»Hört euch das an!«, sagte Aschinger und blickte zur Decke. »Solch einen Spinner habe ich um mich!«
»Er ist ein romantischer Mensch«, verteidigte ihn die Baroness.
»Ihr ergänzt euch gut: Während du zu viel an Zahlen denkst, denkt er an Menuette, Degenkämpfe und die Prinzessin, die es auf einem weißen Pferd zu entführen gilt.«
Sebastian bekam einen roten Kopf. Hoffentlich trägt sie nicht noch dicker auf, sonst wird Aschinger noch eifersüchtig, dachte Sebastian.
Dann fuhren sie in Paris ein. Zuerst sah es nicht anders aus als in Berlin. Mietskasernen, baufällige Fabriken, schmutzige Hinterhöfe. Nur die Aufschriften an den Wänden – Dubonnet oder Châteauneuf du Pape – verrieten, dass man in Frankreich war. Am Bahnhof Gare de l’Est war Endstation. Auf dem Bahnsteig wurden sie bereits von dem Hotelpersonal erwartet, das das Gepäck übernahm. Der Geruch auf dem Bahnsteig war anders als in Berlin. Es roch nach verbranntem Gummi, nach Ruß, nach scharf geröstetem Kaffee, Knoblauch und schwarzen Zigaretten. Sie gingen, die Kofferträger als Vorhut, durch die drängenden Menschen hinaus auf den Vorplatz, wo auf der anderen Straßenseite die Bistros wie eine Perlenkette um den Bahnhof lagen. Die Sonne war herausgekommen und kündigte einen schönen Herbsttag an.
»Herrlich, wieder in Paris zu sein!«, rief die Baroness und wirkte nun nicht mehr müde und überanstrengt, sondern sah so frisch aus, wie es dem Morgen entsprach.
Sie stiegen in den riesigen Kraftwagen, den das Hotel geschickt hatte, und die Baroness sagte etwas auf Französisch zum Chauffeur. Dieser nickte eifrig.
»Ich habe ihm gesagt, dass er eine Runde um den Place de la Concorde machen und dann zurück am Palais Royal vorbei zur Opéra fahren soll«, erklärte sie. »Das ist zwar ein kleiner Umweg, aber jedes Mal, wenn ich in Paris bin, muss ich diese Runde drehen.«
Auf der Place de la Concorde sprangen die Fontänen. Die Champs Élysées mit dem fernen Arc de Triomphe sah aus wie eine Straße zum Himmel. Sie fuhren über die Rue de Rivoli am Hotel Regina mit der goldenen Jeanne d’Arc vorbei, ließen rechts das Palais Royal zurück, um dann auf die Oper zuzufahren, deren Engel glanzvoll von dem Zeitalter des letzten Kaisers kündete.
Sebastian starrte fasziniert auf die drängenden Menschenmassen auf den Bürgersteigen, auf die um sie herumwuselnden Automobile. Er war von Berlin, vom Potsdamer Platz mittlerweile Verkehr gewohnt, aber dort war bei allem Durcheinander doch eine gewisse Ordnung. Hier aber drängten sich die Wagen chaotisch durch die Straßen. Niemand hielt sich an die Verkehrsregeln, die durch die Hupen ersetzt wurden – und doch lief alles glimpflich ab. Er wusste nicht, wohin er zuerst sehen sollte. Paris schien hier in der Mitte der Stadt nur aus Palästen zu bestehen, die dem Aschinger-Palais nicht nachstanden.
Dann fuhren sie auf einen Platz, auf dem eine große Säule stand. Der Platz wurde von Häusern umsäumt, die allesamt wie die Wohnstatt von Königen aussahen.
»Der Place Vendôme«, sagte die Baroness seufzend. »Die Säule dort ist aus den erbeuteten Kanonen von Austerlitz gegossen worden. Der Cäsar dort oben soll Napoleon darstellen. Und das hier vor uns, Johnny, ist das berühmte Ritz, das beste Hotel der Welt!«
Aschinger brummte missvergnügt. Der Wagen hielt vor dem Hotel. Der Portier eilte herbei und riss die Wagentür auf.
»Willkommen im Ritz, Herr Aschinger!«, begrüßte er sie auf Deutsch. Es hatte sich bis nach Paris herumgesprochen, dass Aschinger der deutsche Ritz war. Sie brauchten nicht an die Rezeption zu gehen, der Geschäftsführer, der Aschinger gut kannte, empfing sie persönlich.
»Schön, Fritz, dich wieder einmal bei uns zu haben! Diesmal bist du früher dran als sonst.«
»Ja, diesmal wollen wir uns in Paris ein wenig amüsieren.«
»Großartig! Ob du ins Moulin Rouge oder in die Opéra willst, wir werden dafür sorgen, dass du die besten Plätze erhältst.«
»Darf ich dir meine Begleiterin, die Baroness von Weinberg, vorstellen?«, sagte Aschinger mit sichtlichem Stolz.
