»Sie wird wiederkommen«, wiederholte Aschinger. »Sie hat ja noch ihre Kleider in meiner Suite. Ganz bestimmt.«
»Ganz bestimmt«, murmelte Sebastian.
»Morgen wird alles wieder in Ordnung kommen«, brummte Aschinger, trank das Glas leer und bestellte zwei Whisky.
»Wir sollten jetzt nach oben gehen. Es war ein anstrengender Tag für uns«, mahnte Sebastian vorsichtig.
Aschingers Augen wurden wieder verschwommen und seine Bewegungen fahriger. »Du musst das verstehen, Johnny. Ich habe mir bisher wenig aus Frauen gemacht. O ja, ganz Berlin will mir seine Töchter andrehen! Die meisten waren dumme Gänse, die nur auf mein Geld aus waren. Aber die Sieglinde, die ist frisch wie eine Morgenbrise, sie ist so lebendig. Sie lässt mich ein ganz anderer Mensch sein. Was würde Teichmann lachen, wenn er von dem heutigen Abend erfährt! Du darfst ihm nichts davon sagen, Johnny, hörst du? Kein Wort zu Teichmann!«
»Selbstverständlich, Herr Aschinger, von mir erfährt er kein Wort.«
»Teichmann hat kein Blut in den Adern. Und wenn, dann ist es das kalte Blut eines Fisches. Aber er ist ein brauchbarer Mann. Ohne ihn wäre ich aufgeschmissen. Wir beide, Johnny, sind keine kalten Fische, wir sind Träumer. Wir beide lieben Balzac und Zola und die ganzen ollen Franzosen, nicht wahr?« Er legte Sebastian den Arm um die Schulter und stammelte weiter: »Ich werde die Sieglinde bekommen. Trotz allem. Und du, mein lieber Johnny, wirst unser Trauzeuge sein, und wir werden eine Hochzeitsfeier haben, von der ganz Berlin sprechen wird. Ich sollte abnehmen, hat Sieglindchen gesagt. Das werde ich tun, und ich werde so schlank werden wie dieser Staufenfels. Es kommen harte Zeiten auf meinen Magen zu.«
Das trunkene Gerede ging noch lange weiter. Schließlich waren sie die Einzigen in der Bar. Endlich hatte Sebastian Aschinger überzeugt, dass es Zeit war, zu Bett zu gehen. Er musste ihn stützen, damit sie die Bar verlassen konnten. Im Fahrstuhl fiel Aschinger immer mehr zusammen, und letztendlich musste ihn Sebastian zu der großen Suite schleifen, ihn aufs Bett legen und ausziehen.
»Sie wird zurückkommen!«, murmelte Aschinger noch, bevor er zu schnarchen anfing.
Sebastian nickte seufzend, fuhr dann mit dem Fahrstuhl hinunter und ging aus der Halle auf den Place Vendôme. Er war zu aufgewühlt, um schlafen zu können. Die Laternen brannten noch rund um den Platz, aber die Statue des Napoleon war nur noch ein Schatten. Jetzt im Halbdunkel war der Platz noch schöner, weil keine Automobile mehr vorbeikamen und er leer und geheimnisvoll vor ihm lag.
»Eine schöne Nacht, nicht wahr?«, sagte jemand hinter ihm mit englischem Akzent.
Er drehte sich überrascht um. Er erinnerte sich, der Mann hatte, bevor sie ins Fuego gingen, in der Ritzbar neben ihnen gesessen. Er war in seinem Alter, trug einen gepflegten Schnurrbart und hatte ein breites Gesicht mit roten Haaren. »Ja, in der Tat, für eine Herbstnacht ist es erstaunlich mild. Sie sind Engländer?«
»Ja, ich komme aus Kent. Ich bin Viscount Burnberry, meine Freunde nennen mich Jack.« Er reichte Sebastian die Hand.
Dieser stellte sich ebenfalls vor und fügte hinzu, dass er der Sekretär des Fritz Aschinger sei.
»Der Aschinger aus Berlin?«
»Ja, genau der. Sie haben von ihm gehört?«
»Aber ja! Wer kennt nicht den Namen? Ist es der kleine, dicke Kerl mit diesem viel zu jungen schönen Mädchen?«
»Ja. Leider ist sie nicht nur schön, sondern auch sehr kapriziös.«
»Ja, das sind schöne Frauen meistens. Sie scheinen sehr tüchtig zu sein, wenn Sie in Ihrem Alter bereits Sekretär eines so berühmten Mannes sind.«
»Vor kurzem war ich noch ein Bauernjunge, der nicht wusste, was er mit seinem Leben anfangen sollte.«
»Erstaunlich! Das spricht für Sie. Schade, dass ich den Aschinger nicht persönlich kennengelernt habe. Wie soll man auch darauf kommen, dass der kleine, dicke Deutsche neben einem in der Ritzbar der große Aschinger ist! Wir haben auch ein Hotel in London. Es ist zwar nicht das Ritz, aber es hat eine gute Lage, gegenüber dem St. James’s Park. Es war früher einmal das Stadthaus der Burnberrys, in den guten alten Zeiten. Mein Vater, der Earl, muss ganz schön knapsen, damit wir heute über die Runden kommen.«
»Aber das Ritz in Paris können Sie sich noch leisten!«, erwiderte Sebastian lachend.
»Ja, dafür reicht es noch«, stimmte der Viscount lachend zu. »Aber über kurz oder lang werde ich reich heiraten müssen – oder meine Pferde gewinnen in Newmarket oder Ascot.«
»Sie züchten Pferde?«
»Was soll ein Gentleman sonst tun? Wir leben nicht mehr in den Zeiten der guten Queen Victoria. Selbst eine Karriere in der Army ist heute kaum noch erstrebenswert, dafür gibt es zu wenig Kriege.«
»Gott sei Dank! Nach dem Weltkrieg sollte man sich Krieg in Europa nicht mehr wünschen.«
»Euer Hitler scheint da wohl anderer Meinung zu sein. Eine Zigarette?« Er hielt Sebastian ein silbernes Zigarettenetui hin.
Sebastian schüttelte den Kopf. »Das Laster habe ich mir noch nicht angewöhnt.«
»Sehr löblich! Ich komme ohne die Glimmstängel nicht mehr aus.« Er zündete sich die Zigarette an und stieß den Rauch aus.
»Wieso können Sie so gut Deutsch?«
»Meine Mutter ist Deutsche, eine von Schulenfeld. Wir haben einige Güter in Mecklenburg, und ich bin wenigstens einmal im Jahr in Deutschland. Wir können uns ruhig duzen. Ich heiße Jack.«
Burnberry reichte ihm die Hand. Sebastian schüttelte sie erfreut, stellte sich vor und sagte: »Melde dich, wenn du mal in Berlin bist! Ich zeige dir das schöne Spree-Athen.«
»Mach ich, Sebastian! Und du meldest dich, solltest du mal in England sein.«
Als sie sich trennten, hatte er das Gefühl, einen Freund gewonnen zu haben. So geht es also auch, dachte Sebastian. Jack war der Sohn eines Earls und hatte keine Bedenken, mit ihm Freundschaft zu schließen. Er sah noch einmal zu dem Kaiser hoch, der seine Marschälle auch nicht nach der Ahnenreihe, sondern nach Verdienst gewählt hatte. Wenn Aschinger aufwachte, würde er sich der Tatsache stellen müssen, dass er sein Waterloo hinter sich hatte.
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