ALEX BAUR
ESTHER VILAR UND DER DRESSIERTE MANN
Alex Baur
Unerhört
Esther Vilar und der dressierte Mann
Elster & Salis AG, Zürich
info@elstersalis.com
www.elstersalis.com
Lektorat/Korrektorat |
Anja Linhart und André Gstettenhofer |
Satz |
Peter Löffelholz für Torat GmbH |
Umschlaggestaltung |
André Gstettenhofer |
Umschlagbild |
Sven Simon, Sven Simon Fotoagentur GmbH & Co. Pressefoto KG |
Gesamtrealisation |
www.torat.ch |
Gesamtherstellung |
CPI Books GmbH, Leck |
1. Auflage 2021
© 2020, Elster & Salis AG, Zürich
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-03930-012-9
eISBN 978-3-03930-013-6
Elster & Salis AG wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Förderbeitrag für die Jahre 2021–2024 unterstützt.
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Zum Autor
Als sie an jenem Morgen in einem Wiener Hotelzimmer aufwachte, war Esther Vilar eine berühmte Frau. Wusste sie das? Zumindest eine Ahnung hatte sie. Die Spannung in der Wiener Stadthalle war noch mit den Händen zu greifen gewesen, als die Scheinwerfer und die Kameras längst ausgeschaltet waren. Alle Augen und Ohren, so schien es ihr, waren auf sie gerichtet. Esther Vilar hatte sich so schnell aus dem Staub gemacht, wie es der Anstand nur erlaubte. Der Rummel war ihr nicht geheuer. Sie spürte, dass ein Bann gebrochen war. Nur wusste sie nicht recht, in welche Richtung es nun weitergehen sollte. Kaum im Bett, war sie eingeschlafen. Nach einer traumlosen Nacht – schon lange hatte sie nicht mehr so tief geschlafen, welch wohliges Gefühl – ließ sie im Halbschlaf ihren Auftritt in der Wiener Stadthalle Revue passieren: Feministische Erbauungsliteratur … fantastische Ausrede … sexuelles Monopol … Luxusleben … Kuchen backen … geistige Tätigkeit … Dressurakte … Koffer tragen … Krieg … Sklaven … Brutinstinkt … Kindergeiseln … streunende Hunde … Straßenecke … Freier . Nein, sie hatte nichts ausgelassen. Ja, die Sendung war optimal gelaufen. Zweifellos.
Wie erfolgreich ihr Auftritt tatsächlich gewesen war, wurde Esther Vilar allerdings erst richtig bewusst, als sie an jenem Morgen auf der Suche nach einem Kaffeehaus durch die Wiener Innenstadt schlenderte. Wildfremde Menschen grüßten, als wäre sie eine alte Bekannte. Kinder, die in der Straßenbahn vorbeifuhren, zeigten ungeniert mit den Fingern auf sie. Die einen nickten ihr mit einem verschmitzten Grinsen zu, andere starrten sie verdutzt an ( oder war es eher feindselig? ). Ein Passant, den sie um Rat gebeten hatte, führte sie persönlich zu einem Kaffeehaus ( »Aber bitte, Frau Vilar, das ist doch selbstverständlich« ). Man schrieb den 31. Oktober 1971, es war ein Sonntag.
Mit einem genialen Coup über Nacht in die Sphäre der Stars katapultiert, auf wundersame Weise von der gesichtslosen Raupe zum bunten Schmetterling transformiert, den Namen unsterblich in die Annalen der Geschichte graviert. Das ist es, wovon Millionen und Abermillionen Menschen – Künstler, Unternehmerinnen, Wissenschaftler, Ärztinnen, Philosophen, Schauspielerinnen, Generäle, Helden des Alltags aller Art – jeden Tag mindestens einmal träumen. Wie viele haben sich schon aufgeopfert für diesen Traum, haben alles gegeben, sich prostituiert, sich nächtelang in ihren Betten gewälzt, sich gequält und geschunden, sich alles Mögliche und Unmögliche eingeredet und eingebildet, im Wissen darum, dass es nur ganz wenige, eigentlich nur Einzelne schaffen. Und selbst wenn sie es schaffen, dauert die Aufmerksamkeit meist nicht länger als jene flüchtigen fünfzehn Minuten zweifelhaften Ruhms, die Andy Warhol einst jedem Erdenbürger zubilligte.
