•Genügend lange Telomere bei der Vererbung
•Stressarmes Wachsen im Mutterleib
•Initiale Stillzeit, hohe Oxytocin-Ausschüttung
•Dyadische Kommunikation
•Unbehinderte Entwicklung des Gehirns
•Gute Ausbildung und Training des ventralen Vaguszweigs
•Angemessene Ernährung nach der Stillzeit
•Vorbildfunktion der Eltern mit Medien
•Sehr sparsame kindliche Medienerfahrung
Diesen Kindern geht es in den allermeisten Fällen gut und sie sind in guter Gesundheit. Dies gelingt immer dann gut, wenn Eltern ihre Kinder lieben können, so wie sie sind. Dieser Satz endet mit einem Punkt! und nicht etwa mit einem Komma und einem dann folgenden „aber“ oder „wenn“. Darauf weist André Stern in seinen Vorträgen und Büchern immer wieder hin (siehe Literaturliste).
Wir kommen auf diese Merkmalsliste in Kapitel 3zurück, wenn wir uns die aktuelle reale Situation der Kinder in Deutschland anschauen.
Jetzt in Kapitel 2gehen wir erst einmal in der Übersichtsgrafik noch weiter zurück zu der Zeit der Eltern vor der Empfängnis, schauen uns ihre Verfassung an in Bezug auf ihre Gesundheit und ihre Kompetenzen und was es bedeutet, wenn sie Kinder bekommen.
Kapitel 2 ELTERN
Eigene Erfahrung von über Jahre andauernder gelungener Partnerschaft zeichnet die Menschen aus (eines der Hauptmerkmale), die mit 50 Jahren von Zufriedenheit mit ihrem Leben berichten. Diese Menschen leben meist in guter Gesundheit.
Dieses Kriterium lässt sogar die Prognose guter Gesundheit auch mit 75 Jahren sowohl körperlich als auch psychisch sehr verlässlich zu. (Harvard-Langzeitstudie zur Gesundheit seit 1938) 5
Prof. Robert Waldinger als Leiter der Studie betont, dass sich damit der Gesundheitszustand besser vorhersagen lässt als beispielsweise mit den Cholesterinwerten.
(Zur häufigen Fehleinschätzung der Bedeutung von Cholesterinwerten siehe auch mein Buch „Schutz vor Burn-out“, S. 140f.).
Auf mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland trifft „gute Gesundheit“ aber nicht mehr zu. Wie ist die gesundheitliche Verfassung der Deutschen?
Wir schauen uns daher die Situation der Eltern bzw. der Menschen, die Kinder bekommen wollen, also vor der Empfängnis (in der Mitte der schon bekannten Abbildung) genau an.
Abb. 1: Phasen des Lebenslaufs von der Empfängnis bis zur Erwachsenenzeit
2.1 Gesundheit und Erkrankungen in Deutschland
Gesunde Eltern sind ein Geschenk für die Kinder, aber das können nicht alle Kinder erleben. Viele Eltern fühlen sich selbst nicht wohl, haben es schwer, ihr eigenes Leben zu meistern oder müssen mit eigenen Krankheiten fertig werden und einen Umgang damit finden.
Fast die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung hat Bluthochdruck in verschieden starker Ausprägung. In unserem Gesundheitssystem gilt das nicht als großes Problem, da man den Blutdruck mit Medikamenten senken und ihn „einstellen“ kann.
So „eingestellt“ ist das Problem weg, wie es jedenfalls scheint. Das stimmt allerdings nicht, denn ein längere Zeit erhöhter Blutdruck ist physiologisch eine manifeste Krise, weil die Regelung des Blutdrucks im Vegetativum ein grundsätzlich ganz stabiles System ist. Wenn es aus der Balance kommt, muss man sich die Ursachen anschauen.
Und dann sieht man regelmäßig, dass ein nicht balancierbarer Anforderungsdruck im Alltag, woher er auch immer kommen mag, offensichtlich die physiologische Regelung zunehmend beeinträchtigt, beim Blutdruck und vielen anderen vegetativen und Stoffwechsel-Funktionen.
Wird dies aber nicht als Krise gesehen, dann bleibt der Alltag unverändert, spitzt sich vielleicht sogar zu. Stress, insbesondere Dauerstress bei einem allgemeinen Anforderungsdruck, der die Bewältigungskräfte übersteigt, bildet dabei die dysfunktionale Grundlage der meisten sogenannten Zivilisationskrankheiten und insbesondere der Zunahme psychischer und psychosomatischer Störungen. Das schauen wir uns jetzt genauer an.
