Da keine der Atommächte im «imaginären Krieg» diese Waffen einsetzte, wurde die Konfrontation anderswo oder über Stellvertreter ausgetragen. Nach dem Umsturz in der Tschechoslowakei und nachdem sich die kommunistischen Regimes im Ostblock etabliert hatten, testete Stalin mit der Blockade von Berlin 1948/49 den Westen. Dies führte zu einer riesigen Solidarisierung mit der Berliner Bevölkerung; die legendären «Rosinenbomber», die die Versorgung der Bevölkerung sicherstellten, sind bis heute Teil des kollektiven Gedächtnisses. Stalin wollte die westlichen Alliierten aus Berlin heraus haben; die Amerikaner sahen Berlin als Testfall. Würde der Westen hier einknicken, wäre der Weg für eine weitere sowjetische Expansion frei. Nach 321 Tagen, während deren die Bevölkerung mit 278 000 Flügen und 2,3 Millionen Tonnen versorgt worden war, gab Stalin klein bei. 65Für ihn war es ein immenses PR-Desaster. Als er die Blockade aufhob, war die Nato gegründet worden, ebenfalls die Bundesrepublik Deutschland, was Stalin vermeiden wollte. 66Im Gegenzug entstand die Deutsche Demokratische Republik.
Der Koreakrieg 1950–1953 war ein Resultat des Kalten Kriegs, ein typischer Stellvertreterkrieg, bei dem auch das mittlerweile kommunistische China auf der Seite von Nordkorea kämpfte. Der Angriff der nordkoreanischen Truppen erfolgte mit Zustimmung Stalins, doch zögerten sowohl Josef Stalin als auch Mao Zedong vorerst einzugreifen. 67Dieser konventionelle Krieg mit Millionen von Toten hätte zu einem heissen Atomkrieg eskalieren können. Doch Präsident Truman entliess 1951 den kommandierenden General Douglas McArthur, der den Einsatz von Atomwaffen gefordert hatte. Im Koreakrieg kam es zu lange geheim gehaltenen Luftkämpfen zwischen russischen und amerikanischen Piloten. Es war das einzige Mal, dass sich die beiden Staaten im Kalten Krieg direkt bekämpften. 68
Der Tod Stalins im März 1953 liess Hoffnung auf eine Entspannung aufkommen. In Ostmitteleuropa kommt es zu Protesten gegen die kommunistische Herrschaft. Die Forderung nach Demokratie und Selbstbestimmung wird laut. Doch die Unterdrückung des Arbeiteraufstandes gegen die Erhöhung der Arbeitsnormen in Ostberlin drei Monate später macht diese Hoffnung zunichte. Die Fronten verhärten sich. 1955 tritt die Bundesrepublik Deutschland dem westlichen Verteidigungsbündnis, der Nato, bei. Wenige Tage später gründen die Sowjetunion und ihre Satelliten als Pendant den Warschauer Pakt.
Mit einer Rede am 20. Parteitag der sowjetischen KP prangerte Parteichef Nikita Chruschtschow den Personenkult um Stalin an, den Machtmissbrauch und die staatliche Repression. Die Verbrechen unter Stalin waren fortan nicht mehr tabu, und es ging die Rede von einem «Tauwetter» in den Beziehungen Ost-West um. Doch wenige Monate später marschieren sowjetische Truppen in Ungarn ein. Die Sowjetunion markierte ihre Einflusssphäre, was die Westmächte ihre Strategie ändern liess. Die Politik des Zurückdrängens des Kommunismus erwies sich als obsolet, es ging künftig nur noch um die «Eindämmung». Hinter dem Eisernen Vorhang liess man der Sowjetunion freie Hand. Das Tauwetter wich einer Eiseskälte.
