»Kann das nicht jemand anderes machen?«
»Du bist der Chef, also.«
»Viel zu melden hab ich anscheinend nicht.«
Er nickte über den Tresen, und sie wusste sofort, auf was er anspielte. Trotz des Rauchverbots qualmten die Gäste munter drauflos. Frank sprach oft davon, dass die Kneipe zu einem Gemeinderaum verkommen sei und ihn niemand mehr als Chef und Eigentümer wahrnehme. Erika zupfte eine der Papierbrillen aus der Tüte und trat so dicht an ihn heran, dass ein Kuss zwischen ihnen von der Meute unbemerkt geblieben wäre; dann klemmte sie ihm die Bügel hinter die Ohren. In dem Rahmen glichen seine Augen pechschwarzen Samen in einer rosaroten Blüte. Sie riet ihm, einfach an die Zukunft zu denken.
»Und wenn sie das ganze Projekt abblasen?«
»Die Sache ist längst unter Dach und Fach.«
»Politiker können sich umentscheiden.«
»Die rennen genauso der Knete hinterher wie wir.«
»Und das verdammte Grundwasser?«
»Was soll damit sein?«
»Das brauchen die zur Produktion der Batterien. Wenn das Umweltamt kein Okay gibt, ist es aus und vorbei.«
»Hat dir das Tom erzählt?«
»Ja, der ist bestens informiert.«
»Lass dich von dem bloß nicht vollquatschen.« Sie blinzelte zum Fensterplatz, wo Tom Kowalski allein vor sich hin brütete. Dann schob sie ihm die Mütze aus der Stirn und das Licht offenbarte das Blau seiner Augen. »Das sind alles Hirngespinste. Dumme Verschwörungstheorien.« Sie wandte sich um, konnte nirgends das Geburtstagskind entdecken und gab ihm einen Kuss.
Tom Kowalski ließ sich das Papierhütchen auf den Kopf setzen, wobei er als Zeichen seines Widerwillens keinerlei Regung zeigte.
»Hey«, sagte Erika. »Ein bisschen Freude bitte.«
»Ich kenne Krüger gar nicht richtig.«
»Und warum bist du dann hier?«
»Herdentrieb, was sonst?«
Auch wenn längst nicht alle eingetrudelt waren, rechnete Tom damit, dass sich der Laden binnen einer Stunde füllen würde. Erstens hatten die Kuxwinkler nichts Besseres zu tun, zweitens ging das Gerücht um, es gäbe zur Feier des Tages Freibier. Tom hatte sich mit seinem Glas an den einzigen Fensterplatz bequemt, dorthin, wo das Abendlicht auf den dumpfen Schein des Kronleuchters traf und er Kneipe und Dorfstraße überschauen konnte.
»Du.« Erika rutschte an ihn heran. »Ich hab ’ne kleine Bitte.«
Tom ahnte, was kommen würde, und ihr kummervolles Gesicht bestätigte seinen Verdacht, noch ehe sie ausgesprochen hatte.
»Achte auf deinen Bruder, okay?«
»Der kann sich seine Schuhe selber zubinden.«
»Der kann vor allem Stress machen.«
»Ist das nicht ein bisschen übertrieben?«
»Tom, bitte. Erinnere dich nur an letztes Mal.«
»Okey-dokey«, gab Tom nach und nippte an seinem Bier. Dieses Thema, und insbesondere, dass die Leute meinten, ihn ständig daran erinnern zu müssen, hing ihm zum Hals heraus. Vor einem Jahr war seine Mutter gestorben und seitdem hielt man ihn für den Babysitter seines Bruders. Mittlerweile konnte er die Stunden ohne Patrick kaum noch genießen, denn ständig plagte ihn das Unbehagen, er treibe es irgendwo auf die Spitze.
Tom zupfte am Gummiband des Hütchens, ließ es gegen sein Kinn schnappen und grinste. »Heute feiert Jannes Geburtstag. Da wird niemand Stunk machen.«
Erikas Miene verriet, dass sie seine Zuversicht zwar teilen wollte, aber dem Frieden nur bedingt traute. Sie schob das Hütchen auf seinem Kopf in eine leichte Schräglage und nickte; dann wandte sie sich ab und durchquerte mit einem Lachen, als hätte er ihr einen kolossalen Witz erzählt, den Raum. Am Tresen rückte sie neben René Berkholz, dem sie sogleich einen blauen Hut und eine blaue Brille verpasste. Die beiden lachten einander an und tätschelten sich dabei die Schulter. Es hielt sich das Gerücht, dass Erika etwas mit René gehabt habe, wohlgemerkt im Beisein ihres Mannes; von einer Neujahrsfeier war die Rede, von zu viel Alkohol und einer Videokamera. Tom reizten solche Gerüchte kaum, vielmehr ärgerte es ihn, dass sich seine Nachbarn eher für diesen Schmutz interessierten als dafür, was die Regierung hinter ihren Rücken anstellte. Während er einen Schluck von seinem Bier nahm, entdeckte er eine Fliege auf dem Fenster. Das Insekt krabbelte am Rahmen entlang, die Beine herbstmüde, die Flügel grau wie das Glas.
