• Beschreiben Sie die Aspekte der Lebenslage nach Bourdieu.
• Welche Funktion hat der Habitus im Kontext einer umfassenden soziologischen Analyse?

Beck, Ulrich (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
Bourdieu, Pierre (1983): Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: Reinhard Kreckel (Hg.): Soziale Ungleichheiten (Soziale Welt Sonderband 2). Göttingen: Verlag Otto Schwarz & Co, S. 183–198.
Bourdieu, Pierre (1997): Zur Genese der Begriffe Habitus und Feld. In: Bourdieu, Pierre (Hg.): Der Tote packt den Lebenden. Schriften zu Politik und Kultur 2 (hg. von Margareta Steinrücke). Hamburg: VSA-Verlag, S. 59–78.
Luhmann, Niklas (1984): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
Müller, Hans P. (1992): Sozialstruktur und Lebensstil. Der neue theoretische Diskurs über soziale Ungleichheit. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
6An einigen Stellen spricht Beck (1986, S. 194f.) von Lebensformen, obwohl Lebensformen weitaus mehr sind als Beziehungsformen und er sich vor allem auf Formen sozialer Beziehungen bezieht.
7Pluralisierung und Individualisierung sind aber nicht deckungsgleich. Sie bedingen sich nicht gegenseitig, da Pluralisierung ohne Individualisierung möglich ist. Gesellschaften können pluralistisch sein, ohne gleichzeitig eine Individualisierung zu realisieren. Individualisierung entsteht erst, wenn der Aspekt der freiwilligen und notwendigen Wahl realisiert ist. Deshalb ist Pluralisierung eine wichtige, aber keine hinreichende oder notwendige Voraussetzung für Individualisierung (vgl. hierzu Wohlrab-Sahr 1997, S. 27f.).
8Giddens (1996, S. 84f.) interpretiert das Modell der Weltsystemtheorie als eindimensional, weil es lediglich die ökonomische Globalisierung berücksichtigt. Er (ebd., S. 92f.) differenziert zwischen vier Dimensionen der Globalisierung, dem kapitalistischen Weltsystem, dem System der Nationalstaaten, der industriellen Entwicklung mit dem Aspekt der internationalen Arbeitsteilung und der militärischen Ordnung. Ein weiterer, alle Dimensionen überwölbender Aspekt der Globalisierung ist die kulturelle Globalisierung in Form der Kulturtechniken, die ein wesentliches Element der reflexiven Moderne und der Diskontinuitäten, »(…) die zu einer scharfen Trennung des Modernen vom Traditionalen geführt haben« (ebd., S. 100), darstellt.
9Zurzeit neigen z. B. Regierungen in Polen oder Ungarn einerseits dazu, rechtsstaatliche Errungenschaften wie eine unabhängige Justiz oder freie Medien zu bekämpfen, und andererseits, traditionelle Institutionen wie Familie, Kirche etc. gegenüber neuen sozialen Gemeinschafts- und Beziehungsformen besonders zu schützen und zu fördern.
10Bourdieu führt auch noch das symbolische Kapital an (vgl. Bourdieu 1983), das eine Art übergeordnete Rolle innehat. Unter symbolischem Kapital versteht er die jeweilige Konkretisierung von ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital. Alle drei Kapitalsorten finden ihren Ausdruck in Formen des symbolischen Kapitals, das eingesetzt wird, um den Lebensstil zu repräsentieren.
11Der Unterschied zwischen Gesetzen und Normen wird vor allem bei den Auswirkungen und Folgen bei Verstößen sichtbar. Im Grunde sind Gesetze verpflichtend und Normen freiwillig. Bei Verstößen gegen Gesetze erfolgt – je nach Schwere der Gesetzesverletzung – eine gerichtliche Verurteilung mit anschließendem Strafvollzug, bei Verstößen gegen Normen erfolgen meist Disziplinarmaßnahmen.
12Bereits Weber (1980, S. 236ff.) sprach von Lebensführung, Lebensgewohnheiten, Lebensgepflogenheiten oder von Habitus und bezog sich dabei auf eine von Standeszugehörigkeit und Bildung beeinflusste Ausdrucksform, deren Funktion darin besteht, Identität und Distinktion zu symbolisieren und als Mittel zur Schließung sozialer Beziehungen bzw. zur Aneignung von Lebenschancen einer Statusgruppe zu dienen (vgl. auch Müller 1992, S. 371ff.). Während Weber bei der Definition seines Lebensstilbegriffs den kapitalistisch motivierten, utilitaristisch-zweckrationalen Lebensstil vor Augen hatte, ist der Begriff später von Simmel in Bezug auf seinen identitätsstiftenden Aspekt weiterentwickelt worden (vgl. hierzu Ritter 1996, S. 61ff.).
