Dr. Sutherland sagt uns weiterhin, dass die bewegende Kraft für die Funktion beim oder im Fulkrum liegt, nicht an den Enden des Hebels. Er rät uns, den Fulkrum-Punkt im Körpermechanismus zu lesen, dem Funktionieren der Fulkrum-Punkte zuzuhören und es zu spüren, ein Gefühl für die Qualität des Tonus an diesen Fulkrum-Punkten zu bekommen und den Rhythmus während dieser Pause- oder Ruhezeiten zu beobachten. Es handelt sich um frei schwebende, automatisch sich verändernde Fulkrum-Bereiche, und doch sind sie ein Stillpunkt der Balance, ein wichtiger Balancepunkt, den wir suchen können, wenn wir mit Hilfe unseres kundigen Tastsinns mit den Gewebeelementen und ihren flüssigen Inhalten arbeiten, um sie an diesen Funktions-Balancepunkt zu bringen. Wenn wir diese Pause oder Ruhezeit erreicht haben, kommt die Potency der Tide herein für diesen Prozess der Transmutation, der die Funktionen des Körpers normalisiert. Als Ingenieure des Menschen, Ärzte und Behandler haben wir es hier mit der mächtigsten Kraft innerhalb des menschlichen Körpers zu tun, wenn wir lernen, die Tidenbewegungen der Körperphysiologie zu nutzen, Tidenbewegungen, die von einem Meistermechaniker geschaffen wurden.
Aufgrund seiner Studien an sich selbst und detaillierter Untersuchungen aller Anteile des Primären Atemmechanismus konnte Dr. Sutherland behaupten: „ […] dass der arterielle Blutstrom übergeordnet ist; aber die Zerebrospinale Flüssigkeit hat das Kommando.“ 5Um diesen Gedanken noch weiter zu verdeutlichen, fügt er hinzu: „Der A tem des L ebens in der Tide des Liquor cerebrospinalis ist das zugrunde liegende Prinzip des Primären Atemmechanismus.“ Weiter gab er uns detaillierte Anleitungen, wie wir denkende, fühlende, sehende, wissende Finger entwickeln, um die Tide herunterzubringen zu ihrem Stillpunkt, ihrer Pause-Ruhezeit, um ihre Funktion in der Körperphysiologie zu kontrollieren. Wichtig ist es zu wissen, dass wir in unserem Bemühen, zu lernen, wie man die Tide kontrolliert, nicht auf den Kraniosakralen Mechanismus beschränkt sind. Wenn wir in einem Körperbereich Balance im Gewebe- und Flüssigkeitselement suchen, während wir eine Krankheit oder einen krankhaften Zustand aufspüren, lernen wir, die Tide in ihren Balancepunkt oder Fulkrumbereich zu bringen. Wenn wir dies tun, kann ein Transmutationsprozess stattfinden, der die Mechanik der Dysfunktion auflöst, Pathologie korrigiert und wieder Gesundheit für diese Person herstellt. Dies ist das von dem Meistermechaniker entworfene heilende Prinzip, das in unseren Patienten arbeitet; und wir können als Behandlerinnen und Behandler unsere Wahrnehmung entwickeln und beobachten, wie es in den Geweben der Patienten arbeitet.
Bislang habe ich mich auf das Funktionieren der Tide im Körper bezogen und auf die vielen Fulkren, die in der Körperphysiologie arbeiten. Nun ist es an der Zeit, über etwas anderes zu sprechen, was uns Dr. Sutherland mit auf den Weg gab, um unser Verständnis zu vertiefen. Das ist die Stille der Tide – nicht das Auf-und-ab-Fluktuieren ihrer Wellen, sondern die Stille, die man am Fulkrum-Punkt innerhalb der Tide findet. Es gibt eine Potency innerhalb dieser Stille. Der Begriff Stille verwirrt beim Versuch, diese Art der Arbeit zu verstehen, möglicherweise unser Denken. Wie kann es eine Potency oder Kraft oder Energie in der Stille geben? Dr. Sutherland beschrieb das bildhaft: Wenn man auf ein Glas Wasser eine Vibration überträgt, kann man beobachten, wie sich im Zentrum der Wasseroberfläche ein Stillpunkt bildet. Er wies darauf hin, dass dies ein Fulkrum-Punkt innerhalb des Wasserglases sei, und verglich ihn mit dem Fulkrum-Punkt, den wir erreichen, wenn wir die Fluktuation des Liquor cerebrospinalis bei der Kompression des vierten Ventrikels (oder jeder anderen Technik zum Steuern der Tide) zu ihrem Stillpunkt herunterbringen. „Es ist die Stille der T ide, die wir suchen“, pflegte er zu sagen, denn in dieser Stille liegt die Potency der Tide.
