Wenn wir etwas über das Gehirn wissen, dann kann uns das jedoch dabei helfen, einige der introspektiven Beobachtungen und Empfindungen zu klären, so dass die von uns gebildeten Begriffe zumindest mit verschiedenen Wissenschaftszweigen konform gehen. Das macht die Wissenschaft nicht besser als die Subjektivität, sondern nur anders.
Im Folgenden finden Sie eine kurze Zusammenfassung der allgemeinen Vorstellung von Stress und Leid und ihrer Verringerung mit Hilfe von Praktiken des achtsamen Gewahrseins. Sie wird durch die zwischenmenschliche neurobiologische Linse in meinem Kopf gefiltert, soweit ich das aus meiner unmittelbaren Erfahrung und der bestehenden Literatur sagen kann. Wenn der Geist sich an vorgefassten Vorstellungen festhält, dann erzeugt er eine innere Spannung zwischen dem, was ist, und dem „was sein sollte“. Diese Spannung erzeugt Stress und Leid.
Die Rolle des achtsamen Gewahrseins besteht nun darin, den Geist zu befähigen, das Wesen des Geistes selbst zu „erkennen“, den Einzelnen zu der Einsicht erwachen zu lassen, dass vorgefasste Ideen und emotionale Reaktionen in das Denken und die reflexartigen Reaktionen eingebettet sind, die dann innere Not verursachen. Wenn sich ein Mensch aber von Gedanken und Emotionen löst, indem er sich bewusst macht, dass diese geistigen Aktivitäten weder mit dem „Selbst“ identisch noch von Dauer sind, dann kann er erreichen, dass sie wie Blasen in einem Topf mit siedendem Wasser aufsteigen und zerplatzen.
Nicht alles Denken und alle gewohnheitsmäßigen Reaktionen erfolgen „von oben herab“, aber in diesem Modell sind es genau diejenigen, die erworbenes Leiden verursachen. Das Leben ist voller Leid. Es gibt ein universelles Leid, bei dem wir alle den Schmerz von Verlust, Enttäuschung und Tod erfahren. Doch erworbenes Leiden ist der Ausdruck, der verwendet wird, um zu verdeutlichen, wie unser Geist seine eigene mentale Pein verursacht, indem er an Begriffsbildungen und automatischen Reaktionen festhält, die uns aus dem unmittelbaren sensorischen Erleben herausreißen. In vielfacher Weise nimmt die Qualität unseres Gewahrseins ab, wenn wir nur in unseren Gedanken und vorgeformten Emotionen, in Konzepten und Wahrnehmungsfiltern leben, die dann unsere Weltsicht organisieren. Doch wenn wir für unsere Sinne erwachen, dann belebt das nicht nur unser Dasein, sondern es bringt uns unmittelbar zum Erleben von Moment zu Moment. Gedanken und Emotionen sind in Ordnung, solange sie nicht die Fähigkeit zum sensorischen Gewahrsein zerstören. Es geht, so habe ich im Laufe der Zeit gelernt, um Ausgleich, nicht um Diktatur.
Und so besteht eine Rolle der Sinne im Alltagsleben darin, uns aufzuwecken, uns von unseren Automatismen wegzubringen, die Schärfe des Gewahrseins zu verstärken, damit das Leben reicher und im Moment gegenwärtiger wird.
Das Ergebnis eines solchen Erwachens ist, dass unser gesamtes Wesen befreit wird, empfänglicher für die Dinge zu werden, so wie sie sind. Die Einstimmung auf die Domänen der Außenwelt (die ersten fünf Sinne), die somatische Welt (sechster Sinn) und die geistige Welt des Selbst und der anderen (siebter Sinn) bringt einen Zustand mit sich, der sowohl kohärent als auch stabilisierend ist. Einstimmung bedeutet, Dinge im Gewahrsein so zu spüren, wie sie sind. Unser „gelebtes“ Selbst schwingt in unmittelbarer, klarer Weise mit unserem „sich gewahr seienden“ Selbst, und wir „fühlen uns“ von unserem eigenen Geist „gefühlt“. Wir fühlen diesen kohärenten Zustand von Einstimmung in unserem achten, beziehungsbezogenen Sinn.
Man kann sagen, dass der flexible, anpassungsfähige, kohärente, energetisierte und stabile Fluss (FACES) des geistigen Wohlbefindens in Form von integrierten Systemen über die Zeit auftaucht. FACES ist der Begriff, mit dem wir uns auf diesen integrierten Zustand beziehen, einen Zustand, der dem Wohlbefinden zugrunde liegen könnte.
Einstimmung ist der Prozess, durch den getrennte Elemente zu einem schwingenden Ganzen zusammengebracht werden. Wenn wir uns in unserem Gewahrsein Dingen so annähern, wie sie sind, mit einer COAL-Gemütsverfassung, dann sind wir auf dem Weg zu innerer Einstimmung. Dieser widerhallende Zustand befähigt das Selbst, einen FACES-Fluss zu erreichen und alles anzunehmen, was auftaucht. Einstimmung taucht auf, wenn Integration erzeugt wird.
