Die rote Tinktur
Die rote Tinktur
Mystery-Thriller
von
Anna-Lena &Thomas Riedel
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2. Auflage (überarbeitet)
Covergestaltung:
© 2019 Susann Smith & Thomas Riedel
Coverfoto:
© 2019 depositphoto.com
Impressum
Copyright: © 2019 Anna-Lena & Thomas Riedel
Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
ISBN siehe letzte Seite des Buchblocks
»Es leuchtet! seht! – Nun läßt sich wirklich hoffen,
Daß, wenn wir aus viel hundert Stoffen
Durch Mischung – denn auf Mischung kommt es an –
Den Menschenstoff gemächlich componiren,
In einen Kolben verlutiren
Und ihn gehörig cohobiren,
So ist das Werk im Stillen abgethan. «
Johann Wolfgang. v. Goethe,
Faust II, 2.Akt, Laboratorium, 1832
Kapitel 1
D
as Gewölbe in dem sich das Laboratorium befand musste tief unter der Erde oder einem Felsen liegen, denn die grob behauenen Natursteinwände zeigten eine Feuchtigkeit, wie man sie häufig in Höhlen fand. Die zahlreichen Kerzen aus Hammeltalg brannten nur schlecht und dazu unregelmäßig. Hinzu kam eine Vielzahl an Schalenlampen, die mit in Öl getränkten Holzspänen versehen waren. In diesem Licht glitzerten die Wassertropfen wie kaltes, viele Jahrhunderte altes Eis.
Auch die Schweißtropfen im kalkigen Gesicht des großgewachsenen, breitschultrigen alten Mannes mit den langen schlohweißen Haaren funkelten, als er sich über den gläsernen Sarkophag beugte. Der ungewöhnliche Sarg war bis zum Rand mit einer rötlichen Flüssigkeit gefüllt. Knapp unter der Oberfläche waren die Umrisse eines menschlichen Kopfes zu erkennen; tiefe Augenhöhlen und ein weit aufklaffender Mund, angefüllt mit der roten Substanz. Trotz der Kühle des Raumes war der Schädel langsam in Verwesung übergangen. Das Gesicht hatte begonnen sich zu verfärben und war von Tag zu Tag mehr aufgedunsen. Noch immer hing der süßliche Geruch der Vergänglichkeit im Gewölbe. Erst vor einer Stunde war er damit fertig geworden die letzten Drähte am kahlrasierten Kopf anzubringen und ihn zurück in die Flüssigkeit zu legen. Ein feines silbernes Röhrchen hatte er mit ruhiger Hand, präzise in die Halsschlagader eingebracht und anschließend eine kupferfarbene Metallklemme auf die Zungenspitze gesteckt.
Zufrieden über sein Werk blickte der alte Mann auf, als ein großer Kristall in phosphoreszierendem Grün zu flackern begann. Der sonst durchsichtige Bergkristall zuckte im rätselhaften Rhythmus eines Bewusstseins, das nicht von dieser Welt zu sein schien.
Der Weißhaarige atmete schwer, als er von der Flüssigkeit, die aus Menschenblut, Moospflanzen, zermahlenen Knochen, zersetztem menschlichen Fleisch und reichlich weiteren alchimistischen Substanzen bestand, mit einer kleinen kuppelförmigen, bauchigen Flasche mit langem Hals eine Probe entnahm. Mit schlurfenden Schritten brachte er die Phiole, die für ihn den Kosmos verkörperte, an das andere Ende des Gewölbes und stellte sie auf einen groben hölzernen Tisch, auf dem sich eine Menge Laborgegenstände befanden.
Er machte sich an einer Destillieranlage zu schaffen hantierte mit einem Keramiktopf und gab den Inhalt der kleinen Flasche hinein. Jetzt brachte er an dem Topf ein handbreites Rohr an, an dessen einem Ende eine Halbkugel mit drei Schnäbeln war und unter die er Kupferschalen stellte. Nun entzündete er eine Flamme unter der Keramik und studierte aufmerksam den Vorgang der Destillation. Mit einer Feder schrieb er seine Beobachtung auf ein Pergament nieder. Von einem Regal nahm er sich ein altes Buch, blätterte darin und verglich das Ergebnis mit seinen Notizen. Nach einer Weile ging er zurück zum gläsernen Sarg. Wie unter einem geheimnisvollen Bann stehend wartete er auf eine Reaktion.
