Heinz-Joachim Simon
Alexanders letzter Traum
Historischer Roman
Simon, Heinz-Joachim : Alexanders letzter Traum. Historischer Roman. Hamburg, acabus Verlag 2018
Originalausgabe
ePub-eBook: ISBN 978-3-86282-665-0
PDF-eBook: ISBN 978-3-86282-664-3
Cover: © Annelie Lamers, acabus Verlag
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Pothos:
„Das Feuer, das Alexander entzündete, hat lange nur geglommen.
Vielleicht glimmt es auch heute nur, aber es ist nie erloschen und kann nie ganz ausgelöscht werden.“
William Woodthorpe Tarn, Alexander der Große „Die Welt, in der ich mich am wohlsten fühle: der griechische Mythos.“ Albert Camus
Für Dieter Topel,
den großherzigen,
tapferen Freund.
Die Niederschrift des Leonnatos, Bote des Apollon und Gefährte Alexanders.1. Buch Der Sohn des Amun
1.
Es war kein Gott. Am Anfang glaubte er, im Auftrag der Götter zu handeln, und dafür stand ihm eine genügende Anzahl zur Verfügung. Und weil sich alles so gut für ihn fügte, glaubte er schließlich, zu ihnen zu gehören und sah sich gleichberechtigt im Kreis der Götter. Jedenfalls meistens. Schuld daran hatte Olympias, seine Mutter, die ihm von Kindesbeinen an Vorträge hielt, dass Achilles zu ihren Ahnen zählte, und Philipp, sein Vater, war kaum bescheidener und verwies auf Herakles. Wenn man dies ein ganzes Kindesleben lang erzählt bekommt, dann bleibt etwas davon hängen, und so kam es, dass er mit dem Sterblichsein nicht zufrieden war und sich damit überanstrengte, ein Gott zu sein. Er konnte kaum seinen Namen nennen, da hörte er auch schon, dass bei seiner Geburt der Tempel der Artemis zu Ephesos gebrannt und der Gott Amun in Gestalt einer Schlange ihr, der Olympias, beigewohnt habe. All dies hätte auch jemand, der mit nüchternem Sinn ausgestattet ist, schließlich um den Verstand gebracht. Aber Alexander war zudem noch ein Mensch mit viel Herz und der Fähigkeit, sich die Träume seiner Kindheit zu bewahren. Dies vermischt mit dem Glauben, ein Gott zu sein und dass das Schicksal nie Dagewesenes mit ihm vorhabe, zusammen mit dem Ehrgeiz, alles zu übertreffen, was je getan wurde, machten aus ihm eine Sagengestalt, die das Staunen der Welt hervorrief.
Jawohl, die Menschen haben ihn bestaunt wie den Olymp und doch war ich am Ende der einzige Freund, den er hatte. Aber ich war ihm nicht Hephaistion, der ihm so bereitwillig seine Schenkel öffnete. Ich habe mich dagegen allein auf die Frauen konzentriert, und dies hat mir Kummer genug eingebracht. Mir auch noch Ärger wegen der Männer einzuhandeln, kam mir nicht in den Sinn. Aber nach Hephaistion war ich sicher derjenige, dem sich Alexander am meisten anvertraute, jedenfalls in den letzten Wochen seines Lebens.
Ich, Leonnatos, Sohn des Anthes, sollte nach Alexanders Willen Herr über Asien werden und seinen letzten Traum erfüllen. Ich sollte aus dem, was er mit der Hochzeit in Susa eingeleitet hatte, zum größten Wunder der Menschheitsgeschichte führen. So hatte er es vorgesehen. Jawohl, er nannte einige von uns seine Verwandten, was nicht auf Blut und Samen zurückzuführen war, sondern seine Worte, seine Umarmung, sein Kuss hob uns aus den Gefährten heraus. Nur bei mir kam noch anderes dazu, wovon noch zu berichten sein wird.
Nun, wo er tot ist, glauben sie alle, seine Gefährten und Nachfolger, dass sie so sein können wie er. Sie gebärden sich als kleine Alexander, ahmen seine Körperhaltung nach, kämmen sich das Haar wie er und schaben sich das Gesicht und sind dennoch bestenfalls schlechte Kopien. Alle haben ihn verraten und sich aus dem, was er hinterließ, einen blutigen Fetzen herausgerissen.
