Der Dienst war alles andere als ein Spaziergang. Auf einen Brief vom 28. Januar 1791, in dem sich das Direktorium des Departements Haut-Rhin besorgt zeigte wegen «der Ansammlung gefährlicher Leute in der umliegenden Gegend», antwortete d’Affry, «im Interesse des Landes und seiner Sicherheit» halte er es für «geboten, nicht von den Befehlen von Mr Bouillé abzugehen und ohne dringende Notwendigkeit keinerlei Waffen auszuliefern». Bei gleicher Gelegenheit betonte er, «dass der Patriotismus die Grundlage meines militärischen Vorgehens bildet und ich keine Gelegenheit ungenutzt lasse, dies augenfällig unter Beweis zu stellen». 115Der Basler Peter Ochs bemerkte am 2. Februar 1791 in einem Brief an seinen Freund Meister: «Die Franzosen trauen ihm nicht recht über den Weg. Ich halte ihn im Grunde für einen guten Aristokraten, habe aber keinen Zweifel, dass er stets als seiner Pflicht und seinem Eid treuer Beamter handeln wird.» 116Am 27. Februar 1791 verlangte Louis d’Affry von den Behörden des Departements Haut-Rhin, dass sie den am Rhein gelegenen Gemeinden befehlen, dafür zu sorgen, dass in der Nacht kein Kahn den Fluss überquert. 117
LOUIS D’AFFRY VERSUCHT AB DEM FRÜHJAHR 1791, HAUT-RHIN ZU VERLASSEN
Konnte sich d’Affry in Ostfrankreich wirklich auf seinen Sohn verlassen? 118Der Junior fühlte sich in der Umgebung so unwohl, dass Graf Mirabeau schon am 5. Februar 1791 aus Basel schrieb: «Herr d’Affry, unser Nachbar, hat grosse Angst, vor 4 Tagen war er in Colmar, wo er so übel empfangen wurde, dass er unentwegt glaubte, das ganze Elsass sitze ihm im Nacken.» 119Welch ein Unterschied zu seinem Vater, der sich im Übrigen in einem Brief vom 4. Februar 1791 an seine Tochter wegen seines Sohnes beunruhigt zeigte: «Ich habe keine Ahnung, wie die allgemeine und meine Lage in zwei Monaten aussehen werden. Am besten, ich nehme jeden Tag, wie er kommt. Ich hatte Glück, dass sich alles zum Guten wendete, ohne die geringste Sorge. Die habe ich nur wegen der Lage meines Sohnes, die nicht gut ist, aber er hat sie sich gewünscht, er ist tapfer und hat mich bei meinem Weggang vor allem gebeten, wegen der Ereignisse absolut ruhig zu sein.» 120Der mutige, aber keineswegs verwegene Sohn d’Affry fühlte sich in seiner Funktion nicht wohl. Er versuchte, den Posten schnell loszuwerden, während ihm sein Vater, wie er ihn am 29. April hoffen liess, offiziell einen weniger exponierten Posten zu verschaffen suchte, beispielsweise im Departement Nord. Am 18. April vertraute Oberst d’Affry seiner Tochter an: «Mein Sohn ist nicht so stark, wie ich es mir gewünscht hätte, was mich sehr verärgert, aber es ist unmöglich.» 121Dennoch weist die Korrespondenz zwischen Vater und Sohn auf eine tiefe gegenseitige Zuneigung oder auch eine gewisse Komplizenschaft hin. Der Vater zeigte sich aufmerksam, beruhigte ihn nach Kräften und sagte zu ihm ganz offen: «Ihr teilt das Vergnügen, das es mir bereitet, Euch bei mir zu haben in einer recht mühseligen Laufbahn, in der Ihr mich aber entlastet und in die mich starke Motive gezwungen haben.» 122Am 23. Mai 1791 erhielt er von Minister Du Portail eine negative Antwort: «Ich kann Ihnen nicht verhehlen, dass es mir derzeit sehr ungelegen käme, Ihren Herrn Sohn aus dem Departement Haut-Rhin abzuziehen. Seine Talente und seine Umsicht haben ihm die Hochachtung und das Vertrauen der Bürger eingebracht, und es erscheint mir richtig, ihn noch einige Zeit dort zu lassen.» 123Schon am folgenden Tag, am 24. Mai, stellte ihm Vater d’Affry eine Beförderungschance in Aussicht: «Es kann sein, dass Ihr bald Generalleutnant werdet. Falls dieses Glück eintritt, kommt es wesentlich darauf an, ununterbrochen einsatzbereit zu sein. Lasst mich möglichst schnell Eure Wünsche hinsichtlich einer dieser drei Möglichkeiten wissen: eine Division im Elsass, eine an Maas oder Mosel oder eine der meinigen benachbarte.» 124(Generalleutnant wurde er freilich nie, entgegen der Behauptung einiger Autoren. 