Der Geschäftsführer, ein schmaler, kleingewachsener Mann mit einem Menjoubärtchen, verbeugte sich zu einem Handkuss. »Madame, wir werden uns bemühen, Ihnen jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Die Freunde von Herrn Aschinger sind auch unsere Freunde. Sie werden sehen, dass wir es zu würdigen wissen, den König von Berlin und seine Begleitung bei uns zu haben«, sprudelte er, sichtbar angetan von der Baroness.
»Schon gut, mon ami «, sagte Aschinger und klopfte ihm auf den Rücken. »Heute Abend essen wir im Hotel. Für morgen Abend bestell bitte einen Tisch im Le grand Vefour. Dann sehen wir weiter.«
Sebastian wurde von Aschinger nicht vorgestellt. Er gehörte zu den Domestiken.
Sie wurden unter den Blicken des Concierge und der Angestellten hinter dem rotbraun blitzenden Tresen vom Geschäftsführer zum Fahrstuhl geführt. Die Gäste an der Rezeption sahen sich wegen des Auftriebs nach ihnen um.
Sie wurden zur Präsidentensuite geführt, die an der Fensterfront zum Place Vendôme lag. Wenn Sebastian durch Aschingers Haus und den Fürstenhof schon an einigen Luxus gewöhnt war, so wurde der von diesem hier im Ritz noch übertroffen. Die Räume sahen aus, als hätte man das Schloss Versailles hierher versetzt. Die Suite glitzerte golden und silbern, und ein Kristallkronleuchter von der Größe eines Wagenrades ließ, verstärkt durch die Spiegel, den Salon wie einen Diamanten aufleuchten. Überall standen mächtige Blumenbouquets in hüfthohen chinesischen Vasen. Auf den Tischen mit den goldverzierten Füßen lockten riesige Schalen mit Obst. Sie gingen auf teuren türkisfarbenen Teppichen aus Isfahan. In den Vitrinen stand kostbares Porzellan aus Limoges.
Aschinger nickte gleichmütig. »Schön, alles wie gehabt.«
»Wenn irgendetwas fehlt, sag es bitte!«
»Es ist alles in Ordnung, mon ami . Johnny, deine Suite ist nebenan. Wir treffen uns in einer halben Stunde unten am Empfang.«
Der Hoteldirektor führte Sebastian nach draußen an das Ende des Korridors und schloss eine kleine Suite auf. »Ich hoffe, Sie werden sich bei uns wohl fühlen«, sagte er und wies mit einer Verbeugung auf das mit Stilmöbeln eingerichtete Zimmer.
Sebastian ging ans Fenster. Er sah auf einen kleinen Innenhof, in dem Kastanien standen. Seitlich hatte er einen Blick auf Napoleon, der – als Cäsar verkleidet – als Statue über dem Place Vendôme thronte.
»Ich hoffe, es entspricht Ihren Wünschen«, sagte der Geschäftsführer.
Sebastian nickte. »Es ist alles bestens.«
Der Geschäftsführer gab ihm den Schlüssel. »Ich zeige Ihnen noch die anderen Räume. Dort links ist das Schlafzimmer, und hier gegenüber ist das Bad.«
»Sehr schön«.
»Sie sind Herrn Aschingers Sekretär?«
»Ja, sein Privatsekretär«, wiederholte Sebastian automatisch, immer noch ganz gefangen von der Pracht. So wohnten Könige – und er, ein Bauernjunge aus dem Brandenburgischen, wurde gefragt, ob es seinen Wünschen entsprach! Er hätte sich vor kurzem nicht einmal im Traum vorstellen können, dass man solche Wünsche haben konnte. Er besichtigte das Schlafzimmer, dessen Bett so breit war, dass drei Personen darin schlafen konnten. Auf dem Tisch im Salon stand ein Kübel mit Champagner. Das Bad war ähnlich prächtig wie im Palais Aschinger. Mit einer Verbeugung verabschiedete sich der Geschäftsführer und wünschte ihm einen schönen Aufenthalt.
Sebastian nahm die Flasche aus dem silbernen Kübel, öffnete sie und goss sich einen Kelch ein. Im Spiegel prostete er sich zu. »Auf dein Wohl, Sebastian Lorenz, Bauernjunge, Notariatslehrling, Zapfhilfe in der Bierquelle und Sekretär des großen Aschinger! Weit hast du es gebracht!« Doch wenn er aufwachen würde und alles wäre vorbei? Würde er sich jemals wieder an die kleine Stube in Schönberg gewöhnen, an den verschmutzten Hof, an den Geruch von Pferdeäpfeln oder an die trockene Luft, wenn Korn gedroschen wurde und kleine Strohhalme durch die Luft flogen? Wer einmal von goldenen Tellern gegessen hat, gab sich nicht gern mit einem Blechnapf zufrieden. Ihm fiel ein, dass er Damrow anrufen wollte, und ging zum Telephon. Dem guten Harry fiel ein Stein vom Herzen, als Sebastian ihm sagte, dass Aschinger einverstanden sei. Ehe er sichs versah, war die halbe Stunde vorbei. Er stürzte aus seiner Suite und fuhr in die Empfangshalle hinunter. Aschinger und die Baroness warteten bereits auf ihn.
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