Waren das nun ihre fifteen minutes – die fünfzehn Minuten der Esther Vilar? »Die Eitelkeit, der kleine Argentinier in uns allen« , schoss es ihr durch den Kopf. Vilar lachte leise auf. Ein Herr am Nebentisch, der sie schon seit geraumer Zeit aus den Augenwinkeln beobachtet hatte, nickte ihr freundlich zu, sie lächelte flüchtig zurück, wandte sich aber gleich wieder ihrer Kaffeetasse zu. Sie hatte keine Lust auf Gespräche. Der kleine Tango-Argentinier in uns allen, den musst du dir merken, der ist gut . Gewiss, kein Mensch ist frei von Eitelkeit, das wusste sie nur zu gut, auch Esther Vilar nicht (eigentlich war das nicht ihr richtiger Name, doch davon später). Aber nein, sie hatte den kleinen Argentinier , mit dem sie im Übrigen einen recht unbeschwerten Umgang pflegte, ganz leidlich unter Kontrolle. Abgesehen davon war ihr die öffentliche Aufmerksamkeit eher eine Last denn eine Freude, aufjeden Fall ungeheuer. Das Aufsehen war nützlich, ja unabdingbar für ihre Karriere als Schriftstellerin, mehr nicht. Der Rummel um ihre Person würde die Auflage ihres Buches steigern. Und nichts misst den Erfolg eines Werkes so unbestechlich wie die Verkaufszahlen ( über den kommerziellen Erfolg lästern nur jene, die ihn vermissen – oder etwa nicht? ). Schließlich schrieb man für das Publikum ( ein möglichst großes Publikum, so einfach ist das ). Und ganz abgesehen davon konnte sie das Geld gut gebrauchen, nach ihrem Rausschmiss beim Pharmaunternehmen mehr denn je. Obwohl – nein, das Finanzielle hatte ihr nie wirklich Sorgen bereitet.
Tatsächlich fürchtete sie nichts mehr in ihrem Leben als öffentliche Showdowns wie jener vom Vorabend in der Wiener Stadthalle. Es war ihr erster TV-Auftritt überhaupt gewesen. Zahllose sollten folgen. Die panische Angst vor dem Rampenlicht blieb Vilar auch später als stetige Begleiterin erhalten. Lag etwa gerade hier das Geheimnis ihres Erfolgs? War es diese Urangst, die sie jeweils zu Höchstleistungen antrieb?
Jedenfalls dauerte der Hype um Vilar länger als die besagten fünfzehn Minuten, bedeutend länger, nämlich sechs Jahre, um genau zu sein. Bis sie sich selber dafür entschied, damals auf der Dachterrasse eines Hotels in Madrid, dem Schreiben ein Ende zu setzen. Es waren sechs verrückte Jahre …
Wo immer sie auftrat, diese stets freundliche, aber auch unnahbare Frau Doktor, von der man nie recht wusste, ob sie nun aus Südamerika oder aus Europa stammte, waren hitzige Debatten garantiert: zuerst in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz, dann in England, in Nord- und Südamerika. In Spanien wurden sogar Bücher über sie geschrieben. Ein geschlagenes Jahr lang hielt sich ihr Erstling Der dressierte Mann nach jenem legendären Wiener TV-Auftritt in den Top Ten der Spiegel -Bestsellerliste. Im spanischen Sprachraum dauerte der Boom sogar noch länger an. Das millionenfach verkaufte und in mindestens zwei Dutzend Sprachen (ein weiteres Dutzend Raubkopien nicht mit eingerechnet) übersetzte Büchlein sorgte für rote Köpfe von Istanbul bis Reykjavik, von Tokio bis Caracas. Der dressierte Mann prägte eine ganze Generation, in welche Richtung auch immer.
Gemäß den einen Umfragen stießen Vilars Thesen um den dressierten Mann mehrheitlich auf Ablehnung. Andere schienen das Gegenteil zu belegen. Es kommt halt immer drauf an, wer wen wie befragt. Wer sieht schon in die Köpfe der Menschen hinein, zumal in keinem Bereich so viel gelogen und geschummelt wird wie bei den Fragen des Geschlechts. Wenn es um Beziehungen und Sex geht, entspricht die geäußerte Meinung nicht immer (oder auch eher selten) dem tatsächlichen Empfinden. Es war auch von Land zu Land verschieden. Die Deutschen debattierten eher mit harten Bandagen, die Angelsachsen etwas kühler, bei den Lateinern wurde es oft chaotisch. Das Entscheidende aber war: Es erschien unmöglich, keine Meinung zu diesem Büchlein zu haben – man war entweder für oder gegen Vilar, dazwischen gab es nichts.
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