Martin Löschmann
UNERHÖRTE ERINNERUNGEN EINES SONSTIGEN
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2015
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.deabrufbar.
Aus rechtlichen Gründen wurden ausgewählte Namen und Titel abgekürzt.
Copyright (2015) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
www.engelsdorfer-verlag.de
Cover
Titel Martin Löschmann UNERHÖRTE ERINNERUNGEN EINES SONSTIGEN Engelsdorfer Verlag Leipzig 2015
Impressum Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Aus rechtlichen Gründen wurden ausgewählte Namen und Titel abgekürzt. Copyright (2015) Engelsdorfer Verlag Leipzig Alle Rechte beim Autor Hergestellt in Leipzig, Germany (EU) www.engelsdorfer-verlag.de
Annäherungen
Den Berg haben die Polen abgetragen
Ohne Schlittschuhe in den Krieg geschlittert
Familientreffen in Abwesenheit von Onkel Hugo
Klassentreffen – Wiederbegegnung mit Zeitz in Zeitz
Abgelehnt und doch studiert
Kam ein Schwamm geflogen
Mein Herder-Institut lob ich mir
Aus den Fugen geraten – In Finnland
Verjagt aus keinem guten Grund
Nun ade, du mein lieb‘ Institut
Mit 60 als Anglist zum ersten Male in England
China, China
Wenn Russland für deutsche Kleingeister zu groß bleibt
Sehnsuchtsort Berlin – Zu Hause
Die letzten Worte
Feig, wirklich feig ist nur,
wer sich vor seinen Erinnerungen fürchtet.
Elias Canetti
Was, du willst Memoiren, deine Memoiren schreiben?, fragt mich M., die mich bei irgendeiner offiziellen Gelegenheit einen 67jährigen nannte, obwohl ich gerade mal 66 war. Erinnerst du dich an den wunderschönen italienischen Don Camillo -Film? „Nimm dich nicht so wichtig“, sagt darin der Gekreuzigte zu Don Camillo. Weißt du nicht, wie viele Memoiren-Bände die Verlage jährlich abwehren müssen? Es gibt einfach zu viele Menschen, die eitel und womöglich besessen, erinnerungssüchtig genug sind, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben. Hast du nicht kürzlich in deinem Herder-Blog ein solches Werk rezensiert? Die humorigen, durchaus lesenswerten, wenngleich gelegentlich leicht hochfliegenden Memoiren von Peter Zimmermann, einem deiner Kommilitonen und späteren Kollegen am Herder-Institut, Geschichte wird uns zugefügt. Ein Ostdeutscher erinnert sich an das 20. Jahrhundert.
Willst du wirklich einer von denen sein? Ja, wärest du bekannt und berühmt, in Skandale verwickelt, Posträuber, Entführer, Attentäter, Verräter, Entertainer, vom Tellerwäscher zum Millionär Emporgestiegener, ein Preisträger, irgendeiner, ein korrupter Politiker, Schauspieler, Dummschwätzer.
Erinnerungsschreiber wollen sich eher verhüllen als enthüllen. Und bedenke Ringelnatz: „Die Erinnerungen verschönen das Leben, aber das Vergessen allein macht es erträglich.“ Willst du, dass der Rest deines Lebens unerträglich wird?
Ja, wenn du wenigstens in die Nähe von Berühmtheiten gekommen wärest. Das könnte womöglich den einen oder anderen dein Werk in die Hand nehmen lassen. Ich spreche nicht vom Lesen. Wir kommen in Dudince, einem Kurort in der Slowakei, mit einem Tischnachbarn ins Gespräch über Kinder und Kindeskinder, erzählen nicht ohne Stolz, dass unsere – zum damaligen Zeitpunkt unser Sohn über den ägyptischen Staatspräsidenten Nasser – promoviert haben. „Nasser Gamal“, sagt da der Gesprächspartner, „den kenne ich persönlich, bin ihm 1962, genau am 4. März, in Moskau begegnet.“ Es gibt Leute, die definieren sich stets und ständig über bekannte Persönlichkeiten. Der langjährige Bibliothekar der Deutschen Hochschule für Körperkultur und Sport in Leipzig, K. W., lange ein Freund, gehörte zu dem Personenkreis, der sich gern im Glanz berühmter Persönlichkeiten spiegelt. Und habe ich nicht 1993 in Kingston upon Thames fast die Queen von England getroffen, jedenfalls ist sie an mir vorbeigeschritten, ich hätte sie fotografieren können. Das zugeschminkte, zur Maske erstarrte Gesicht hat sich mir ohnehin eingeprägt und bevölkert gelegentlich meine Albträume.