»Na, mein Lieber. Was machen die Ufos?«
Wolfgang Bielecke plumpste auf den Stuhl ihm gegenüber. Er trug ebenfalls einen Papierhut, dazu flatterte ihm eine Luftschlange um den Kragen, als hätte er bereits eine Sause hinter sich. Tom schaute ihm direkt ins Gesicht, wo über einem vergilbten Schnauzer die Kupferakne blühte. »Keine Ahnung«, antwortete er in aller Ruhe, »Ufos interessieren mich nicht.«
»Ich dachte.«
»Da haste dich wohl geirrt.«
Bielecke grinste auf diese abfällige Art, die dem Gegenüber signalisieren sollte, er wüsste es insgeheim besser. Tom ließ sich von seinem Äußeren und seiner Alkoholfahne nicht täuschen – genauso wie eine kaputte Uhr zweimal täglich die richtige Zeit anzeigte, blitzte unter Bieleckes Gefasel mitunter sein Verstand auf.
»Ich hab gehört, dass der Flughafen noch länger braucht.«
Tom zuckte die Achseln.
»Irgendwelche Rauchmelder funktionieren nicht.«
»Kann sein.«
»Außerdem sind die Türen unbrauchbar.«
»Totaler Unsinn«, murmelte Tom schneller, als ihm lieb war.
»Wie bitte?«
»Nichts.«
»Jedenfalls stimmt irgendwas mit der Betoneinfassung nicht.«
»Ja, kann sein.«
»Die haben anscheinend das falsche Material benutzt.«
»Ist doch alles Fake.«
»Das Material?«
»Nein, deine Infos.«
»Stand so in der Zeitung, schwarz auf weiß.«
»Deswegen ist es nicht automatisch die Wahrheit.«
»Warum sollten sie denn lügen, mein Lieber?«
Bielecke zündete sich eine Zigarette an, inhalierte und schnaubte den Rauch durch seine Nase über den Tisch. Tom, eine Hand um die Bierflasche, die andere auf dem Oberschenkel, lehnte sich zurück. In der Hoffnung, sich von Bieleckes Gefasel abzulenken, konzentrierte er sich auf die Fliege. Bielecke neigte sich vor und fragte ihn, was man seiner Meinung nach verschleiern wolle.
»Ich hab keine Lust auf das Thema.«
»Echt peinlich für den Standort Deutschland, oder?«
»Alles Fake, alles.«
»Na ja, das kann jeder behaupten.«
»Hör zu«, presste Tom hervor. »Die bauen unterm Flughafen ein Schienennetz. Für den Notfall.«
»Falls die Lokführer streiken?«
Tom war sich unschlüssig, ob der Alte ihn auf die Schippe nahm oder es ernst meinte. Einmal hatte Bielecke mit Patrick eine hitzige Diskussion über das Thema Kondensstreifen geführt, wobei am Ende Tom seinen Bruder hatte beruhigen müssen. Für ihn selbst hatte der Clinch einen besonders bitteren Beigeschmack gehabt, schließlich entsprach Patricks Ansicht, die Regierung würde Chemikalien versprühen, der Wahrheit. Der Einsatz dieser Chemikalien sollte nämlich einen Teil der Bevölkerung unfruchtbar machen; ein Nebeneffekt und gleichzeitig der unleugbare Beweis war das massive Insektensterben. Ohne die Fliege aus den Augen zu verlieren, sagte Tom:
»Nein, im Falle eines atomaren Angriffs.«
»Du meinst, die bauen einen Atombunker?«
»Ja.«
»Clever«, meinte Bielecke, und Tom bemerkte, wie dessen Blick ebenfalls die Fliege anvisierte.
»Stört dich das nicht?«
»Mich? Wieso?«
»Das Ding wird durch deine Steuergelder finanziert. Uns Normalos wird dagegen kein Schutz gewährt, deshalb ist das Projekt auch topsecret.«
Bielecke schwieg.
»Haste dich mal gefragt, weswegen die Amis ausgerechnet hier ihre Fabrik hochziehen wollen und warum ausgerechnet jetzt?«
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