Unsere Jugendzeit bestand natürlich nicht nur aus Arbeit oder daraus, dass wir andere Leute durch Jungenstreiche ärgerten. Unsympathische Leute, die wir nicht leiden konnten, welche uns auch schon mal negativ aufgefallen waren oder uns zu Recht oder auch zu Unrecht geärgert oder verdroschen hatten, wurden trotzdem ab und an Opfer unserer Streiche. Jedoch waren diese eher harmlos, und es kam nie vor, dass wir etwas kaputt machten oder zerstörten. Wurde aber zum Beispiel ein Tür- oder Hoftorgriff mit Wagenfett eingeschmiert, erschien so mancher Kandidat verspätet mit schwarzer Hand in der Sonntagsmesse. Wir schauten dann genau hin, ob es bei dem auserwählten Opfer funktioniert hatte.
Erfuhr jedoch Vater von so einem Schabernack, gab es für den Streich eine deftige Schelte oder ein paar auf den Hosenboden. Meistens aber kam er mir nicht nach, da ich schneller laufen konnte als er. An zwei derartige Situationen kann ich mich gut erinnern:
Zum einen, als herauskam, dass meine besten Freunde Edgar Weiber und Arnold Lohner mit mir zusammen einem hässlichen, streunenden und ewig kläffenden, doofen Dorfköter eine Blechdose an den Schwanz gebunden hatten, worauf der arme Kerl jaulend den Altengärtenweg Richtung Bur entlangraste, während die Dose hinter ihm auf dem Pflaster schepperte.
»Ja, es tut mir aufrichtig leid und es wird nie wieder vorkommen«, rief ich Vater zu, als ich nach Hause kam.
Der örtliche Dorftratsch hatte uns bereits verraten, und Vater lief mir mit dem Stock bis in die Scheune nach. Atemlos blieb er unten an der Leiter stehen, während ich so hoch wie es nur irgend ging, fast bis unters Scheunendach, ins Stroh kletterte. Der Hunger trieb mich nach einer Stunde zurück in die Küche. Vater war zum Glück um die Ecke im Lindenhof auf einen Schoppen Wein eingekehrt, und so geriet die prekäre Angelegenheit unter Mutters Vermittlung schnell in Vergessenheit.
Ein anderes Mal wurden wir zusammen mit einigen Jungs beim heimlichen Rauchen erwischt und bereits in der Schule mit Nachsitzen und Strafarbeiten bedacht. Irgendwie erfuhr es Vater, bevor ich aus der Schule nach Hause kam. Als ich bei der Rückkehr hinter unserem Hoftor seine Schuhe erkannte, wusste ich sofort, was die Stunde geschlagen hatte.
Es blieb mir nur die Flucht nach vorne. Ich stieß das Tor auf und rannte an meinem verdutzten Vater vorbei in die Küche. Er lief mir sofort nach, und als er mich in der Küche im Kopfstand, den Hintern an der Wand vorfand, war die Situation entschärft, da Vater herzhaft lachen musste. Sein »Fritzje« kam wieder einmal durch einen neuen Trick mit einem blauen Auge davon. Irgendwie spürte ich, dass Vater auf meinen Einfallsreichtum, meine Schnelligkeit und sportlichen Fähigkeiten insgeheim mächtig stolz war.
Mein knabenhafter Mut reichte zwar zum heimlichen Rauchen mit Klassenkameraden, aber er verließ mich schnell, wenn einmal im Jahr der mobile Zahnarzt mit seinem Auto voller schrecklicher Instrumente an unserer Schule vorfuhr, wie dies ab 1933 alljährlich geschah. Sämtliche Schulkinder einschließlich der Lehrkräfte mussten sich einer vorsorglichen Zahnuntersuchung unterziehen. Aus Angst vor dieser Zeremonie verschwand ich regelmäßig und lief zu Mutter nach Hause. Sie brachte mich jedoch zurück zur Schule, und ich konnte dem netten Zahnarzt mit seinem mechanischen Zahnbohrer nicht mehr entkommen. Dass es zur Belohnung anschließend etwas Süßes gab, brachte nicht den gewünschten Erfolg, und im folgenden Jahr unternahm ich den nächsten Fluchtversuch. Leider gehörte ich zu den Schülern, bei denen es nie ohne Bohren abging.
In meiner Kindheit wurde ich nicht nur durch die Erziehung meiner Eltern geprägt, sondern auch durch die damals noch recht strenge katholische Kirche. Nicht nur an jedem Sonn- und Feiertag, sondern auch bei zahlreichen anderen Anlässen mussten wir die Messe besuchen. Das beanspruchte natürlich auch wieder einen Teil unserer kostbaren Zeit. Als guter Christ erzogen, glaubte ich natürlich an Gott, und das Beten habe ich insbesondere später im Krieg in Russland und bis ins Alter nie verlernt. Trotzdem hatte ich keine Lust, das Angebot unseres Pfarrers, mich zum Messdiener zu ernennen, anzunehmen.
