Paul Leppin - Die Thüren des Lebens
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Paul Leppin
Die Thüren des Lebens
Ich gebe dieses Buch den Frauen, die am Abend mit dunklen Augen todte Jahre in der Lampe suchen. Und die in ihre Tage starren wie in ein Licht. Die von den Romanzen der Demuth wissen und von den Balladen der Traurigkeit. Die immer fremd sind unter den Menschen.
– – dann bist du eine schmerzliche Witwe geworden und deine Träume sind stumm wie ein vergittertes Fenster –
Aus einem alten Gebetbuche.I
In einer engen und dunklen Judengasse stand das alte Haus. Die Regentage, die an seinen Fenstern vorübergiengen, wurden seltsam und ungewohnt in seiner Nähe und wenn der Wind am Abend an den verblichenen Fensterläden rüttelte, brachte er leise und traurige Worte mit, die er draussen auf der Gasse gefunden hatte. Das Thor war tief und finster. Und rechts an der niedrigen Wand war ein Thürgriff aus rothem Glase, der in der Dunkelheit beinah leuchtete. Drinnen sassen sieben Frauen im Salon. Es war keine Senne in dem Raume. Das kam daher, weil die Fenster verhangen waren und eine Legende in ihren Scheiben gemalt war, dass kein Licht durchkonnte. Irgend eine Wundergeschichte, die vor tausend Jahren einmal in dieser Stadt geschehn, stand in den Fenstern. Der rothe Plüsch verdeckte sie zur Hälfte und es war nur ein Weib zu sehen, das ihre Hände hob und unsagbar angstvolle Augen hatte. Wenn die Sonne draussen auf die Scheiben schien, dann wurden sie farbig und dunkel und die Augen der Frau wie ein Brand. Dann wandten sich die sieben Frauen nach der andern Seite, dass sie nicht hinblicken mussten.
Nur die Veronika Selig sah manchmal hin. An langen und schweigenden Nachmittagen, wenn die andern auf dem grossen Sammtsopha sassen und Geschichten erzählten und sich küssten. Und da war ihr dabei beinahe immer, als ob sie diese fremden Augen kennen müsste mit ihrem Geheimnis. Aber sie konnte sich nicht besinnen. Es war ja schon sehr lange, dass das Leben hinter ihr war und nie mehr kommen würde. Damals hatte sie viele Mütter gekannt und auch die Augen im Fenster. Denn dass es eine Mutter war, die bange Frau dort, wusste sie. Es war das so eine Erinnerung aus den Jahren, da sie sich noch um die Menschen gekümmert hatte und um die Herzen. Nur den Namen kannte sie nicht. Es musste ein langer und weicher Name sein, mit einem wunden und kranken a am Schlusse, das sie noch im Gedächtnis hatte vom Leben. Eine grosse Heilige hat einmal so geheissen. Eine schmerzhafte Heilige. Daran dachte die Veronika an vielen Tagen.
Sie war die Königin unter den sieben Frauen. Sie war die grösste und hatte das schönste Haar. Und sie war auch die einzige, die das leise Pochen und Tappen vernahm, wenn es im Hause ganz still war und es dann über die dunklen Treppen gierig, langsam und tastend, und als ob es jemanden suchen würde. Sie hörte das Klopfen und Suchen schon zwei Jahre lang. Seitdem sie in das alte Haus gekommen war und nun an den Nachmittagen sass und wartete. Schon oft hatten die andern die Veronika gebeten, sie solle ihnen ihre Geschichte erzählen, wenn sie allein waren und sich bei den Händen hielten. Aber die Veronika hatte immer geschwiegen. Sie wusste ja nichts mehr, sie hatte alles vergessen, was einmal geschehen war, damals im Leben. Und so kam es, dass die andern sie gar nicht kannten und dass sie ihnen fremd war wie das Bild im Fenster. Die andern kannten sich alle. Sie wussten von einander und sie liebten jede das Schicksal der andern und lebten darin. Ihre Erinnerungen wuchsen in einander und sie sprachen und sprachen und die Wege ihres Lebens verloren sich. Nur die Veronika hatte ihr eigenes Schicksal. Und dieses Schicksal machte ihre Augen dunkel und machte sie zur Königin.
