14/15 Eine akzeptierte Liaison: Louis d’Affry nach einer Zeichnung von Fouquet, gestochen 1792, zusammen mit seiner Geliebten Adélaïde de la Briche (1755–1844).
Madame de La Briche (1755–1844), geborene Adélaïde Prévost, hinterliess umfangreiche Erinnerungen und eine ebenso grosse Korrespondenz, die Graf Pierre de Zurich in der 1934 in Paris veröffentlichten Biografie verwertet hat. 97Louis d’Affry nimmt darin breiten Raum ein.
Tatsächlich schlittert er in diese Liebesgeschichte, ohne es zu merken. Er begegnet der jungen Frau häufig in den Salons, beobachtet sie und stellt fest, sie sehe traurig aus, sorgt sich darum und wagt es eines Abends, sie zu fragen, ob sie etwas bedrücke. Sie verneint, er dringt nicht weiter in sie, aber sein aufmerksames Mitgefühl hat sie angerührt. Durch diesen Vorfall gehen ihm die Augen auf: ‹Schon liebte ich sie, aber ich war mein einziger Vertrauter›, schreibt er in sein Tagebuch, das er ihr eines Tages schenkt und das Pierre de Zurich in den Archiven der Familie Barante fand. Von nun an sucht er möglichst oft ihre Gegenwart, ohne ihr freilich die Art seiner Gefühle zu gestehen.
Drei Jahre sind für Louis d’Affry von der Gegenwart der Frau erfüllt, die fortan seinen heimlichen Herzensgarten besetzt. Doch im Sommer 1785 wird das labile Gleichgewicht, das er in sich errichtet hat, auf eine harte Probe gestellt. Während einer Reise mit seiner jungen Frau in die Schweiz erkrankt Herr de la Briche schwer an Pocken und stirbt in einem Zürcher Hotel. Der schnell unterrichtete Louis d’Affry eilt herbei, um seiner unglücklichen Freundin beizustehen. Er sorgt für sie, tröstet sie und trifft die nötigen Vorkehrungen, damit sie den Ort des Unheils verlassen kann. Adélaïde beschreibt in ihren Memoiren einen Spaziergang bei Sonnenuntergang zu einer Felswand, von der wilde Wasserkaskaden stürzen. Schweigend und gedankenversunken betrachten sie das Naturschauspiel – welch romantische Szene, beruhigend für sie, aufwühlend für ihn! Zunächst bringt er sie ins Landhaus seiner Schwester Madeleine von Diesbach in Courgevaux; um den Anschein zu wahren, begibt er selbst sich zu seiner Familie in Saint-Barthélémy, wo er sie etwas später für etwa zehn Tage willkommen heisst. Sie geniesst die familiäre Atmosphäre, das einfache, stille Leben, ‹die Freundschaft des Grafen Louis [ ], der innerlich froh ist und den seine Verwandten, seine Bauern und jeder anbetet, der sich ihm näherte›. Die wachsende Intensität von Louis’ Gefühlen für sie scheint sie noch nicht wahrzunehmen.
Wieder in Paris, empfängt sie anfänglich nur ihre engsten Freunde, darunter den bis über beide Ohren verliebten Louis d’Affry, der hofft, nunmehr werde sie seine Liebe freier erwidern können. Doch er wird grausam enttäuscht, denn der Graf de Crillon, den sie in ihrer Jugend geliebt hatte, bittet sie um ein Wiedersehen und weckt in ihr erneut Gefühle; in ihrer Not bittet sie d’Affry um Rat. Sosehr er sich bemüht, seinen Kummer zu verhehlen – es gelingt ihm nicht, und schliesslich gehen Adélaïde die Augen auf, und sie provoziert eine für ihn völlig überraschende Aussprache, die zwar nichts ins Lot bringt, aber wenigstens befreiende Wirkung hat. Sie erkennt klar, dass er sie liebt, und welche Grenzen sie seiner Leidenschaft auch unentwegt setzen mag (‹Unter einem kühlen und ruhigen Äussern verbirgt sich in mir ein glühendes Herz und ein sehr lebhafter Kopf›, gesteht er ihr), er zieht es vor, sie zu sehen und zu leiden, um wenigstens in ihrer Gegenwart zu sein. Seine mehrfachen Zeichen uneigennütziger Hingabe rühren sie zutiefst. Zu guter Letzt bremst sie den allzu forschen Grafen de Crillon, und ihre Tür steht jederzeit offen für d’Affry, den Vertrauten, den Ratgeber, den engen Freund, für den sie schliesslich selbst mehr als Freundschaft empfindet. Sie lässt es ihn spüren, und er ist glücklich. Die Jahre 1787/88 bilden den Höhepunkt ihrer Liebesfreundschaft, sodass Louis ihr sogar schreiben kann: ‹Endlich liebt Ihr mich so, wie ich es brauche. [...] Seien wir das ungewöhnliche, aber schlagende Beispiel, dass die Liebe in zwei ehrlichen und empfindsamen Herzen die Tugend nicht zerstört.› Dieses Glück währt indes nicht lange, denn schon Anfang 1790 erobert ein jüngerer und skrupelloserer Mann das Herz von Madame de La Briche, die nunmehr ihrerseits die Stacheln der Leidenschaft erlebt. Für Louis ist dies das Ende eines existenziellen Abschnitts seines Gefühlslebens, der seine Persönlichkeit mit Sicherheit unauslöschlich geprägt hat.» 98Nach der Zeit der Liebesblitze folgte nun der Moment, kriegerische Blitze zu schleudern. Die Revolution katapultierte d’Affry, den Administrator der Schweizer Truppen, ins Rampenlicht und setzte seinen Sohn dem Grauen der immer neuen politischen Turbulenzen aus, ausgerechnet ihn, der zu dieser Zeit nur von Ruhe und Zufriedenheit träumt.