Ermutigend war der Schwall von Fragen nicht gerade, obwohl ich mir sagen konnte, so tief hinaus wollte ich nie. Nicht nur einmal in den letzten Tagen, Wochen, Monaten, die mich zum Schreiben anhielten, habe ich den Kauz auf meiner Schulter mit seinem wozu-wozuu-wozuuu gespürt. Immer wenn Professor Martin, Anglist, einer meiner Lehrer an der Leipziger Universität, auf für ihn abwegige Interpretationen englischer Literaturwerke stieß, bemühte er dieses Bild. Aber wer kennt Professor Walther Martin, hat kaum etwas publiziert und konnte seine oberlehrerhaftbelehrende Art nie ganz ablegen. Der erwähnte Zimmermann kommt allerdings zu einer bemerkenswerten Aufwertung von Martin, verbunden mit einer Abwertung meines Professors Hans Mayer.
Auf Mayer lass ich nichts kommen, ein beeindruckender Professor, stets in maßgeschneiderten Anzügen, sein beachtlicher Bauchansatz dadurch eingedämmt und die geringe Körpergröße gestreckt. Er wird an dieser Stelle schon mal erinnert, weil er mich auf die Liste derjenigen Studenten setzte, die 1959 zu den Schillerfeierlichkeiten in die Bundesrepublik reisten durften. Er war es auch, der mich zum Praktikum ins Berliner Ensemble schicken und mich dadurch Bertolt Brecht einige Wochen vor seinem Tode erleben ließ. Wir Praktikanten durften eine Probe zu Leben des Galilei mit Ernst Busch von der Empore aus verfolgen. Von den Regieanweisungen verstand man kaum etwas, Brecht jedoch war an seinem ein wenig linkisch und eckig wirkenden Gang erkennbar. Welch ein Ereignis für Brechtenthusiasten, die Brechtjünger – Benno Besson z.B. war bestimmt dabei – schlichen in angemessenem Abstand um den Meister vor und auf der Bühne herum.
Ich gerate in den Sog der Verteidigung meines Unterfangens und schwelge in Erinnerungen an meinen Professor. Kannst du dich erinnern, dass du bei deinem Vater Max Frischs Herr Biedermann und die Brandstifter hast liegen sehen mit den Unterstreichungen von eben diesem, meinem Literaturprofessor? Du hast dir mühselig und kostspielig ein Exemplar ‚aus dem Westen‘ besorgt, die authentischen Unterstreichungen übertragen und mir die Kostbarkeit geschenkt. Was für ein unvergessliches Liebesgeschenk. Denkst du nicht, dass ein Einfall wie dieser der Welt, meinetwegen der Nachwelt, überliefert werden müsste? Ja, ich weiß, ein Personalmuseum muss her.
Auf einer Weihnachtsfeier des Instituts für Interkulturelle Kommunikation Berlin im Brecht-Keller in der Chaussee-Straße erzähle ich das fast 40 Jahre später meiner Nachbarin zur Linken, Frau Dr. Lilli Bock. Sie strahlt, als ich mich an ihren Vortrag im DDR-Kulturzentrum Helsinki erinnere: Das literarische Werk Anna Seghers von 1945 bis zur Gegenwart . „Über Ihr Praktikum am BE müssen Sie unbedingt schreiben. Dafür interessiert man sich heute.“ Das schmeichelt.
Und Corinna Harfouch, hat sie uns nicht kürzlich in die Kammerspiele des Deutschen Theaters eingeladen: Corinna Harfouch liest ‚BILLY THE KID’ , Mi, 22.11.2006, 20:00 Uhr. Musik: KATDSE. Auf der Eintrittskarte steht nicht, dass Johannes Gwisdek, ihr Sohn, die Musik dazu gemacht hat. Ich möchte mal wissen, wer unter den rund 200 Zuschauern an jenem Abend das wusste. Corinna gehört zweifelsohne zu den großen deutschen Schauspielerinnen der Gegenwart. Na, bitte. Nach der Veranstaltung treffen wir ihre Schwester, sie ist gleichfalls Schauspielerin geworden und probt gerade die Rolle der Mutter Babette in Frischs Biedermann und die Brandstifter , das wieder einmal in Zürich aufgeführt werden soll, dort, wo die Uraufführung 1958 stattfand.
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