Jeden Augenblick würde die Sonne ihren höchsten Stand erreicht haben, und die Energie, die ihm die rote Sonne lieferte würde den abgetrennten Kopf zum Leben erwecken. Dieses Mal würde es ihm gelingen. Es musste einfach gelingen! Er war alt und ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Immer wieder fiel sein Blick auf die zahlreich installierten Spiegel. Sie würden für ihn die mächtigen Strahlen der Sonne lenken.
Und dann geschah es!
Rötlich brach sich das Sonnenlicht in den speziell für diesen Zweck geschliffenen Gläsern. Unermessliche Energie floss über die Drähte in den Schädel. Dann zuckten, fast unmerklich die Lippen und doch warf die Flüssigkeit leichte Wellen. Das Zeichen war unübersehbar. Dazu kam das Flackern des Kristalls, von dem aus feine goldene Drähte zu zahlreichen Nervensträngen am Hals des Kopfes liefen. Das Flackern hatte an Intensität zugenommen.
Wieder starrte der alte Mann in die rötliche Lauge hinein, in der sich die Umrisse eines Gesichtes abzeichneten. Er stützte sich auf dem Rand des Behälters in dem sein Versuchsobjekt lag. Bewegten sich endlich dessen Augen? Nur schwach konnte er die papierdünnen Lider erkennen, unter denen sich kugelförmig die Pupillen abhoben. Zuckten vielleicht die Lider? Die Lippen hatten sich doch schon bewegt.
Und dann war es soweit!
Plötzlich schlug der Kopf die Augen auf.
Er starrte ihn an!
Der alte Mann lächelte zufrieden. Er wandte sich wieder der Destillation zu und vertiefte sich in seine Aufzeichnungen. Nach endlosen Jahren und vielen hundert Versuchsreihen war es ihm endlich gelungen. Er hatte den wichtigsten Schritt geschafft. Jetzt war der Rest ein Kinderspiel.
Kapitel 2
I
m dichten Blattwerk der uralten Stieleichen und Rotbuchen brachen sich die warmen Strahlen der herbstlichen Mittagssonne. Einige Blätter zeigten sich noch in satten Grüntönen, andere leuchtete bereits gelb, orange und rot. Jetzt wo die Tage im Herbst kürzer und kälter wurden, zeigte sich der Wald in einem imposanten bunten Kleid. Einem knorrigen Gürtel gleich standen die riesigen Bäume um den Hügel, auf dessen Hochebene, die dunkelgrau wirkende Ruine der festungsartigen Anlage von › Dùn Gòrdan-Castle ‹ stand. Man musste schon sehr genau hinsehen, um durch das üppige Geäst Teile der geborstenen Umfassungsmauer und ein Stück des viereckigen Westturmes, einer gelungenen Kombination aus Wohnturm und Bergfried, zu erkennen. Dahinter erhoben sich die immer noch stattlichen Reste des Torhauses, der Kapelle und des früheren Rittersaals.
Über zwei Jahrhunderte hatte das alte Gemäuer, nachdem im Jahr 1805 auch der südliche Turm in sich zusammengestürzt war, im sprichwörtlichen Dornröschenschlaf gelegen, dessen Ruhe nur noch selten von Pilzsammlern, gelegentlichen Ausflüglern oder jungen Pärchen gestört wurde.
Doch seit einigen Tagen gab es wieder Leben in der schottischen Burgruine, die sich an der Grenze zwischen dem Verwaltungsbezirk Moray und dem der Highlands, in der malerischen Landschaft am See des Findhorn-Flusses, erhob. Ein Team von sechs Archäologiestudenten der Universität Edinburgh nahm in der Ruine Ausgrabungen vor. Für die jungen Leute war es ihr erster ernstzunehmender wissenschaftlicher Auftrag und sie waren dementsprechend mit Feuereifer an ihre Arbeit gegangen. Sie hielten es nicht für ausgeschlossen, in den noch vorhandenen Fragmenten des › Dùn Gòrdan-Castle ‹ eine interessante Entdeckung zu machen.
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