Patte grinste spöttisch. Das war leicht. Das Holz würde schnell zersplittern. Er musste nur etwas finden, um das Loch aufzuhebeln. Er sah sich um. Unter den Kastanien könnte er vielleicht einen Ast finden. Oder in dem Schuppen, in der Nähe der Eiche, über die er geklettert war. Oder sonst irgendwo in diesem Urwald. Er drehte sich um und blickte mit der Miene eines erfolgreichen Eroberers über den Garten. Er fühlte sich stark, sicher und frei. So schlenderte er die Treppe hinunter, auf der Suche nach einem Säbel, mit dem er die Tür erdolchen würde.
Er musste nicht weit gehen. Unter den Kastanien fand er, was er suchte. Patte rannte schnell zurück zur Eingangstür. Wenn man das Haus ohnehin abreißen wollte, war es egal, aus wie viel Loch die Tür bestand. Er steckte den Ast hinein und drückte. Holz krachte und splitterte. Die untere Türhälfte gab mit einem Knirschen nach, schneller als Patte gedacht hatte. Er bückte sich und schlüpfte hinein.
Halbdunkel umhüllte ihn wie ein Mantel aus Samt. Warme, abgestandene Luft schlug ihm entgegen. Durch die Ritzen der zugenagelten Fensterläden fielen staubige Lichtstreifen. Patte ging einen Schritt in den Bauch der Schildkröte hinein. Es roch nach verfaultem Holz und Moder. Unter seinen Füßen ächzte der Parkettboden.
Neugierig sah er nach allen Seiten. Hoch über seinem Kopf wölbte sich eine Dachkuppel aus buntem Glas in den Himmel. Um ihn herum dehnte sich ein Raum, viermal so groß wie sein Zimmer und mindestens dreimal so hoch. An seinem Ende wand sich eine Treppe nach oben. Vor den Aufgang waren Bretter genagelt und darauf ein Schild „Nicht betreten! Einsturzgefahr!“
Er drehte sich um und schlich tiefer ins Haus hinein. Der Staub unzähliger Jahrzehnte erstickte jedes Geräusch. Draußen erklang der Ruf eines Kuckucks wie ein Lied aus einer fernen Welt.
Patte durchquerte das ganze Erdgeschoss. Einsame Zimmer gähnten in die Leere. Außer Staub und Stille war hier unten nichts zu finden. Jetzt war das Obergeschoss an der Reihe. Patte sah beiläufig auf die Uhr. Schon fast halb Vier! Hastig drehte er sich um, stolperte und fiel zu Boden.
Als er sich hochrappelte, erstarrte er. Hatte sich unter seiner Hand etwas bewegt? Er krabbelte rückwärts und starrte den Boden an, als wäre er ein gefährliches Tier. Nichts rührte sich. Aber da hatte sich etwas bewegt! Oder hatte er sich das eingebildet? Er streckte den Arm aus und verlagerte sein Gewicht nach vorne. Da! Der Boden bewegte sich noch einmal! Gab es hier einen Geheimgang? Das musste Patte genau wissen. Er rappelte sich hoch, nahm den Ast, mit dem er die Tür aufgehebelt hatte, und drückte ihn auf den Boden. Er klopfte, bohrte, hämmerte. Und plötzlich gab eine morsche Bodendiele nach. Sie zerbrach mit lautem Knacken und gab einen Hohlraum frei.
Etwas Rechteckiges lag darin.
Patte kniete sich hin, beugte sich darüber und pustete. Eine Staubwolke flog wie ein Bienenschwarm um seine Nase und segelte in Flocken auf sein T-Shirt herab. Er nieste einmal, zweimal. Und dann, als der Staub sich gelegt hatte, sah er es genau. In dem Hohlraum lag tatsächlich etwas. Er berührte es vorsichtig. Das Ding ließ sich bewegen. Was war das?
Seine Finger strichen darüber, befühlten es, griffen es fester und holten es heraus. Patte wischte mit dem Saum seines Shirts darüber. Es war eine Kiste aus dunklem Holz, von der Größe eines Taschenbuchs. Auf ihrem Deckel schimmerte eine Zeichnung aus verblichenem Gold. Patte wollte sie öffnen, aber sie war verschlossen. Er hielt sie an sein Ohr, schüttelte sie. Nichts zu hören. Noch einmal beugte er sich über den Hohlraum, doch er war leer.
Ein weiterer Blick auf die Uhr erinnerte Patte an die Gefahr eines langen Sommers ohne Angel, ohne Fahrrad. Er schnappte die Kiste und hastete zur Eingangstür. Im Vorübergehen warf er einen sehnsüchtigen Blick nach oben. Vielleicht gab es dort noch mehr Geheimnisse? Er musste noch einmal herkommen. Aber jetzt musste er sich beeilen.
