Trennung ist natürlich etwas, das in der Regel nicht gelernt wurde, also auch dann nicht unbedingt gekonnt wird. Notwendig ist es, neben der jeweils eigenen Perspektive der einzelnen Eltern eine gemeinsame Perspektive auf das seelische Erleben des Kindes aufzubauen. Kinder sind, auch wenn sie zu einem Elternteil tendieren, innerlich immer zu beiden loyal und in Liebe bzw. bei Trennung innerlich oft stark belastet. Für Kinder ist es also unbedingt wichtig, dass die Eltern dabei bleiben, dass es eine Liebe als Paar gab, dass sie nicht schlecht über den anderen reden und dass sie das Kind nicht in der Paar-Auseinandersetzung benutzen, dafür in einem Rosenkrieg missbrauchen und/oder das Kind vor unlösbare Aufgaben stellen.
Gelingende Trennung wird dann zwar Arbeit, aber eine gute Arbeit für die Eltern und sie ist gut, weil das Kind dann die beiden innerlich noch zusammen fühlen kann. Andernfalls wird es in der Regel irgendwann krank. Der Zusammenhang wird dabei wegen des oft zeitlich großen Abstands einer Krankheit des „Kindes“ zur damaligen Trennungs-Situation der Eltern und fehlendem psychosomatischen und systemischen Wissen nicht bzw. sehr verspätet erkannt.
Was Trennung für Kinder bedeutet, darüber muss also in der Gesellschaft geredet werden und ggf. wird hier Unterstützung gebraucht (siehe auch Kapitel 4und 5). Wie gesagt, die Elternzeit der Väter hat offenbar einen stark stabilisierenden Effekt auf die Paarbeziehung.
2.1.3 Stressrelevante Einflüsse der Digitalisierung
Die Digitalisierung z. B. findet in ungebremster Beschleunigung statt und ergreift alle Lebens- und Gesellschaftsbereiche. Grenzen, Werte und Verantwortung sind der Technologie nicht immanent. Dies bleibt den Menschen als Einzelne und der Gesellschaft als Ganzes überlassen. Dabei ist die Steuerungskompetenz der einzelnen Menschen eben sehr unterschiedlich, die Steuerungskompetenz der Gesellschaft erscheint sehr unzureichend und läuft der Entwicklung hinterher.
Die aktuelle Hirn- und Zellforschung lehrt uns nun heute, dass Risiken der Digitalisierung z. B. bei Fehlnutzung von digitalen Medien im Körper und in den Zellen Schäden anrichten können (siehe Kapitel 3). Dies findet insbesondere dann statt bzw. potenziert sich, wenn Menschen in Überforderung, Erschöpfung und Burn-out sind. Dies unterstreicht noch einmal die Balance-Notwendigkeit durch souveräne Mediennutzung, also Medienresilienz für jeden heutzutage.
Kompetenz zur Selbststeuerung
Für die Frage möglicher pathogener Wirkfaktoren in der Digitalisierung ist es also im Besonderen bedeutsam, ob jemand in guter Selbststeuerung souverän für sich ist, z. B.:
•in der Balance von online und offline,
•in der vegetativen Balance (sichtbar beispielsweise in der Messung der Herzratenvariabilität),
•in der Balance von sofortiger Bedürfnisbefriedigung und Befriedigungsaufschub,
•aber auch in der Erfüllung von eigenen und fremden Erwartungen beim sogenannten Arbeiten 4.0 (der neuen digitalbedingten Arbeitsorganisation mit flex desk, home office u. a.)
•im bewussten und zur Person passenden Vernetzungsgrad online (Smarthome), der noch Kontrolle bzw. Transparenz des Datenflusses aus der Privatsphäre zulässt.
Souveräne Menschen profitieren dann im positiven Sinne im Rahmen eigener Entscheidungen von den Möglichkeiten der neuen Technologien, viele können sie sinnvoll und bereichernd in ihr Leben einbauen.
Bei Menschen mit fragilen und schutzbedürftigen Persönlichkeitsanteilen bzw. fehlender Souveränität im Alltag sind Ängste oder Ignoranz in Bezug auf die Digitalisierung dagegen häufig und ausgeprägt. Aber diese Menschen verhalten sich dabei gerade so, dass sie die Kontrolle und Selbststeuerung aus der Hand geben und so ihren eigenen Ängsten Auftrieb geben. Hier ist Aufklärung und Beschäftigung in der Schule und auch politisch zur Digitalisierung zu betreiben ( Kapitel 4und 5).
