„Wo sprühen wir als nächstes?“
„Im Durchgang gegenüber zur »Rue de Rivoli«.“
„Du läufst nicht allen Ernstes übers offene Gelände? An den Laternen sind Kameras installiert.“
„Wir kriechen durch die Hecken. Dort sind wir für die Überwachungsbeamten unsichtbar.“
„Am Ufer sind wir überhaupt nicht zu sehen!“
„Für wahr! Und kein Mensch sieht dort unsere Botschaften!“
Wenige Meter vor dem »Arc de Triomphe du Carrousel« leuchten im »Cour Napoléon« schlagartig gleißend helle Flutlichter. Schnell ducken sich die ihre Köpfe. Ein rechteckig geschnittenes Gebüsch dient ihnen als Deckung. Aus einem Seitenportal des Museums strömen schwer bewaffnete Soldaten auf den Platz und postieren sich in einer Linie vor der größten der gläsernen Pyramiden.
„Ich habe dich vor den Überwachungsgeräten gewarnt!“, keucht
»33« panisch. „Jetzt sind wir geliefert!“
„Diese Veranstaltung ist staatlicher Natur und hat mit uns nichts zu schaffen. Einer der intriganten und korrupten Politiker empfängt vermutlich mitten in der Nacht einen geheimen Staatsgast. Die Medien sind aus leicht nachvollziehbaren Gründen nicht informiert.
Ich sehe auf jeden Fall niemanden von der Presse.“
„Und ich sehe keine Anzugträger. Nur Uniformierte. Das ist ein Manöver.“
„Im Zentrum der Stadt? Aber egal, lass uns hurtig verschwinden!“
Lautlos schwebt ein unbeleuchtetes Fluggerät heran. Das Luftfahrzeug, welches aus zwei durchdrungenen, ungleichen Zylindern mit einer komplizierten Oberflächenstruktur besteht, landet neben der großen Pyramide, ohne deren Glasfassade zu zerstören. Kurz bevor der seltsame Flieger aufsetzt, umgibt blaues Licht das Gefährt. Staub wirbelt auf. Eine Tür am Rumpf öffnet sich und eine Rampe fährt aus.
„Ich traue meinen Augen nicht! Und ich bin der Auffassung gewesen, alle Flugzeuge der Welt zu kennen! Das Gerät widerspricht allen Regeln der Aerodynamik!“
„Ich sehe weder Kennzeichen noch Flagge. Die Maschine scheint nicht aus Frankreich zu stammen.“
„Das ist garantiert eine asiatische Neuentwicklung. Ungewöhnlich leise!“
Ein Dutzend Männer und Frauen in Zivil schreiten andächtig durch das Tor des »Cour Carrée«, der seit dem Auszug des Finanzministeriums Teil der Ausstellung ist. Zwei Mitarbeiter tragen ein für den Louvre verhältnismäßig kleines Gemälde aus den Beständen der Kunstsammlung heraus.
„Das sind die »Arkadischen Hirten« von Poussin“, erkennt »ME« das Bild aus der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts.
„Erkennst du das Motiv aus der Entfernung?“
„Das Bild ist Thema einer Hausarbeit gewesen“, sagt »ME«.
„Was denkst du?“, fragt »33«. „Hat das Museum das Bild verkauft? Hat der Louvre das Recht, den Besitz der französischen Nation zu veräußern?“
„Das Bildnis umgibt ein Geheimnis. Zwei Schäfer deuten auf den Schriftzug »ET•IN•ARCA•DIAEGO«. Schatzsucher vermuten hinter den Worten einen Hinweis auf das Grab Jesu oder eines Apostels.
Der steinerne Sarkophag steht, dem Gelände nach zu urteilen, in Südfrankreich.“
„Was ein Zufall!“, erinnert sich »33«. „Wir haben uns in Latein mit genau jenem Spruch befasst. »Und in Arkadien ich«, ergibt keinen Sinn! Also haben wir angefangen, die Buchstaben anders aneinanderzureihen. Das ist lustig gewesen. Ich erinnere mich an die Kombination »ET•IN•ARCA•DIAEGO«.
Demnach liegt der Heilige Jacob im Bogen und nicht Jesus!“
„Hut ab! Nicht übel für einen Laien! Jeder Verschwörungstheoretiker nähme dir die Theorie mit Kusshand ab. Das Tor erscheint mir in dem Zusammenhang nicht zu passen.“
„Welche Ecke des »Midi« ist das?“
„Angeblich aus der Nähe von »Rennes-le-Château«.“
Aus dem futuristischen Flugapparat kommen düstere, in lange dunkle Mäntel gekleidete Figuren die Rampe heruntergelaufen. Zwei von den Fremden schleppen eine Packung, dessen Papier mattschwarz gefärbt ist. Ein Anzugträger aus den Reihen der Museumsleute schreitet würdevoll auf die absonderlichen Ankömmlinge zu.
