelns.
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