2.1.4 Stress-Faktor permanente online-Einbindung
Es werden in der Digitalisierung zunehmend gesundheitlich bedenkliche Entwicklungen bei einer gesellschaftlich relevanten Zahl von Menschen identifiziert, bei der die Art der digitalen Nutzung eine Rolle spielt, wie Stresszunahme durch permanente Smartphone-Erreichbarkeit oder wie die Zunahme der stressbasierten Adipositas, die aber u. a. auch direkt als weitere Folge des Bewegungsrückgangs z. B. bei vielstündigem Gebrauch digitaler Medien am Tag gesehen wird.
Die Bedeutung ständiger Erreichbarkeit durch Smartphones als Stresswirkung fordert insofern vom Einzelnen hohe Kompetenzen in der vegetativen Balancierung, u. a. durch ausreichende Pausen und guten Schlaf. Im klinischen Kontext sehen wir dies bei den meisten unserer Burn-out-Patienten als eines der gravierenden Themen.
Durch die enorme Beschleunigung digitaler Technologien (rasche Innovationsschübe, kurzfristig aufeinanderfolgende Restrukturierungen in Unternehmen) mit zunehmender Eroberung aller gesellschaftlichen Bereiche (z. B. smarte Technologien wie „Smarthome“, Internet der Dinge, Robotik) und einem bereits schon hohen Stresslevel in der Bevölkerung gelingt die Bewältigung der sich ständig ändernden Anforderungen vielen Menschen oft nicht mehr.
Ältere Menschen hatten ihre Kompetenzen für andere, vielfach analoge Prozesse in der Gesellschaft erworben, jüngere Menschen haben ihre Alltagskompetenzen oft nur fragil oder nicht ausreichend ausgebildet.
Die digitalen Anforderungen wirken insofern dabei vielfach als zusätzlicher Stressfaktor. Hat der Betroffene dafür keine ausreichende Bewältigungs-Kompetenz, ist Krankheit die häufige Folge, insbesondere im Rahmen von Burn-out-Prozessen und anderen Stressfolge-Erkrankungen.
Wir wissen, dass Menschen in Burn-out-Prozessen ihre Souveränität in vielen Belangen des Alltags und der Anforderungserfüllung am Arbeitsplatz verlieren. Dies gilt insbesondere, wenn der Anforderungsdruck zunimmt, wie es durch z. B. Alleinerziehung, Pflege von Angehörigen, Mehrfachbelastung von Frauen, aber auch Arbeitsverdichtung, Restrukturierung und Personalverringerung häufig der Fall ist. Dabei werden Arbeitsplätze flexibilisiert, gehen gewohnte Kollegenkontakte verloren und das dauernde Erlernen neuer digitaler Techniken überfordert viele, da sie in kürzester Zeit beherrscht werden müssen. Hier ist die Steuerungskompetenz der Gesellschaft mit der Politik gefragt, die sie allerdings bisher nicht ausreichend wirksam erfüllt.
Stressrelevante Einflüsse in der Digitalisierung (Beispiele):
•ständige Erreichbarkeit (verordnet oder selbstinitiiert, „Revierstress“)
•mehrstündige Bildschirmpräsenz (Computerarbeit, Online- oder Smartphone-Nutzung) ohne Pausen
•Ängste vor Verlusten und dem Vergessenwerden bei Social-Media-Kontakten
•Missbrauch von mitgeteilten intimen Daten, Texten, Bildern, Videos, also soziale Nötigung und Cybermobbing
•Ängste vor Ausspähen der Privatsphäre
•Unterbrechungs-Stress durch Smartphone-Kontrolle (100-mal +/- täglich)
•Schlafstörungen durch Fehlnutzung (Überdosis, Online am Bett etc.)
Wie man heute krankheitsförderlichen Dauer-Stress diagnostizieren kann, dazu Kapitel 5, S. 420.
2.1.5 Stress durch Informationsüberflutung – News/Fake News
Heutzutage werden wir von Informationen, meist als News verpackt, überschwemmt. Das Wesentliche herauszufiltern, weiterhin die Nachrichten auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, das hat niemand gelernt und aktuell hat auch niemand dafür Zeit, weil ja schon die News und ihre Wirkung zusätzlich zur knappen Zeit den Rest der Zeit aufsaugen. Im Übrigen bräuchte man auch dringend Zeit zur Verarbeitung der Resonanz auf die massenhaften Inhalte ohne klaren Kontext.
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