Für unseren fürsorglichen Vater war es natürlich selbstverständlich, dass seine Kinder regelmäßig und ordentlich gekleidet jeden Sonntag zum Hochamt erschienen. So stand er jeden Sonntagmorgen in unserer Waschküche neben der Scheune, putzte für uns vier Jungs die hohen genagelten Schuhe und klopfte den einen oder anderen fehlenden Nagel in die Ledersohlen.
Ich hingegen verbrachte meine freie Zeit lieber auf unserem Sportplatz unten am Bach. Dorthin zog es mich in jeder freien Minute, und früh erkannte ich, dass der Sport meine größte Leidenschaft war. Hier konnte ich meinem Bewegungsdrang freien Lauf lassen. Wir spielten jeden Tag Handball und ab und an auch Fußball, soweit es das Wetter zuließ. Hier fanden die spannenden Spiele unserer 1. Mannschaft im Feldhandball statt. Der TV Bassenheim 1911 e. V. spielte in der Oberliga Rheinland, der damals höchsten Spielklasse im Deutschen Reich. Anpfiff war immer sonntags um 14 Uhr. Wenn die starken Mannschaften von Grün-Weiß Mendig, Welling, Weibern, Mülheim, Kärlich oder Urmitz antraten, war unser Dorf wie ausgestorben, und alle standen rund ums Spielfeld. Manchmal, bei hochkarätigen Spielpaarungen, waren es mit den angereisten Gästen, die überwiegend zu Fuß kamen oder auf offenen Lkw mitfuhren, annähernd 2000 Zuschauer.
Zu meiner ersten Heiligen Kommunion am Weißen Sonntag 1932 schenkten mir meine Eltern einen echten Lederhandball. Das war damals mein kostbarster Besitz. Nun waren dem täglichen Training keinerlei Grenzen mehr gesetzt, und ich war überglücklich.
Neben dem Handball war die Leichtathletik mit den Disziplinen Werfen, Laufen und Springen mein Favorit. So sprang ich gerne und oft in die alte Weitsprunggrube neben unserem Sportplatz, deren Inhalt nur aus einer dünnen Sandschicht bestand, die noch dazu oft mit Steinen und manchmal auch mit Hundekot angereichert war. Das Werfen übte ich mit allem, was mir in die Finger kam, vom Schotterstein bis zum selbst geschnitzten Speer aus Haselnussholz.
Den alljährlichen Sportfesten fieberte ich schon Wochen vorher entgegen, und das Training wurde noch intensiviert. Kam dann der große Tag, war die Spannung riesengroß. In den Schuljahren sechs bis acht erhielt ich die höchste Punktzahl, und es gab als Siegespreis immerhin einen Lorbeerkranz. Ich kann mich gut erinnern, dass ich die achtzig Gramm schweren Lederbällchen fast von einem Tor bis zum anderen warf. Allerdings war der Sportplatz nicht wie üblich 100 Meter, sondern nur knapp neunzig Meter lang. Trotzdem war es enorm weit.
Beim Weitsprung hörte ich oft einige rufen: »Der Fritz springt! Der Fritz springt!« Und so standen um die Sprunggrube oft mehr als zwei Dutzend Zuschauer, die mich anfeuerten. Durch das viele Sprungwurftraining als Rechtshänder im Handball war meine Sprungkraft im linken Bein stark ausgeprägt. Die drei Sprungversuche, die jedem Teilnehmer zur Verfügung standen, erreichten ab der siebten Klasse immer Weiten von deutlich über sechs Meter. Ohne spezielles Training und angesichts der schweren und minderwertigen Sportschuhe sowie der mangelhaften Anlaufbahn war das eine beachtliche Leistung.
Im Feldhandball hatte ich in der ersten Mannschaft einige Vorbilder, denen ich vieles an Technik und Tricks abschauen konnte. Ich selbst spielte seit den Jugendmannschaften aufgrund meiner Schnelligkeit auf der Position des Mittelläufers. Dazu muss man wissen, dass eine Mannschaft im damals beliebten Großfeld-Handball wie beim Fußball aus elf Spielern bestand. Neben dem Torwart befanden sich vier Spieler in der Abwehr, die sich nur in der eigenen Spielfeldhälfte bis zur Mittellinie aufhalten durften. Vier Spieler waren im Sturm und blieben nur in der gegnerischen Hälfte. Die beiden Mittelläufer dagegen konnten sowohl im Sturm als auch in der eigenen Abwehr spielen. Diese beiden Spieler hatten daher über die volle Distanz ein enormes Laufpensum zu bewältigen. Neben der Verstärkung von Abwehr und Sturm bestand die Hauptaufgabe darin, Bälle abzufangen und diese so schnell wie möglich dem eigenen Sturm zuzuspielen, noch ehe die beiden gegnerischen Mittelläufer sich in der Abwehr positionieren konnten. Einige ältere Zuschauer nannten mich »das Reh«, wahrscheinlich wegen meiner Spurtstärke und Sprungkraft. Wenn ich ehrlich sein soll, war ich ziemlich stolz darauf.
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