3 Methodologische Aspekte zur sozialwissenschaftlichen Erkundung der Lebenslage und der Lebensstile
Während die so genannten ›harten‹ Daten des ökonomischen, kulturellen, sozialen und politischen Kapitals bzw. der Aspekte der Lebenslage und manchmal auch die Lebenszufriedenheit der Menschen eher mit quantitativen Methoden erforscht werden, werden bei der Erkundung der individuellen sozialen Handlungen meist qualitative Studien durchgeführt.
3.1 Quantitative und qualitative Methoden
Quantitative Studien orientieren sich an »objektiv« messbaren Fakten. Zunächst wird bereits vorher erarbeitetes Wissen zu Hypothesen ausformuliert. Diese werden mittels vollstandardisierter Befragungen oder anderer quantitativer Methoden überprüft, verifiziert oder falsifiziert. Fragebögen werden vor dem Hintergrund des bestehenden Wissens über ein Thema entwickelt und entweder schriftlich mit Anschreiben, Darstellung des Anlasses, der Untersuchungsabsicht und des Verwertungszusammenhangs der Studie, einer Zusicherung der Anonymität und der Mitteilung eines Rücksendedatums verschickt oder auch vis-à-vis abgefragt.
In der Sozialen Arbeit spielen quantitative Studien eine geringere Rolle als qualitative. In Bezug auf quantitative Daten kann meist auf den breiten Fundus der bundes- oder landesweiten sowie kommunalen statistischen Ämter zurückgegriffen werden. Statistiken zu relevanten, aktuellen Daten zu Themen wie Einwohner*innendichte, Wohnbebauung, soziale und kulturelle Einrichtungen, Arbeitslosigkeit, Sozialhilfebezug, Bildungsstand etc. sind dort in der Regel verfügbar und müssen nicht gesondert erhoben werden. Hingegen müssen qualitative Daten der Klient*innen in der Regel selbst durch geeignete Methoden eruiert werden.
Qualitative Forschung trägt dazu bei, soziale Wirklichkeit durch intersubjektiv deutenden und sinnverstehenden Zugang zu erkunden. Soziale Wirklichkeit bzw. soziales Handeln entsteht nach Weber (1980, S. 1ff.) erst durch einen ihr bzw. ihm subjektiv verliehenen Sinn, der vom Gegenüber wiederum subjektiv gedeutet werden muss. Verstehen bedeutet somit stets Deutung des Sinns einer Handlung einer anderen Person aus eigener subjektiver Sicht.
Für die Soziale Arbeit sind qualitative Daten wichtig, um die Gründe des Handelns der Klient*innen zu erkunden. Denn nur wenn die Gründe und Ursachen der Handlungen deutlich geworden sind, können auch Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenssituation entwickelt werden. Mit anderen Worten: Die Soziale Arbeit ist bei der Entfaltung ihrer Angebote und Maßnahmen auf eine aktive Mitwirkung der Klient*innen angewiesen.
3.2 Entwicklung und Bedeutung der subjektiven Perspektive in modernen Gesellschaften
Die hohe Relevanz, die moderne Gesellschaften der subjektiven Perspektive der Menschen zuweisen, ist sowohl historisch bedingt als auch territorial beschränkt. Mit anderen Worten: Weder im Mittelalter noch in Gesellschaften, in denen ein großer Teil der Einwohner*innen von Armut betroffen ist, spielt die subjektive Sichtwiese eine wichtige Rolle. Ganz anders in den heutigen westlichen Gesellschaften, die in der Tradition der Aufklärung bzw. der Individualisierung stehen: Säkularisierte und industrialisierte, demokratische Gesellschaften heben immer wieder den Wert des Individuums, des und der Einzelnen und seiner bzw. ihrer besonderen, subjektiven Sichtweise hervor. Insofern kann man behaupten, die subjektive Perspektive ist ein Produkt der westlichen, reflexiv gewordenen Moderne (Beck, Giddens & Lash 1996), deren Kern die Individualisierung darstellt.
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