Dies ist die wahre Geschichte des Alexander und es ist die Geschichte von Hephaistion, Perdikkas, Peukestas, Lysimachos, Seleukos, Krateros, Eumenes und Ptolemaios und die, die nicht mehr unter uns weilen, die für Alexander starben oder von und durch ihn gemordet wurden. Aber in erster Linie ist es meine Geschichte. Und ich schreibe sie nieder, weil er, Ptolemaios, mir seine Sicht des Alexanderzuges geschickt hat. Fünf Rollen liegen vor mir, und ich muss ihm zugestehen, dass er das Leben unseres Königs und Gottes gar nicht so schlecht erzählt. Ein bisschen steif vielleicht, aber sein Machwerk gefällt mir besser als die Lobeshymnen des Kallisthenes, diesem missratenen Neffen des Aristoteles. Aber es ist nicht Alexander, der darin vorkommt, sondern so eine Art anbetungswürdige Marmorstatue. Als hätte sich Ptolemaios an den Statuen eines Phidias berauscht. Nun, Ptolemaios ist kein Homer und wenn er noch so oft die alten Heldensagen beschwört. Er will nun meine Meinung dazu hören und ich soll ihm die Absolution erteilen. Er glaubt etwas Unvergleichliches geschrieben zu haben. Unvergleichlich sind die Taten Alexanders. So einen wie ihn hat es noch nie gegeben, und ich wage zu behaupten, dass es so einen wie ihn auch nie wieder geben wird. Er streicht sich auch kräftig heraus, der gute Ptolemaios, und natürlich komme ich in seiner Niederschrift kaum vor, dafür umso mehr er. Schließlich glaubt er, seit er Pharao ist, zu den Unsterblichen zu gehören und Ahnherr einer Dynastie zu sein, die noch in tausend Jahren Ägypten regiert. Mit weniger gibt er sich nicht mehr zufrieden. Wer miterlebt hat, wie schnell die Nachkommen Alexanders, der Sohn der Roxane, aber auch der kleine Herakles, Sohn der Barsine, gestorben sind, muss hinsichtlich der Langlebigkeit von Dynastien eigentlich skeptisch sein. Alexanders Kinder wurden getötet. Sie wurden ermordet von denen, die ihm alles verdanken. Auch wenn ich daran keinen Anteil hatte, so bedrückt es mich doch, dass ich dies nicht verhindern konnte. Der Papyrus des Ptolemaios verschweigt vieles. Alexanders Vermächtnis und die Hochzeit zu Susa, die alles einleiten sollte, wird ein pittoreskes Ereignis, ihm nur eine Randnotiz wert.
Ich soll ihm schreiben, ob er den richtigen Ton getroffen, ob er die Taten angemessen schildere oder etwas vergessen habe, was zu schildern notwendig ist. Ich sei doch in den letzten Tagen des göttlichen Alexander, so schreibt er ein wenig ölig, dessen liebster Begleiter gewesen. Dies schreibt er jedoch nur in seinem begleitenden Brief, aber in seinem Bericht über Alexander steht davon nichts, was sicher kein Zufall ist. Er wusste, dass ich Alexanders Tagebücher habe und an einem eigenen Bericht über den Alexanderzug arbeite und dies hat ihn sicher nervös gemacht. Erinnerungen können trügen und man solle sich abstimmen, schreibt er. Er war schon immer ein Fuchs, mein Freund Ptolemaios, der Alexander und mich verriet.
Vor mir liegen die Armreifen, die Halsketten, die mir einst Alexander schenkte und mich als Verwandten und Strategen auszeichneten. Wie fing alles an? Je tiefer ich in meine Vergangenheit eindringe, desto klarer wird mir, dass auch mein Bericht über den Alexanderzug, eine sehr persönliche Schilderung ist. Es ist meine Wahrheit, meine Sicht der Ereignisse. Es ist keine Aneinanderreihung von Triumphen, Schlachten und Morden. Jawohl, Alexander war ein Mörder, aber war das nicht auch Achilles, den Homer so unübertroffen besingt, dass man dem Sohn der Thetis nachsieht, welchen Frevel er dem Hektor antat? Ich werde Alexanders Missetaten nicht verschweigen, genau so wenig wie meine. Ich werde berichten, wie er tötete und dabei lachte und nicht verhehlen, dass auch ich getötet habe. Es klebt Blut an unseren Händen. Ich könnte es auf die Götter schieben, aber nicht sie, sondern wir sind verantwortlich für das, was wir taten. Auch wenn ich vorgab, im Namen Apolls zu sprechen, so standen doch meine Wünsche, meine Vorlieben dahinter. Apollon möge mir verzeihen, dass ich so oft seinen Namen missbrauchte.
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