Diejenigen von uns, die das Glück hatten dabei zu sein, wenn er über dieses Thema sprach, konnten miterleben, wie der gesamte Unterrichtsraum spürbar still wurde. Dr. Sutherland machte uns darauf aufmerksam und erwähnte, dass dies häufig geschehe, wenn über die Potency in der Tide gesprochen werde. Und es geschah völlig spontan, war nicht geplant oder vorgesehen. Alle Anwesenden konnten die Stille spüren, und er bemerkte: „Können Sie die Veränderung in der T ide spüren?“ Dies geschah für einen Moment, dann war es vorbei. Wir sprechen also über etwas, was in einem vitalen Mechanismus geschieht, in einer Zeitspanne, wenn alle für dieses Geschehen erforderlichen Faktoren richtig abgestimmt sind. Ist in dieser Stille Leblosigkeit, ein Fehlen von Vitalität? Nein. Es ist etwas Lebendiges, birgt Kraft und Potency. Es kann nicht erklärt werden, denn mir fehlen die Worte, es zu beschreiben. Aber es tritt in Erscheinung und es tut gut.
Bestimmt hat es Zeiten gegeben, wo dies auch in Ihrer Praxis geschehen ist, während Sie einen Patienten behandelt haben. Sie werden sich plötzlich bewusst, dass der gesamte Raum in dem Sie arbeiten, in eine Pause oder Ruhezeit zu kommen scheint – und etwas ist anwesend: eine Stille, die jenseits von allem ist, was Sie sich selbst oder dem Patienten erklären können. Es ist ein Gefühl, Ihrem Schöpfer nahe zu sein. Dazu Punkt befragt, sagte Dr. Sutherland: „Wir wissen, es gibt eine Potency. Wir müssen nicht unbedingt wissen, woher sie kommt oder wohin sie geht.“
Die Natur gibt uns viele Beispiele für die Potency und die Kraft in der Stille ihres Funktionierens. Das Auge eines Hurrikans ist ein unglaubliches Zentrum von Stille, und zwar einer sehr potenten Stille. Ebenso ist es ein frei schwebender, automatisch sich verändernder Fulkrum-Bereich, der sich über den Ozean bewegt. Die Winde, die über die Erdoberfläche blasen, können nicht überall gleichzeitig wehen. Es muss einen Stillpunkt geben. Die Achse eines Rades muss einen stillen Punkt haben, um den das Rad sich dreht. So könnte man weiter und weiter Beispiele finden. Sind diese Beispiele lebendige Systeme in der Natur? So werden sie von uns nicht eingeordnet. Aber in der Körperphysiologie biologischer Systemen, stoßen wir auf Prinzipien und „ […] keine menschliche Hand hat ihre Gesetze geformt“ 6, und wir finden, dass die Stille der Tide in den Funktionsabläufen des Körpers Kraft und Potency in sich birgt. Wir haben es nicht mit einem statischen Mechanismus zu tun, bei dem wir sagen, wir sind still, wenn wir hier in unseren Stühlen sitzen. Unsere Körper sind ein dynamischer Energiefluss, der vom Moment der Empfängnis an das ganze Leben hindurch funktioniert, und innerhalb dieser Energiefelder gibt es Momente der Stille, zeitliche Fulkrum-Punkte für verschiedene physiologische Bedürfnisse – und all dies zentriert mit der Potency der Stille als der bewegenden Kraft für die darauf folgende Handlung. Wir müssen den Mechanismus dieser Stille begreifen und beim Behandeln unserer Patienten nutzen. Es ist nicht notwendig, dass wir vollständig verstehen, was sie ist oder woher sie kommt oder wohin sie geht, nachdem sie uns in diesem Moment von Nutzen war – die Stille der Tide in der Körperphysiologie.
Bis jetzt habe ich über Funktion, das frei schwebende, automatisch sich verändernde Fulkrum und die Tide, die Stille und die Potency gesprochen, die innerhalb all dieser Facetten in der Körperphysiologie agieren. Es scheint, als ob ich versuche, eine theologische Hypothese zu entwickeln, um dieses Art Arbeit zu erklären. Das ist allerdings nicht der Fall. Ich versuche lediglich, Ihnen zu zeigen, dass der Schöpfer des menschlichen Körpers und seiner Mechanismen mehr als ein passiver Begriff ist, von dem wir nur sprechen, ohne an ihn zu glauben und ihn zu nutzen. Zur Wissenschaft der Osteopathie gehört das tägliche, aktive Nutzen des Schöpfers. Osteopathie ist eine erworbene Kunst, nicht nur eine Wissenschaft; und ich mag das Zitat, das ich irgendwo gelesen habe: „Sei in Frieden mit Gott, wer und was auch immer Er deiner Meinung nach ist. Und was auch immer Deine Wünsche und Sehnsüchte in dieser lärmenden Verwirrung des Lebens sein mögen: ‚Sei im Einklang mit Deiner Seele.‘“ Daher brauchen wir in unserer täglichen Praxisarbeit Werkzeuge zum Verstehen und Nutzen eines Spirituellen Fulkrums.
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