Er kletterte durch die zerbrochene Tür hinaus in die Sommerhitze, die ihm wie eine Feuerwand entgegenschlug. Der Rückweg durch den Blättertunnel erschien ihm plötzlich sehr kurz. Und als er durch leere Straßen heimwärts raste, kam ihm der Tag gar nicht mehr so heiß vor.
Flip wischte den Schweiß von der Stirn und kauerte sich tiefer ins Gebüsch. Seit fast zwei Stunden lungerte er hier schon herum. Die Zweige kratzten. Seine Zunge klebte am Gaumen. Sein Magen knurrte. Was Patte wohl suchte? Das war doch nur ein dummes, altes Haus. Flips Vater hatte gesagt, dass es bald abgerissen würde. Mit hochgezogenen Augenbrauen hatte er betont, wie verwildert, verfallen und gefährlich alles sei. Er musste es wissen, denn er war Notar. Flip wusste zwar nicht, was ein Notar mit einem alten Haus zu tun hatte. Aber das war auch egal. Viel mehr interessierte ihn, warum Patte an dieser Mauer herumkroch. Und vorher sein Fahrrad sorgfältig im Gebüsch versteckte.
Hätte er ihm folgen sollen? Nein, da drin gab es bestimmt Brennnesseln. Und Spinnen. Außerdem sollte es in dem Haus spuken. Flip schüttelte sich. Und überhaupt – wenn sein Vater sagte, dass es gefährlich sei, dann würde Flip sowieso nicht dorthin gehen. Nein, dachte er bei sich, wenn Papa das sagt, dann mache ich das nicht! Nein, er würde hier bleiben und warten, bis Patte zurückkam. So lange konnte das nicht mehr dauern. Dann würde er zu ihm rüberschlendern, so als käme er zufällig vorbei, und ganz lässig etwas sagen. „Hi, wie geht’s?“, zum Beispiel. Oder: „Na, du auch hier?“
Und wenn Patte nicht zurück kam?
Flip sah auf die Uhr. Eine halbe Stunde würde er noch warten. Wenn Patte dann nicht zurück war, würde er so lange an der Mauer entlanglaufen, bis er ihn finden würde. Und wäre endlich sein Freund.
Auf der anderen Seite raschelte es. Patte! Seine Haare waren verstrubbelt, sein Shirt voller Flecken. Er hielt etwas in der Hand. Ein Buch? War er deswegen an dieser Mauer herumgekrochen? Hatte er dort ein Versteck?
Als Patte ganz nah am Gebüsch vorbeiging, fiel Sonnenlicht auf das Buch. Durch die Blätter konnte Flip etwas Goldenes erkennen. Es sah aus wie eine Zeichnung. Irgendwas verschnörkeltes.
Eigentlich hatte Flip etwas Witziges, Interessantes zu Patte sagen wollen. Doch jetzt kam es ihm dämlich vor, zufällig aus dem Gebüsch herauszukriechen. Stattdessen duckte er sich noch tiefer und beobachtete, wie Patte Gräser abschüttelte und seine Haare glattstrich. Einmal schaute er sich um, doch er schien Flip nicht zu sehen. Sorgfältig zurrte er das Buch auf dem Gepäckträger fest. Dann zog er sein Fahrrad aus dem Gebüsch, stieg auf und fuhr davon.
Peng! Die Tür flog ins Schloss. Patte warf die Kiste auf sein Bett und ließ sich daneben fallen. War ja klar, dass Mama meckerte. Er hatte es zwar bis genau sechzehn Uhr geschafft und Mama hatte zufrieden auf die Uhr geschaut, aber gleichzeitig hatte sie Meckergründe gefunden. Weil Patte sein Rad nicht ordentlich neben der Garage abstellte. Weil er seine Schuhe nicht ordentlich in den Schrank räumte. Weil sein T-Shirt nicht mehr ordentlich aussah. Es würde ihn nicht wundern, wenn sie eines Tages meckerte, weil seine Haare nicht ordentlich nach unten wuchsen. Das erinnerte ihn an den Friseurtermin morgen. Er seufzte und drehte sich auf die Seite. Das Ding aus dem Holzmann-Haus lag wie ein Fremdkörper auf seiner Bettdecke, roch nach altem Staub und schimmeligem Holz.
„Patte an Fremdling: was machst Du hier?“ Er gab der Kiste einen Stoß. Sie rutschte nach unten und zog eine Dreckspur über den Bettbezug. Patte nahm sie in die Hand und schüttelte sie, drehte sie im Kreis, klopfte darauf, befühlte die Kanten, tastete den Boden ab.
Irgendwas war seltsam.
Er drehte sie noch einmal in den Händen. Da fiel es ihm auf: das Ding hatte einen Deckel, aber kein Schloss. Es war abgesperrt, ging aber nicht auf. Seltsam. Patte schnüffelte, als könne seine Nase einen geheimen Mechanismus ergründen. Er tastete alle Seiten ab. Wieder und wieder. Keine Frage: es gab kein Schloss. Diese Kiste hatte überhaupt nichts, womit man sie öffnen konnte. Sehr merkwürdig.
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