Anne Daurer
Das Geheimnis von Möwenpelz
Ein spannendes Abenteuer für Kinder ab zehn Jahren.
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Anne Daurer Das Geheimnis von Möwenpelz Ein spannendes Abenteuer für Kinder ab zehn Jahren. Dieses ebook wurde erstellt bei
1. Auf der anderen Seite
2. Was macht der da?
3. Die Fremdkörper
4. Am Pfefferminzsee
5. Ich krieg das Ding nicht auf
6. Frag mal Nina
7. Altes Zeugs
8. Und jetzt?
9. Seit Ewigkeiten
10. Alles klar?
11. Alles okay
12. Ein Hirngespinst
13. Dann eben nicht
14. Und was hast du gemacht?
15. Einfach so?
16. Isabelle!
17. Die Tür zum Schlüssel
18. Jetzt reicht’s!
19. Spinnst du?
20. Schön hier
21. Wie ein Geist
22. Überall und nirgends
23. Du zitterst ja!
24. Mach dir nicht in die Hose
25. Auf eigene Faust
26. Ganz leise
27. Sag’s einfach
28. Besserwisser!
29. Das wird nichts mehr
30. Vielleicht?
31. Ihre Majestät
32. Spuren
33. Kein Ponyhof
34. Ein Schatz?
35. So ein Gefühl
36. So halt
37. Alles so unglaublich
38. Eine von vielen
Liebe Leserin, lieber Leser,
Impressum neobooks
Die Villa döste in der Hitze wie ein müdes Reptil. Patte dachte an die Riesenschildkröten auf den Galápagos-Inseln. Die lebten mindestens 150 Jahre. Das Haus dort hinten sah tausendmal älter aus. Sein Dachpanzer war zerlöchert. Die Fensteraugen starrten wie Höhlen in die Mittagssonne. Aus der zerrissenen Haut quoll Gestrüpp.
Ob es hier wirklich spukte?
Patte fröstelte, obwohl es tierisch heiß war. Seine Mutter hatte schon früh am Morgen die Hitze beklagt und verkündet, den Sonntag im Haus zu verbringen.
„Und was machst du, Patrick?“, wollte sie wissen, als er seine Schuhe anzog.
„Bisschen mit dem Rad rumfahren.“ Sie durfte nicht wissen, dass er dasselbe vorhatte wie sie: den Tag im Haus zu verbringen. Nur in einem anderen Haus. In der Holzmann-Villa. So lange schon wollte er hinein. Wollte endlich wissen, was dort los war.
„Spätestens um sechzehn Uhr bist du zurück. Du weißt, heute …“
„Kommt der Typ. Ich weiß.“
„Der Typ heißt Thomas.“
Patte verdrehte die Augen.
„Du weißt, wie wichtig es mir ist, dass Ihr Euch endlich richtig kennenlernt. Und nicht nur kurz zwischen Tür und Angel.“
Gemeinsam kochen. Gemeinsam essen. Gemeinsam langweilen. Patte verstand nicht, was daran so wichtig war.
„Sei pünktlich. Wenigstens heute.“
„Ja, bin ich.“
„Du weißt, was sonst passiert!“
„Ja, weiß ich.“
„Ich meine es ernst, Patrick! Sehr ernst!“ Mamas Gesicht war aus Stein. „Hast du gehört?“
„Ja, hab ich!“ Patte schlug die Haustür hinter sich zu.
Zuspätkommen war ein Dauerthema zwischen ihm und Mama. Immer, wenn Patte meinte, pünktlich zu sein, kam er nach Mamas Ansicht zu spät. Manchmal drückte sie ein Auge zu. Manchmal nicht. Heute gar nicht. Um die Wichtigkeit des heutigen Abends zu betonen, wiederholte sie seit einer Woche die Strafe, die Patte erwartete, wenn er heute schon wieder zu spät kam. Mama würde nicht nur seine Angel wegsperren, sondern auch sein Fahrrad. Er wusste, sie würde heute Ernst machen. Und die Sommerferien hatten gerade erst angefangen.
Patte musste sich also beeilen, wenn er genug Zeit für die Holzmann-Villa haben wollte. Flip hatte erzählt, dass die Villa bald abgerissen würde. Der blöde Streber wusste zwar immer alles besser. Doch wenn er recht hatte, dann war jetzt Pattes letzte Gelegenheit. In den Pfingstferien war er am Stacheldraht hängen geblieben. Drüben, beim großen Loch in der Mauer. Er ballte die Hände zu Fäusten. Nur Anfänger und Idioten blieben in Zäunen hängen.