„Das ist unser Staatspräsident!“, entfährt »33« ein Erstaunen. Auf ein Kommando hasten die Schatten eilig zur Seite. Mit übermenschlich großen Schritten eilt ein zweibeiniges Wesen im Format eines Goliaths auf das Staatsoberhaupt zu.
„Glaubst du mir jetzt“, holt »ME« tief Atem, „was ich dir über die Verbindung der Regierung zum Teufel gesagt habe?“
„Der ist annähernd drei Meter groß!“, sagt »33« ein wenig zu laut.
„Leise! Wenn der uns hört, sind wir geliefert!“
Der Riese gibt dem Präsidenten die Hand. Das Landesoberhaupt verbeugt sich unterwürfig und ordnet mit einer Handbewegung die Übergabe des Gemäldes an. Die Museumsmitarbeiter erhalten im Austausch das schwarze Paket. Die dubiosen Gestalten kehren mit den »Arkadischen Hirten« in das Fluggerät zurück, begleitet von dem Giganten, der seinen Untergebenen langsamen hinterherschreitet.
Der Staatschef winkt zufrieden und lächelt politisch korrekt. Geräuschlos entschwindet der Spuk in der Dunkelheit der Nacht. Lastwagen der Armee brausen aus beiden Richtungen auf den »Place du Carrousel« und die Sicherheitskräfte leiten den Abzug ein.
„Zu dumm, ich habe meinen Fotoapparat vergessen! Derartige Aufnahmen sind gewiss ein Leckerbissen für die Boulevardpresse!“
„Das Spektakel hat uns die beste Zeit für eigene Kunstwerke geraubt.
Gleich öffnen die Bäckereien!“
Im Osten graut der Himmel über den Dächern des Palastes. Die zwei stehen unvorsichtigerweise auf und setzen ihren Weg fort. Ein lauter Pfiff ertönt und dringt ihnen bis ins Mark. Einige Soldaten steht im Schatten des Triumphbogens und sind von den mittlerweile Übermüdeten übersehen worden.
„Unbekannte Subjekte!“, ruft ein vermutlich altgedienter Haudegen.
„Dort, an der Hecke!“
„Ergreifen!“, befiehlt eine Frau in Uniform.
Der Fettleibige trampelt los und zerrt am Revolver. Der Verschluss des Halfters klemmt. Der Uniformierte verlangsamt das Tempo, um sich mehr auf das Waffenetui zu konzentrieren.
„Nichts wie weg!“, zischt »ME«. „Lauf!“
Ohne sich umzudrehen, rennen die Ertappten zum »Jardin des Tuileries«.
„Die Vorlagen!“, keucht »33« atemlos. „Ich habe unsere Tüte liegen lassen.“
Ein Schuss fällt! Entgegen aller Vernunft beschleunigen die Freunde in ihrer Todesangst die Laufgeschwindigkeit.
„Feuer einstellen!“, schreit die Vorgesetzte. „Sind Sie wahnsinnig? Sie hatten Befehl, die Agenten festzunehmen, nicht zu erschießen!“
„Das ist ein Warnschuss in die Luft gewesen!“, verteidigt sich der Angesprochene.
„Wir sind nicht im Krieg! Fassen Sie die Kerle, ohne gleich die halbe Stadt zu wecken!“
»ME« und »33« erreichen das Ende des »Louvre« und gelangen an den »Quai François Mitterrand«. Von dort führt der Sprint zur gegenüberliegenden Straßenseite und dort eine Treppe zum »Quai des Tuileries« hinunter. Die Flüchtenden wenden sich nach links und nähern so der »Pont Royal«.
„Durchhalten!“, treibt der sportliche »ME« zur Eile an. „Unter der nächsten Brücke lebt ein Bekannter von mir.“
In den zahlreichen Nischen zwischen den Pfeilern stehen Zelte von Obdachlosen.
„Etienne! – Etienne, bist du da?“
„Wer ist da?“, ruft eine jugendliche Stimme aus einer der Einbuchtungen.
„Ich bin’s, Thomas. Wo steckst du? Uns sind Soldaten auf den Fersen!“
„Uns Kleinkriminelle jagt gelegentlich die Polizei und ihr legt euch mit der ganzen Armee an? Respekt, Kollege!“
Der minderjährige Stadtstreicher zieht einladend die Zeltbahnen auseinander. Die beiden schlüpfen hektisch hinein. Der seit längerer Zeit ohne Körperpflege lebende »Clochard« schließt den Reißverschluss. Aus Erfahrung lässt der Lebenskünstler den Eingang einen Spalt offen, um hinaus zu spähen. Das stampfende Traben sich nähernder Armeestiefel verstärkt sich im Widerhall des Kalksteingewölbes. Unmittelbar vor dem Zelt verschnaufen die Uniformierten. Die Gejagten halten die Luft an. Anspannung und die Hitze treiben ihnen den Schweiß auf die Stirn.
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