DIE ZEIT DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION 99
DIE D’AFFRYS ERLEBEN DIE ANFÄNGE DER REVOLUTION IN VORDERSTER REIHE
Am Vorabend der Revolution bleibt Louis d’Affry keine Gelegenheit mehr, das süsse Pariser Leben zu geniessen. Am 1. April 1788 übernimmt er das Kommando einer Infanteriebrigade in der Franche-Comté im Rahmen der 10. Militärdivision unter dem Oberbefehl von Generalleutnant Graf de Chambert. Gerade will er seinen Posten in Besançon antreten, da beschliesst die Regierung nach dem vorrevolutionären Tag von Tuiles am 7. Juni 1788, ihn mit zwei zur Brigade unter seinem Kommando zusammengefassten Schweizer Regimentern (Sonnenberg und Steiner) zur 11. Division in die Dauphiné zu entsenden, mit dem Ziel, die örtlichen Aufstände einzudämmen und den revolutionären Geist im Keim zu ersticken. Schon im Juni 1788 hatte sich gezeigt, dass man der Truppen nicht mehr sicher sein konnte, sodass die Schweizer nach Grenoble zu Hilfe gerufen werden mussten. 100Auf den Marktplätzen werden die Schweizer weitgehend dazu eingesetzt, die völlig überforderten Polizeiwachen zu unterstützen. Nach dem 28. Juni 1788 zieht das Regiment Sonnenberg in Grenoble ein, wo am 2. Juli 1788 das Regiment Steiner zu ihm stösst. 101D’Affry nimmt seinen Sohn Charles als Adjutanten mit. «Im Fort Barreau errichtete er sein Hauptquartier und befriedete das Land mit mehreren geschickten Manövern. Seine Aufgabe war ungemein schwierig. Zusammenstösse sowohl mit der Menge als auch mit aufrührerischen französischen Einheiten waren an der Tagesordnung. Eine eiserne Hand im Samthandschuh war vonnöten. D’Affry war tolerant und höflich, wusste sich aber zu behaupten. Mal stellte er seine Stärke zur Schau, um sich ihrer nicht bedienen zu müssen, mal gab er nach, um in mehreren erfolgreichen Schritten wieder die Oberhand zu gewinnen.» 102Am 3. Oktober musste das Regiment Steiner den Abmarsch von 200 Mann des Burgunder Regiments decken, «die die Volksmasse nicht weglassen wollte.» Ein anderes Mal wird er von Luckner beauftragt, drei Meilen von Grenoble entfernt den Staatsanwalt von Nogaret zu verhaften, was die Schweizer «nicht ohne Mühe erledigten, da sie mehrfach von Horden von Bauern und Bäuerinnen angegriffen wurden, die sie mit Kolben- und Bajonettstössen zurücktrieben». Im November 1790 wurden Truppenteile zur Grenzkontrolle nach Savoyen entsandt, insbesondere nach Echelles, um den heimlichen Getreideexport zu unterbinden. Am 24. Dezember 1790 schreibt der Syndikus und Generalprokureur an den Verwalter des Distrikts Grenoble, Margot, und bittet ihn, nach Entre-Deux-Guiers zu kommen, wo auf Befehl des Departementdirektoriums eine Schweizer Abteilung lagert, die den Getreideschmuggel mit Savoyen verhindern soll. Er teilt ihm mit, die Bevölkerung und die Behörden der Gemeinde versuchten, «den Schweizern dieser Garnison das Leben schwer zu machen, indem sie ihnen die nötigen Lieferungen verweigern [ ], anstatt die braven Soldaten, die man ihnen geschickt hat, dankbar aufzunehmen». Da «wir wissen, wie wichtig es ist, diese Abteilung an der Grenze zu halten», fordert er ihn auf, den Schweizern alles Nötige zukommen zu lassen. 103Unter diesen problematischen Umständen spielt d’Affry Sohn eine höchst diskrete Rolle. Ganz wie sein Vater schickt er sich an, dem revolutionären Sturm zu trotzen, ohne sich zu exponieren.
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