Mit einem Gewahrsein von Moment zu Moment, das sich nicht an Urteilen festhält, haben wir eine Formel für die innere Einstimmung, die den physischen, somatischen und mentalen Bereich der Realität einbezieht. Diese gegenseitige Einstimmung ist ein widerhallender FACES-Zustand, der das Bewusstsein erhellt und die Elemente, die im Fokus unserer Aufmerksamkeit stehen, stabilisiert. Das Leben wird dynamischer und klarer. Das achtsame Gewahrsein fühlt sich gut an, und es ist für das gesamte Wesen und seine Beziehung zur Welt und zu anderen Menschen gut.
In dem Maße, wie unser reflektives Gewahrsein von oben nach unten eindringende Vorurteile über Bord wirft, verschmelzen die drei Ströme von Empfindung, Beobachtung und Begriffsbildung mit dem tieferen Strom des Wissens, und wir sind frei, um in den ausgeglichenen Fluss unseres Bewusstseins hineinzuströmen. Es erfolgt die Loslösung von den Objekten der Aufmerksamkeit im Sinne der definierenden Merkmale dessen, was wir sind, und dadurch kann ein Gefühl von achtsamem Wissen entstehen. Diese vom Beobachter geschaffene Fähigkeit der Unterscheidung ist es, die das achtsame Gewahrsein von der Vorstellung des „Flusses“ unterscheidet, in dem wir, ohne uns dessen bewusst zu sein, in die Empfindungen einer Erfahrung eintauchen (Czikszentmihalyi 1990). Im Fluss verlieren wir uns, weil das Eintauchen in die Empfindung oder den Gedanken uns „mitreißen“ kann und wir uns in den Automatismen jenes Stroms verlieren. Bisweilen kann das etwas Positives sein, zum Beispiel wenn wir essen, miteinander schlafen, einen Spaziergang machen oder über ein Problem nachsinnen. Doch im täglichen Leben kann der Kern eines achtsamen Lebens darin bestehen, alle vier Ströme in Balance zu halten. In unserer klinischen Arbeit mit dem Leiden könnte ein Bedürfnis danach bestehen, die Fähigkeit des Beobachters zu schulen, um die Automatismen, die den Prozess in Gang bringen, zu entkoppeln (YODA).
Sich auf Schmerzen in den Gliedmaßen zu konzentrieren kann uns zum Beispiel helfen, uns weg von einer vorgefassten Idee (etwa „ich sollte keine Schmerzen haben“) und hin zur Empfindung zu bringen. Doch ohne einen stabilen Beobachter bleibt der Schmerz möglicherweise intensiv, selbst wenn die Gedanken weniger werden. Das Empfinden könnte für sich genommen keine Erleichterung bedeuten. Das achtsame Gewahrsein der Empfindung könnte hingegen alles verändern – richten wir unseren Fokus auf den Schmerz und die Aktivierung des Beobachters, so kann die Bewusstseinsqualität der rezeptiven Nabe das vorübergehende und vielleicht unvermeidliche Wesen des Schmerzes selbst anerkennen. Selbst der Gedanke „ich sollte schmerzfrei sein“ kann untersucht werden und wie eine Seifenblase im Badewasser zerplatzen.
Stress und Leiden tauchen überall im Leben auf. Durch das achtsame Gewahrsein wird eine neue Möglichkeit geschaffen, das Leiden neu darzulegen, selbst wenn man der sensorischen Erfahrung nicht entkommen kann. Nichts wird vorsätzlich blockiert; vielmehr sind alle Gäste willkommen. Wenn ein vorgefasster Gedanke an die Tür klopft, dann kann er als das, was er ist, gesehen, beobachtet, gedacht und gekannt werden. In diesem Zustand des Gewahrseins in diesem Moment des Schreibens scheinen alle vier Ströme zu seiner Struktur beizutragen, zu jener rezeptiven Nabe im Zentrum unseres Geistes.
Präsenspartizipien
Unser Schweigen während dieses Retreats dauerte nur sechsunddreißig Stunden. Ich erinnerte mich immer wieder daran, nicht zu vergleichen und nicht so viel über den Retreat zu Anfang des Monats nachzudenken. Aber der Lernprozess aus jener Zeit prägte mein Erleben – YODAs SOCKe drang immer wieder in mein momentanes Bewusstsein ein, und ich konnte nicht dagegen ankämpfen, sondern ließ die Vorstellung einfach da sein. Ich versuchte zu sagen, „nicht jetzt“, aber es schien nicht viel zu nützen. Also versuchte ich, die Gedanken einfach da sein zu lassen.
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