Sein Blick wanderte durch den verwilderten Garten hinter dem Eisentor. Ein perfekter Ort für ein Versteck. Niemand würde Patte finden. Nicht einmal Flip, der ihm seit Tagen hinterherdackelte.
Er musste hinüber. Unbedingt. Wer weiß, was ihm sonst entging? Das alte Haus beherrschte seine Gedanken wie kaum etwas anderes.
„Verdammt nochmal, ich schaff das“, flüsterte er mit zusammengebissenen Zähnen. „Ich schaff das. Und wenn ich drüber fliegen muss.“
Er sah an der Mauer empor, die das Grundstück wie eine Festung umfriedete. Dann drehte er sich nach links und folgte ihr in den Wald hinein. Hoch über seinem Kopf rauschten die Wipfel der Holzmann-Bäume im Wind. Büsche drängten sich von links heran. Je weiter Patte ging, desto dichter wurde das Gesträuch, bis fast kein Sonnenstrahl mehr durchsickerte. Ein grüner Tunnel verschluckte ihn. Zweige streiften seinen Hals, huschten über sein Gesicht und schlossen sich raschelnd hinter ihm. „Geh nicht weiter“, wisperten sie, „bleib stehen“.
Patte trat fester auf. Die Blätterhöhle verdunkelte sich mit jedem Schritt und mündete in eine meterhohe Hecke, die sich über die Mauer schlängelte. Wäre er ein Käfer, dann könnte er hinüber krabbeln. Doch er war nur ein elfjähriger Patrick Stern, der auf eine Laubwand starrte. Er sah sich um. Links lag der Rotwald. Vorne und rechts so was ähnliches wie Urwald.
Ob er umkehren sollte?
Nochmal auf die andere Seite?
Aufgeben?
„Nie im Leben“, sagte er laut. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und rutschte in den Graben, in dem die Hecke wurzelte. Immer tiefer grub er sich ins Dickicht, versank in Farnwedeln und feuchter Erde.
„Mistscheiße!“ Seine Stimme erstickte im Laub. Crocodile Dundee hätte jetzt alle Pflanzen zerhäckselt und nicht die Spinne angestarrt, die über seinen Arm wuselte. Patte schüttelte sich und stapfte weiter. Und plötzlich, als hätte jemand einen Vorhang gelüftet, war das Durcheinander vorbei. Eine Eiche versperrte den Weg. Ihr Stamm hatte sich halb in die Mauer gefressen. Ihre Äste zeigten wie knorrige Finger in den Holzmann-Park hinüber.
Pattes Herz schlug schneller. Das war es! Das Leben konnte so einfach sein. Er sah sich nach allen Seiten um. Außer ihm und zwei Millionen Bäumen war niemand hier.
Er schätzte die Eiche ab. Sie mochte drei oder vier Meter hoch sein. Die Äste sahen alt aus, aber nicht morsch. Das würde er schaffen.
Schnell kletterte er am Geäst hinauf, kroch über die Mauer und sprang auf die andere Seite. Für einen Moment hielt er inne und lauschte. Eine Grille zirpte. Fliegen summten. Sonst war es still.
Er mochte es kaum glauben, doch er hatte es geschafft. Er war wirklich in eine fremde Welt getaucht, dicht wie ein Dschungel, größer als ein Fußballfeld. In seiner Mitte schimmerte die Schildkröte durch wildes Grün. Er pfiff leise vor sich hin. Jetzt konnte es losgehen. Vor ihm lagen ein langer Sommer, eine alte Villa und ein Urwald, ganz für ihn allein.
Wachsam pirschte er vorwärts. Jetzt, wo er endlich auf demselben Grundstück war wie das alte Haus, fühlte es sich auf einmal unwirklich an. Fast wie ein fremder Planet. Langsam schlich er weiter, durchquerte einen Tunnel aus Kletterpflanzen. Einen Kastanienwald. Dann blieb er stehen.
Vor ihm ragte die Villa in den Himmel. Aus der Nähe betrachtet sah sie noch größer, älter und einsamer aus. An der Treppe, die zur Eingangstür hinaufführte, quoll dasselbe Gestrüpp wie aus den Mauern. Patte stieg hinauf. Zwölf Stufen, überwuchert, zerbrochen und seit langem vergessen. Eine Eidechse huschte in eine Ritze, als Patte kam. Vor der Eingangstür hielt er inne. Sie war mit einem schweren Vorhängeschloss gesichert. Das war ein Witz, denn unterhalb des Türknaufs klaffte ein riesiges Loch.
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