Die Replik von Hanjo von Wietersheim auf Gerhard Dittscheidt
Wenn die Seele den Boden verliert
Caritaswissenschaftlich-historische Überlegungen zur Notfallseelsorge Von Kai Herberhold
PROJEKT
Die wissenschaftliche Fortbildung „Notfallseelsorge und Krisenintervention“ in Kooperation mit der Katholisch-Theologischen Fakultät Bochum
Von Ulrich Slatosch
INTERVIEW
Ganz eindeutig ein Feld interreligiösen Lernens!
Ein Gespräch mit Thomas Lemmen
PRAXIS
Notfallseelsorge: Begleitung am Karsamstag
Von Andreas Müller-Cyran
Notfallseelsorge als Teil der Rettungskette
Von Berthold Rzymski
Beantworte niemals eine Frage, die keiner gestellt hat
Trauerbegleitung von Kindern und Jugendlichen im Kontext Schule Von Detlef Schwarz
Notfallseelsorge in Großschadenslagen
Von Frank Meurer und Jürgen Langer
FORUM
Dem aufmerksamen Augenpaar
Wolfgang Frühwald zum 80. Geburtstag Von Schriftleitung und Redaktion der Lebendigen Seelsorge
POPKULTURBEUTEL
Selfie
Von Bernhard Spielberg
NACHLESE
Glosse von Wolfgang Frühwald
Impressum
Buchbesprechungen
Matthias Sellmann Mitglied der Schriftleitung
Liebe Leserin, lieber Leser,
das Praxisfeld der Notfallseelsorge ist eher wenig bekannt und wenig thematisiert. Sichtbar für viele wird es dann, wenn es zu spektakulären Großschadensfällen kommt. Viele werden sich erinnern, dass es Notfallseelsorger waren, die bei der Trauerfeier zum Anlass des Suizid-Absturzes der Germanwings-Maschine im Kölner Dom Engelfiguren aus Holz an die Angehörigen und an die politischen Repräsentanten verteilten. Ein eindrückliches Bild. Natürlich: so wie man solche Dramen am liebsten ausblendet, so wendet man sich auch pastoral(theologisch) lieber Praxisfeldern zu, die einem zugänglicher und alltagsnäher sind. Trotzdem, so sagt es Ihnen dieses Themenheft: es lohnt sich enorm, die Kolleginnen und Kollegen mit der lila Einsatzweste näher kennenzulernen.
Denn wie wenig andere Einsatzfelder der Pastoral fordert die Notfallseelsorge für Einsichten zum Schwur, die wir zwar abstrakt vertreten, faktisch aber oft unterlaufen: Notfallseelsorge ist absolut absichtsfrei; sie ist elementar diakonisch; sie ist oft sprachlos und gerade darum voller präsenter Kraft; hier arbeiten Priester mit Feuerwehrleuten und Rettungssanitätern, kirchliche und säkulare Akteure im Team; sie ist ökumenisch; sie ist interreligiös. Gerade weil Pastoral hier an den letzten Existenzpunkt geht, an den niemand freiwillig gehen wird, und in ihm aushält, geht sie über einen kirchlichen „Betrieb“ hinaus. Und bezeugt einen Gott, der diesen Punkten nicht ausweicht. Und der sich genau für solche Heillosigkeiten eine Kirche gegründet hat.
Notfallseelsorge: Schneller geht’s nicht.
Ihr
Prof. Dr. Matthias Sellmann, Mitglied der Schriftleitung
Notfallseelsorge – eine katholische Perspektive
„Neue“ Aufgaben kommen auf eine „alte“ Kirche zu. So ist die Notfallseelsorge aus Kontakten zwischen kirchlichen und kommunalen oder staatlichen Institutionen entstanden. Sie verfügt inzwischen über einen erforderlichen pastoralen Reflexionsrahmen ( Dittscheidt 2014), bedarf aber zu ihrem Fortbestand einer klaren kirchlich-amtlichen Unterstützung. Gerhard Dittscheidt
Wie kaum eine andere kirchliche Tätigkeit wird Notfallseelsorge (NFS) regelmäßig öffentlich erwähnt. Dies besagt aber nichts über den tatsächlichen Stand der NFS in der Kirche selbst, über ihr konkretes Profil und über Desiderate aufgrund von Entwicklungen der letzten Jahre. Das Design von Seelsorge der letzten Jahrzehnte umfasste grundsätzlich gemeindliche und kategoriale Seelsorgefelder und darin besonders katechetische und sakramentale Inhalte und / oder spezielle seelsorglich-begleitende Erfordernisse und damit verbundene Professionen oder Ämter.