Dies können wir in der modernen Stress-Diagnostik (siehe Kapitel 5) sehr genau nachweisen. Bei Dauerstress (trotz „eingestelltem“ Blutdruck) kommen viele physiologische Regelungssysteme aus der Balance und wir sehen dann z. B. Burn-out, Depressionen, auch Diabetes Typ 2, die jeweils aktuell etwa jeden fünften der erwachsenen Bevölkerung betrifft (viele auch mit mehreren dieser Krankheiten, da es sich um eine gemeinsame Stress-Ursache handelt). Dass Depressionen oder auch Diabetes Typ 2 u. a. eine Stress-Ursache haben, ist dabei in der Bevölkerung gar nicht so bekannt.
Das Stress-System ist seit Jahrtausenden speziell ausgelegt für Situationen, in denen man kämpfen oder fliehen muss. Wenn beides nicht geht, kann man sich noch „tot“-stellen. Früher waren die Gefahren klar und diese Entscheidungen überlebenswichtig. Wenn der damalige Mensch überlebt hatte, kehrte wieder Ruhe ein und das Stress-System ging in seine Ausgangs-Ruhelage zurück.
Heute sind die Gefahren eher unterschwellig, sie sind vielfach nicht greifbar, aber diese unterschwellige Bedrohungsempfindung (Angst vor Arbeitsplatzverlust, Überforderung, digitales Ausspähen, empfundene Erniedrigung, Ausgeschlossen-Werden, Mobbing usw.) aktiviert trotzdem das Stress-System und lässt es nicht mehr zur Ruhe kommen.
Insgesamt leidet mehr als die Hälfte der Bevölkerung unter solchem Dauer-Stress, fast drei Viertel der arbeitenden Erwachsenen in Berlin beispielsweise haben keinen erholsamen Schlaf mehr (Studie der DAK, siehe auch S. 148).
Schauen wir uns einige Stress-Gründe genauer an.
2.1.2 Beziehungs-Stress und Trennungen
Gut drei Viertel der Menschen in Deutschland leben in der aktuell üblichen Familienform mit Mutter, Vater oder mittlerweile auch gleichgeschlechtlicher/m PartnerIn und einem oder mehreren Kindern zusammen. Das sagt noch nicht viel über die Atmosphäre in den Familien aus. Denn es gibt immer mehr Menschen, die abnehmende Beziehungs-Kompetenzen haben, nicht mehr in sich ruhen oder im Dauer-Stress leben. Dazu tragen Beziehungskonflikte und häufiger Streit ebenso bei wie der Stress aus den Arbeitsverhältnissen.
Die durchschnittliche Ehedauer in Deutschland beträgt etwa 15 Jahre. Aktuell werden knapp 38 % der Ehen wieder geschieden, etwa 150.000 pro Jahr. Die Eltern der Hälfte davon haben minderjährige Kinder, darunter 20 % mit Kindern zwischen null und fünf Jahren.
Das sind jährlich 15.000 kleine Kinder, die aus ihrer noch märchenhaften Welt durch eine Scheidung herausgerissen werden, auch wenn nach langem Streit oder deutlich gewordener Unvereinbarkeit der Lebensvorstellungen der Eheleute dies auch für einige Kinder so besser ist.
Hinweisen möchte ich darauf, dass in Schweden, wo es schon lange eine Elternzeit für Väter gibt und dies dort auch deutlich genutzt wird, ein deutlich geringeres Scheidungsrisiko bei Paaren besteht, wenn Väter diese Elternzeit genutzt haben.
Die genannten Zahlen sind ein Anhaltspunkt für die Auswirkungen auf Eltern und Kinder, denn die Häufigkeit von Trennungen von Paaren ohne Eheschließung ist statistisch nicht klar erfasst und wird je nach Einstellung zur Ehe als häufiger oder weniger häufig angegeben.
Etwa 17 Millionen Menschen leben in Singlehaushalten, davon sind 1,5 Millionen Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern. Singlehaushalte sind nicht unbedingt von Beziehungs-Stress befreit. Die Single-Situation ist von vielen frei gewählt, von vielen anderen aber nicht. Sie entstehen auch häufig aus Trennungen. Und Stress aus dann nachlaufenden streitbefangenen Themen wie Sorgerecht, Unterhalt, Besuchsregelungen sind sehr häufig. Dazu kommt der Stress durch die Mehrfachbelastung und regelhaft Belastung durch ein schlechtes Gewissen, dass man den Kindern nicht gerecht wird. Und sicherlich auch Stress bei der eventuellen Suche nach einem neuen Partner.
Читать дальше