Hundert Schritt von dem Hause stand die Synagoge. Es war dieselbe, in die sie beten gegangen war als Kind. Und wenn die verregneten Nachmittage in die Strasse kamen, konnten die sieben Frauen das ganz leise Singen hören und dann wurden sie stumm und schwiegen. Auch wenn die Leute an dem Fenster vorübergiengen, lauschte die Veronika. Wenn die Schritte weiter und weiter wurden und nie mehr wieder kamen. Und sie dachte daran, dass das Leben gestorben wäre. Und jetzt geht es über die Treppen und pocht und tastet und sucht die Veronika. Aber die Veronika sitzt in dem rothen Zimmer und lässt sich nicht finden. Sie ist eine von den sieben Frauen geworden. Und sie denkt gar nicht mehr an das Leben. Sie schweigt nur immer und schaut zu dem Plüschvorhang hin, zu den zwei Augen im Fenster.
II
In diesem Sommer zog Roman Maria in die Gasse ein und nahm fast gegenüber dem Hause seine Wohnung. Roman Maria war ein Student. Ein harter und wilder Mensch, blass und verwüstet im Gesichte. Der die Dirnen schlug und mit Füssen trat, wenn er betrunken war vom Weine. Von dem die Leute nicht wussten, woher er sein Geld nahm und wie er lebte. Und der eine sehr alte und sonderbare Geige besass.
Am Abend war er in den Schänken und trank. Aber es kam vor, dass Roman Maria ganze Wochen zu Hause blieb. Dann lag er auf dem grünen, verschossenen Kanapee und starrte. Oder er schnitt seltsame und fremde Silhouetten aus Papier. Schwarze und arge Gesichter, die alle ein sehr böses Lachen um ihren Mund hatten. An solchen Tagen nahm er auch oft seine Geige. Und dann spielte er stundenlang. Wie verloren war er dann aus dem Leben. Er spielte alles was in ihm war und was er liebte und suchen gieng. Die wilden und geheimen Abenteuer der Stadt. Die heisern Lieder der Chansonetten und ihren geschminkten Mund. Ihre Geberden, die alles hinwarfen unter die Leute wie einen heissen Traum, den man von sich schüttelt. Die trotzig waren und resignirt und buhlerisch. Und das Lachen der Frauen in den Schänken spielte er, wenn sie auf seinen Knien sassen und der Rauch der Cigaretten ihre Augen verschleierte. Seine Sehnsucht nach der Schmerzen der andern und den grossen verschwiegenen Tragödien seiner Stadt. Wenn Roman Maria Geige spielte, dann konnte er Thüren und Fenster schliessen, man hörte ihn doch auf der Strasse. Seine Lieder drangen durch die Mauern der alten Häuser und wenn er seine einsame Woche hatte, dann hörte man sein Spiel bis im letzten Hause der dunklen Gasse. Ganz leise klang die Geige und traurig, aber deutlich und wild und trotzig dabei und unsagbar krank.
Auch die sieben Frauen im Hause gegenüber hörten nun Roman Maria oft seine Geige spielen. Und sie kannten ihn schon und warteten jeden Tag, bis er beginnen würde. Dann ward es ganz still in dem rothen Zimmer. Veronika schlug die Hände vor ihr Gesicht und blieb dann unbeweglich und rührte sich nicht. Und da kam dann von der Gasse und wie aus der Feme, tief, tief aus der Stadt, die Geige Roman Marias und drang durch die Scheiben mit der alten Legende und drang durch den Plüschvorhang beim Fenster. Und dann erzählte die Geige alle die Dinge wieder, die draussen im Leben geschahn. Und tolle Märchen wusste sie, heisse und schwermüthige von der Liebe der andern Menschen. Dann wurde sie dunkel und schwer wie der Abend. Sie sprach von den Strassen und den langen Tagen der Städte. Und von den Nächten, wenn die Lampen brannten und die Frauen rothe Seide am Leibe hatten und geschminkte Lippen. Wenn im Schaumwein die alten Geschichten des Lebens waren, toll und grotesk und wie ein Theaterstück. Seltsame Geschichten, wie Silhouetten der Wirklichkeit, aber mit einem Lachen um den Mund. Und wenn man dann mit ihnen sprach, von den Lampen verrauschter Nächte, vom Fasching des Lebens und du und du zu ihnen sagte – – – –
Das wusste die Geige. Und wenn sie das alles gesagt hatte, dann sahen die sieben Frauen sich an. Und sie dachten dann an den Abend, der kommen würde und jedesmal zu ihnen kam. Wo die Cigaretten die Augen verschleierten und im Schaumwein die alten Geschichten des Lebens waren. Des Lebens, das sie nicht wollten und das nicht herein konnte in das rothe Zimmer. Und das nur die Veronika manchmal tappen und tasten hörte und auf den Stiegen gehn.
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