Das Design von NFS ist demgegenüber durch neue Schwerpunkte charakterisiert, die sich aus der Situation des Hineingehens in fremde Glaubens- und Hoffnungswelten jenseits des bisher bekannten kirchlich-gemeindlichen oder kategorialen Rahmens, der sofortigen Verfügbarkeit und der hochgradig erforderlichen Kooperationsfähigkeit mit anderen Institutionen und Professionen ergeben.
DER THEOLOGISCHE ANHALT VON NFS IM EIGENTLICHEN SINN: GOTTSUCHE – SINNSUCHE
Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass in der Gesellschaft elementar die Frage nach Sinn/Gott im Kontext eines familiären Umfeldes und bei plötzlichem Tod oder einem großen Unglück mit vielen Toten im Raum steht und gestellt wird. Die Menschen stellen diese Frage indirekt aber auch ausdrücklich, wenn sie NFS als Unterstützung meist bei plötzlichem Tod wünschen und wenn Kirchen im Rahmen öffentlicher Trauer nach großen Unglücken als Partner angesprochen und Gottesdienste (auf-)gesucht werden.
Das bedeutet nicht, dass Angehörige und Trauernde im bisher bekannten Sinn konfessionell gebunden oder kirchennah sind. Die Beweggründe der Betroffenen sind vielfältig und entsprechen einer eher grundsätzlichen spirituellen Betroffenheit oder Ergriffenheit an der Grenze des bisher erfahrenen Lebens. Die Motive sind oftmals nicht mehr oder auch gar nicht bewusst konfessionell verstanden und bedürfen einer vorsichtigen symbolisch-expressiven Begleitung, keineswegs jedoch eines missionarisch-katechetischen Ansinnens. Sie bilden solcherart die diffuse Gemengelage der heutigen Situation von Gesellschaft und ihren Herausforderungen sowie von Kirche mit ihren spirituellen Ressourcen sehr treffend ab.
Das Desiderat, das sich daraus für die (katholische) Kirche ergibt, lässt sich wie folgt unter zwei Aspekten zusammenfassen:
Seelsorglich: Kirche ist gerufen und stellt sich in den Personen der Seelsorgenden mit den Betroffenen der Gottesfrage in elementarisierter und unmittelbarer Weise: es geht um die Suche nach Sinn in einer Situation der Leidenserfahrung angesichts des plötzlichen Todes. Welchen „Namen“ hat hier Gott und wo ist er?
Pastoraltheologisch: Kirche kann und darf diesen Dienst nicht leisten um ihrer selbst willen im Sinn einer Ekklesiogenese, die eine Verheutigung der Kirche dadurch leisten zu können glaubt, dass sie aktuelle Anfragen strategisch aufgreift. Das gilt zumal, wenn Tod und Auferstehung Jesu Christi Teil ihres Selbstverständnisses sind. Dieses Herzstück christlichen Glaubens ist christologisch und eschatologisch in einem Rahmen ausgefaltet aber auch eingespannt, der die Theodizeefrage als nadelspitzen Punkt nicht einfach aufzulösen in der Lage ist und den Glaubenden hoffend und betroffen von der Dunkelheit des Anderen glauben lässt.
So verwebt sich einerseits ein Grundmotiv kirchlich-seelsorglichen Handelns mit der Welt von heute, andererseits differenziert es Kirche in sich so aus, dass sie Fragen nach seelsorglichem Handeln und seelsorglich Handelnden neu stellen muss.
DIAKONISCHE SEELSORGE KONKRET: NFS ALS SEELSORGE BEI PLÖTZLICHEM TOD
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