Ungarn 1956: Empörung, Solidarität und Proteste
Am 24. Oktober 1956 beginnt in Ungarn ein tagelanger Aufstand gegen die sowjetischen Truppen und die verhasste Politpolizei, nachdem am Tag zuvor 200 000 Menschen gegen die Regierung protestiert hatten. 3000 Aufständische greifen an diesem Tag zu den Waffen; drei werden von russischen Soldaten getötet, Hunderte verwundet. In den folgenden Tagen erfasst der Aufstand das ganze Land. Wut und Brutalität sind enorm. Dutzende Geheimpolizisten werden gelyncht. Die Arbeiterschaft bestreikt das Land. Unfähige Betriebsleiter werden von Arbeiterräten entlassen. Grosse Teile des Landes fallen unter die Kontrolle der Revolutionäre. Der Regierung um den Reformkommunisten Imre Nagy entgleitet dabei immer mehr die Kontrolle. Am 28. Oktober verkündet er, dass die Sowjetunion versprochen habe, die Truppen aus Budapest zurückzuziehen, und dass seine Regierung Verhandlungen über einen völligen Rückzug aus Ungarn anstrebe. Doch diese Konzessionen, unter anderem auch Lohnerhöhungen, genügen den Aufständischen nicht. Sie verlangen den sofortigen vollständigen Rückzug und ein pluralistisches politisches System. Am 30. Oktober verabschiedet sich Nagy vom Einparteienstaat und anerkennt die Revolutionsräte. Tausende von politischen Gefangenen werden befreit. Am 31. Oktober verkündet Nagy den Austritt aus dem Warschauer Pakt und die Wiederzulassung der Parteien von 1945 sowie freie Wahlen. Die Sowjets scheinen die Massnahmen der ungarischen Regierung zu akzeptieren und stellen Verhandlungen über einen Rückzug in Aussicht. 69Doch das ist eine Finte. Die sowjetische Führung, die zwölf Divisionen mit 60 000 Mann in Ungarn stationiert hat, sieht den Sozialismus in Ungarn in Gefahr und macht eine Kehrtwendung, um «die Ordnung wiederherzustellen». Am 4. November rollen Panzertruppen auf Budapest zu, das vorher von den Russen verlassen worden war. Innerhalb von 24 Stunden ist der Widerstand der Aufständischen in Budapest gebrochen. In einigen Teilen des Landes dauert der Widerstand noch einige Tage an. Schätzungsweise 2700 Ungarn werden getötet, 20 000 verletzt. 720 russische Soldaten kommen ums Leben, 1540 werden verwundet. 150 000 Ungarn flüchten aus dem Land. Grosse Teile von Budapest werden schwer beschädigt, teilweise ganz zerstört. Janos Kadar, der die Regierung am 1.November verlassen hatte, wird neuer Regierungschef. Nagy, der zuvor in die jugoslawische Botschaft geflüchtet war, wird durch die ungarische Regierung freies Geleit zugesichert. Als er sein Asyl verlässt, wird er verhaftet; 1958 zusammen mit weiteren Revolutionsführern hingerichtet. 70
Der Aufstand löst als erste Reaktion in der Schweiz eine Welle der Solidarität und Sympathie aus, weil er als Freiheitskampf einer unterdrückten Bevölkerung gegen ein verhasstes Regime gesehen wird. Am 29. Oktober drücken 8000 Demonstrierende ihre Unterstützung aus. Am 7. November protestieren in den wichtigsten Städten weitere Tausende. In Genf gibt es an diesem Tag eine gewalttätige Auseinandersetzung vor dem Hotel Beau-Rivage, wo die Russen ihren Nationalfeiertag begehen. Am 20. November steht die Schweiz während dreier Schweigeminuten still. Der LdU von Gottlieb Duttweiler sowie verschiedene kantonale Parlamente verlangen den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion. Der Bundesrat ist dagegen, weil das gegen das Prinzip der Universalität verstossen würde. Bundesrat Petitpierre geisselt aber das Vorgehen der Sowjets vor dem Parlament in starken Worten: «Il n’y a pas un Suisse digne de ce nom qui n’ait ressenti avec émotion que quelque chose était en train de s’accomplir qui était une offense à l’humanité et qui détruirait pour longtemps toute confiance dans un avenir meilleur pour les hommes et les peuples.» 71Das Schweizerische Olympische Komitee entscheidet am 7. November, die Olympischen Spiele in Melbourne zu boykottieren. Verschiedene wissenschaftliche Gesellschaften ziehen Einladungen an sowjetische Kollegen zurück oder verzichten auf die Teilnahme an Kongressen. Die Sowjetunion wird vom Comptoir Suisse ausgeladen.
Am Anfang nahm die Presse in der Sowjetunion kaum Notiz von den Reaktionen in der Schweiz. Doch mit einigen Wochen Verzögerung reagierte sie ungehalten und übte bei verschiedenen Gelegenheiten Kritik. Dem Schweizer Gesandten in Moskau wurde vom Aussenminister bedeutet, dass die Reaktionen «künstlich» seien und dass er nicht verstehen könne, wieso die öffentliche Meinung in der Schweiz heftiger reagiere als in Frankreich, England oder Westdeutschland. Man müsse aufpassen, dass sich die Beziehungen nicht noch mehr verschlechterten, weil das die internationale Position der Schweiz schwächen würde. 72Man hatte also auch in der Sowjetunion registriert, dass die antikommunistischen Reaktionen in der Schweiz heftiger ausgefallen waren als anderswo.
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