Sofort tauchten die beiden, kaum hatten sie sich gesetzt, in die Kindheitserinnerungen ein, und die Baroness war wieder ganz das selbstverliebte, übermütige Mädchen wie am ersten Abend in Berlin. Aschinger und Sebastian waren für die beiden so interessant wie das Blumenbouquet auf dem Tisch. Selbst die Gräfin, die es sicher durch Herkunft und Erscheinung gewohnt war, im Mittelpunkt zu stehen, war abgemeldet, was diese mit blitzenden Augen beobachtete. Fritz Aschingers Miene versteinerte immer mehr. Der Verlobungsring musste ihm wie ein Stück glühender Kohle in der Tasche liegen. Schließlich wandte sich der elegante junge Mann mit jenem nachsichtigen Lächeln, das uralter Adel den gewöhnlichen Sterblichen entgegenbringt, wenn er zeigen will, dass man auch nichts Besseres sei, Aschinger zu.
»Und was machen Sie in Paris? Wollen Sie noch ein Hotel kaufen?«
»Nein, diesmal ist es rein privat.«
»So?«, sagte dieser stirnrunzelnd und warf Sieglinde von Weinberg einen irritierten Blick zu.
»Ich zeige Herrn Aschinger, wie schön Paris ist. Mein Vater hat mich darum gebeten. Sie sind gute Geschäftspartner«, erklärte sie schnell.
Sie hatte einen roten Kopf bekommen, und Fritz Aschinger lief ebenfalls rot an, um dann kreidebleich zu werden. Sie war also seine Touristenführerin.
»Wollen wir nachher nicht an die Bar gehen?«, schlug die Baroness hastig vor, um auf ein anderes Thema überzuleiten.
»Gute Idee!«, stimmte ihr Staufenfels zu.
»Geht nachher ruhig schon mal vor! Wir kommen nach. Dieter und ich haben noch was zu besprechen«, sagte die Gräfin kalt.
Dann sprach man ganz allgemein über die Sehenswürdigkeiten von Paris, wie oft man im Jahr im Ritz wohnte und dass der Bubikopf nicht mehr en vogue war und sich wieder eine fraulichere Note in der Mode abzeichnete. Nach dem Dessert, der Spezialität des Hauses, von dem Aschinger kaum etwas zu sich genommen hatte, unterschrieb er die Rechnung und erhob sich.
»Wir sehen uns nachher an der Bar«, zwitscherte die Baroness und winkte mit den Fingern.
In der Bar drängte sich am Freitagabend tout Paris , aber die Kellner waren wohl informiert, wer Aschinger war, und sie bekamen einen Tisch gleich neben dem Klavierspieler. Die Männer waren meist älter und die Frauen sehr jung. Aber es gab auch ältere Frauen mit zu jungen Begleitern, und ihr Schmuck zeugte davon, dass sie sich die jungen Männer leisten konnten. Aschinger bestellte eine Flasche Whisky und musterte seine Umgebung mit unzufriedenem Gesicht.
»Es ist heiß und stickig hier«, brummte er.
»Ach, sei doch nicht so bärbeißig!«, schalt ihn Sieglinde.
»Dieser junge Mann scheint dir ja mächtig zu gefallen«, grollte Aschinger.
»Wir sind gute Freunde«, sagte sie leichthin und sah dabei interessiert den Tanzpaaren zu.
»Wohl sehr gute Freunde …«
»Hör auf, Fritz!«, fauchte sie. »Ich habe vor dem großen Aschinger auch schon ein paar gute Freunde gehabt.«
»Ist ja gut«, knickte Aschinger sofort ein.
»In dieser Bar sollen Ernest Hemingway und Scott Fitzgerald so manche Flasche Whisky getrunken haben«, warf Sebastian ein, um die beiden abzulenken.
Sie gingen nicht darauf ein. Aschinger schenkte sich immer wieder Whisky nach, und Sieglinde von Weinberg kommentierte die Toiletten der anwesenden Damen. Schließlich zog sie Sebastian auf die Tanzfläche.
»Kommen Sie, Johnny! Fritz ist heute unleidlich. Ich will mir nicht den Abend verderben lassen. Paris ist keine Stadt für Trübsinn und Zankerei.«
Sebastian sah ratlos Aschinger an. Dieser wedelte wegwerfend mit der Hand, und Sebastian nahm dies als Einverständnis. »Was soll das heute Abend werden?«, fragte er auf der Tanzfläche.
»Was meinst du?«
»Sie wissen genau, was ich meine.«
»Hör auf, Johnny, ich weiß es doch auch nicht.«
»Er ist jedenfalls auf hundertfünfzig.«
»Dafür gibt es keinen Grund.«
»Wirklich nicht?« Sie schwieg.