125) Einige Zeit noch musste er an seinem Posten ausharren, trotz seinen mehrfachen Versetzungsgesuchen. Diese Provinz, die den mit den Schweizern im Kontakt stehenden Kaiserlichen gegenüberliegt, musste unbedingt gehalten werden, zumal Graf d’Artois von Turin aus gemeinsam mit Antraigues unter Ausnutzung der Agitation seitens der «princes possessionnés» einen Generalaufstand im Elsass angezettelt hatte. 126François d’Uffleger hält fest, sein Verhalten in Huningue erscheine «verdächtig, während er sich in seine Heimat zurückzieht und von fast niemandem gesehen wird». Uffleger ging hart mit ihm ins Gericht: «Er wagte nichts zu unternehmen, ohne sich vorher mit seiner Schwester, der Gräfin Diesbach, beraten zu haben, die in Paris als geistvolle und zugleich höchst intrigante Frau bekannt ist.» 127Nach der fehlgeschlagenen Flucht der Königsfamilie, an der er offenbar keinerlei Anteil hatte, war seine Anwesenheit an den Pforten Basels nicht mehr von Nutzen. Charles schien noch einige Zeit in der Gegend geblieben zu sein, wenn man Peter Ochs glauben darf, der damals in Paris weilte und am 27. Juli 1791 den Basler Behörden in einem Brief mitteilt: «Gestern sah ich im Lager der Freiwilligen, die sich auf den Weg zur Grenze machen, den jungen d’Affry mit drei anderen Leutnants der Schweizergarden – allesamt in Uniform – rauchen und Bier trinken.» 128Dieser Dickschädel nahm unruhige Zeiten gelassener als sein Vater, wusste seine Schwester Marie: «Mein Bruder Charles, der Älteste in der Familie, hatte eine nicht leichte Art; er war so lebhaft wie mein Grossvater, freilich weniger diplomatisch und militärischer; eine Kleinigkeit konnte ihn aufregen, eine Kleinigkeit beruhigen.» 129
LOUIS D’AFFRY ZIEHT SICH IM JUNI 1792 ZURÜCK
Nach dem völligen Fehlschlag der Flucht des Königs reichte Louis d’Affry seine Demission ein und erhielt am 1. Juli die schon drei Monate zuvor erbetene Ernennung zum Ersten Gardehauptmann des Schweizergarderegiments. Darum begab sich d’Affry nach Paris, beneidete allerdings gleichzeitig Garville, der in die Schweiz zurückreiste. So vertraute er seiner Schwester am 2. November 1791 von Paris aus an:
«Ich neide ihm sein Schicksal und stöhne übers meinige. Ich halte Wache am Schloss, und was ich dort am besten bewache, ist meine Ecke am häuslichen Feuer, die ich keinem abtrete. Der Winter ist in Paris eingekehrt, von dem Ihr sicherlich in der Schweiz ein Gutteil abbekommt [...]. Tag für Tag erhalten wir recht ungute Nachrichten, aber am heimischen Feuer besänftigt sich alles. Mein Vater ist überlastet. Das spürt er sehr wohl und will dennoch keine Entlastung. Insoweit denken wir nicht gleich.»
Der Sohn schien dem Vater wahrlich keine grosse Hilfe zu sein. Am 17. Februar 1792 gab sich Louis offen fatalistisch:
«Wir geniessen das Glück der Anarchie, aber bei vollem Bewusstsein betrachtet, ist es ein gemeines Glück. Trotzdem hindert es mich an nichts, heute Abend speise ich wie gewohnt in der Stadt. Man gewöhnt sich an alles. Allerdings wäre ich froh, wenn das alles endlich vorbei wäre.»
Am 22. Februar teilte er seiner Schwester mit, «hier wird der Wirrwarr von Tag zu Tag schlimmer». Und stellt ironisch fest, «die Morde vervielfachen sich in Paris, dass es eine wahre Freude ist.» Am Ende drückte er die Hoffnung aus, bald wieder bei der lieben Schwester zu sein: «Gott weiss wann! Ich wünschte, man wendete in Prehl das Heu nicht ohne mich.» Am 7. März 1792 erhielt Brigadegeneral d’Affry gleichzeitig mit Maillardoz das Grosskomturkreuz des Ordens von Saint Louis oder, wie man es damals nennt, den zweiten militärischen Auszeichnungsgrad. 130Und wie üblich unterrichtete er davon am 11. März den Grossrat von Freiburg und empfing dessen Glückwünsche. Zu der Zeit verhielt er sich derart diskret, dass Pierre de Zurich anlässlich seiner Recherchen über Louis d’Affry am 6. Januar 1932 im Historischen Dienst nachfragte, was Louis zwischen dem 29. Juni 1791, als er den Posten in Huningue verliess, um nach Neubreisach zu gehen, und dem 10. August 1792, wo er zum Urlaub in seinem Anwesen in Prehl bei Murten eintraf, denn wohl getrieben haben könnte. 131
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