Nun erschien Dieter von Staufenfels mit seiner Begleitung. Die Baroness winkte ihm zu und wies auf den Tisch.
»Ach, gehen wir zurück zum Tisch, Johnny!«, sagte sie. »Wer weiß, was Fritz sonst noch anstellt.«
Der Kellner brachte zwei Stühle, und so konnten Staufenfels und die Battenberg neben ihnen Platz nehmen.
»Es sieht doch immer wieder lächerlich aus, wenn die Alten ihre Jugend zurückholen wollen, indem sie sich die Jungen kaufen«, sagte Staufenfels mit zynischem Lächeln, nachdem er das Publikum taxiert hatte.
Aschinger zuckte zusammen, tat aber so, als studiere er die Karte, und bestellte nach einem fragenden Blick zur Baroness noch eine Flasche Champagner. Als der Klavierspieler einen Charleston spielte, zog Sieglinde von Weinberg den jungen Grafen auf die Tanzfläche, und sie legten einen wilden Tanz hin, worauf alle auf der Tanzfläche zu tanzen aufhörten, einen Kreis um sie bildeten und im Takt klatschten. Ihre Fröhlichkeit, ihre Ausgelassenheit und ihre Jugend nahmen alle gefangen und machte das Paar zum Mittelpunkt der Bar. Selbst die Kellner hörten einen Moment zu servieren auf und sahen den beiden zu. Als der Klavierspieler zu einem Paso doble überleitete, mimte Sieglinde von Weinberg eine Flamencotänzerin. Staufenfels umkreiste sie wie ein Torero den Stier, und die Baroness rief »Olé!« und schwenkte das Abendkleid, das Aschinger ihr am Nachmittag gekauft hatte, dabei sah sie noch schöner aus als die Pola Negri. Aschinger verfolgte das Bild mit brennenden Augen.
Außer Atem kamen sie an den Tisch zurück. Nach einer eleganten Verbeugung zu seiner Partnerin sagte von Staufenfels: »Lasst uns ins Fuego gehen! Die haben eine phantastische Zigeunerkapelle und richtige Flamencotänzerinnen, die von einer Grazie sind, wie man es sonst nur in Sevilla sieht.«
»Himmlisch!«, stimmte Sieglinde von Weinberg sofort zu und klatschte in die Hände.
»Ich bin müde«, wehrte Aschinger ab. »Hier im Ritz gefällt es mir am besten. Die Getränke sind wenigstens anständig.«
»Sei kein Frosch, Fritz, tu mir den Gefallen!«, drängte die Baroness und zog Aschinger hoch.
Die Gräfin Battenberg schien auch nicht viel Lust zu haben, dem Vorschlag ihres Begleiters zu folgen. Erst auf einen energischen Blick Staufenfels’ hin willigte sie schließlich seufzend ein. Sie mussten zwei Taxis nehmen. Sieglinde von Weinberg schlug mit bewusst arglosem Lächeln vor, dass sie und Staufenfels im ersten, die Gräfin mit Aschinger im zweiten Taxi fahren sollten, denn sie und Dieter hätten sich so viel zu erzählen.
»Wir nehmen Johnny als Anstandswauwau mit«, sagte sie lachend. Sebastian fühlte sich während der Fahrt nach Montparnasse ungemütlich, aber die beiden beachteten ihn überhaupt nicht und erzählten sich Begegnungen und Ereignisse aus ihrer Jugendzeit und konnten sich vor Lachen kaum halten, während sie über Bekannte und Freunde herzogen. Sie kannten eine Menge wichtiger Leute mit großen Namen. Sie fuhren am Louvre vorbei, durch die Rue de Rivoli über den Place de la Concorde, wo die Fontänen wie silberne Säulen in der Nacht standen, und über die Brücke auf das linke Seineufer. Schon bald waren sie in Montparnasse, wo das Fuego dem Café Rotonde und dem Coupole gegenüberlag. Es war eine Kellerbar. Durch einen dunklen Schlauch ging es in einen Raum, dessen Wände mit spanischen Fahnen und roten Tüchern dekoriert war. Die Sitzgelegenheiten bestanden aus mit Stierhäuten überzogenen Bierfässern. Auf der Bühne neben der Bar zeigte eine Gruppe von Mädchen in prächtigen roten, grünen und blauen Kleidern, wie man in Andalusien Flamenco tanzt. Der Sänger stieß Schreie wie ein Muezzin aus.
Als die Tanzfläche für die Gäste freigegeben wurde, nahm Dieter von Staufenfels die Baroness wie selbstverständlich an der Hand, und beide stampften im Rhythmus des Flamenco auf den Boden. Man sah, dass sie sich prächtig amüsierten. Aschinger hatte für die Damen Champagner und für sich, den Grafen und Sebastian Whisky bestellt.
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