Lächelnd sah sie Lawson an.
»Ach, komm schon, Lauren«, meinte er und hielt ihr seine Packung Zigaretten hin. »Hier, nimm dir mal eine. Und dann komm erst mal wieder auf den Boden der Tatsachen zurück! Von wegen, es ist hier nicht geheuer! Ich sollte dir eine Extraarbeit zuweisen, dann wird diese Spinnerei schnell wieder vergehen. Und die Freude über deine Entdeckung wird ein Übriges dazu tun«, setzte er hinzu.
Lauren Pritchard zündete sich die angebotene Zigarette an und nahm einige hastige Züge.
»Du wirst sicher recht haben, Alex«, sagte sie.
Ihre Stimme klang jetzt zumindest nach außen hin wieder sehr viel ruhiger. Aber ihre Augen sagten etwas völlig anderes. In ihnen flackerte immer noch die Angst.
Kyle Maxwell tippte seiner Teamleitung auf die Schulter.
»Du, Alex, ich habe weiter drüben eine ähnliche Kontur freigelegt. Aber ich bin noch nicht ganz so weit wie Lauren und Celia«, mischte er sich ein. »Ich halte es für durchaus möglich, dass sich dort noch ein weiterer Totenschädel befindet.«
»Dann wollen wir keine Zeit mehr verlieren«, wies Lawson seine Mitstudenten an. »Lasst uns gleich wieder an die Arbeit gehen ...«
»... denn es stehen uns große Entdeckungen bevor«, warf Finn ergänzend ein.
»Falsch, Finn!«, bemerkte Maxwell grinsend. »Frei nach Louis Pasteur muss es heißen: Gehen wir wieder an die Arbeit, denn eine wissenschaftliche Entdeckung ist die Arbeit von nur einer Person!«
Donovan nickte seinem Studienkollegen schmunzelnd zu, und Lawson musste unwillkürlich an die Worte Professor Alverstons denken.
»Damit könntest du recht haben, Finn«, murmelte er und überging Kyle Maxwells Kommentar. »Aber nun los! Wenn wir fleißig sind, dann können wir das Fresko sicher in zwei bis drei Tagen komplett freigelegt haben.«
Wieder schob sich eine düstere Wolke vor die Sonne. Aber die sechs jungen Archäologiestudenten achteten nicht darauf. Sie waren eifrig damit beschäftigt, ihre unterbrochene Arbeit fortzusetzen.

Kapitel 3
D
ie langen feuerroten Haare umschmeichelten liebreizend ihr bleiches Gesicht mit den süßen Sommersprossen und der niedlichen Stupsnase. Anmutig und leicht wie eine Feder präsentierte sie einen Highland Dance, zu den Klängen einer einheimischen Bagpipe-Gruppe, die mit erstaunlichem Können gängige Popmusik zum Besten gab. Mühelos und mit einem strahlenden Lächeln auf ihren zart geschwungenen Lippen, drehte sie sich einer Primaballerina gleich immer wieder auf ihren Fußspitzen um ihre Achse. Es war eine Freude ihr zuzuschauen.
Lawson bewunderte ihre Schönheit, aber auch die Kraft, die Koordination und Disziplin, die sie bei der Ausführung der einzelnen Figuren an den Tag legte. Sie schien im Klang der Dudelsack-Rhythmen förmlich aufzugehen, während sich die anderen jungen Leute zwar auch voller Begeisterung, aber mit weit weniger Gefühl zur Musik bewegten. Es verwunderte ihn, dass sie keinen Partner an ihrer Seite hatte und völlig allein über die Tanzfläche schwebte, während andere Pärchen um sie herum miteinander schäkerten, lachten und sich verliebt tief in die Augen sahen.
»Die ist schon ein echt niedliches Ding, was?« Finn Donovan knuffte Alexander Lawson grinsend in die Seite. »Kein Wunder, dass du sie mit den Augen förmlich verschlingst, und das schon seit ungeschlagenen zehn Minuten.«
»Ach, hör auf!«, gab Lawson unwillig zurück.
Es ärgerte ihn, von seinem Studienkollegen ertappt worden zu sein, aber Donovan hatte vollkommen Recht mit seiner Beobachtung. Tatsächlich hingen seine Augen wie gebannt an dem Mädchen mit den aparten Gesichtszügen. Er hätte nicht genauer zu sagen gewusst, warum er sie mit einer solchen Ausdauer fixierte, sicher war aber, dass sie ihm gefiel und verdammt sexy aussah. Aber das war es nicht allein, denn hübsche Mädchen gab es an diesem Abend mehr als genug zu sehen. Sie hatte etwas Besonderes, eine bestimmte Ausstrahlung, der er sich einfach nicht entziehen konnte. Lawson fragte sich, wie alt sie wohl sein mochte. Siebzehn, achtzehn, oder vielleicht sogar ein wenig älter?
»Anstatt sie die ganze Zeit anzustarren, würde ich sie mal lieber zum Tanz auffordern!«, stichelte Donovan schmunzelnd. »Schließlich sind wir doch hierhergekommen, um einmal richtig auf die Pauke zu hauen, oder? Und wie du sicher schon bemerkt hast, sie hat ganz offensichtlich keinen Freund!«
Lawson schaffte es nicht sich von ihrem Anblick zu lösen. Geistesabwesend nickte ihm zu.
»Vielleicht sollte ich das wirklich tun«, murmelte er leise vor sich hin.
Der Augenblick sie anzusprechen schien günstig, denn sie tanzte gerade in ihrer unmittelbaren Nähe. Gerade als er auf sie zugehen wollte, bahnte sich ein grobschlächtiger Bursche den Weg zu ihr durch die Menge. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er bereits mehr als reichlich getrunken hatte. Sein derbes, krebsrotes Gesicht wirkte unsympathisch. Und noch weniger sympathisch machte ihn der Umstand, wie er das Mädchen gleich darauf brutal am Arm packte.
»Hey! Los, Kleine, du tanzt jetzt mit mir!«, forderte er grob.
Alexander Lawson hörte die derbe, raue Stimme des Burschen ganz deutlich. Er registrierte, wie das Mädchen direkt zusammenzuckte. Schmerzhaft, gerade so als habe man sie geohrfeigt, verzog sie das Gesicht. Mit aller Kraft versuchte sie sich ihm zu entwinden und seine Hand abzuschütteln. Aber der Kerl grinste sie nur unnachgiebig an und machte nicht geringsten Anstalten seinen Griff auch nur ein wenig zu lockern.
»Heute ist mir sogar die Tochter des Abdeckers willkommen! Zier‘ dich ruhig, Rothaar!«, stieß er höhnisch lachend aus, und versuchte, das sich heftig sträubende Mädchen mit Gewalt in seine Arme zu zerren. »Ich mag es, wenn du dich wehrst!« Dann wurde er anzüglich. »Wenn du im Bett ebenso temperamentvoll und leidenschaftlich bist, soll es mir nur recht sein!«
Der rohen Kraft des Burschen war sie nicht gewachsen. Hilfesuchend, fast flehend, wanderte ihr verängstigter Blick im Saal umher. Und obwohl viele der Anwesenden den brutalen Übergriff bemerkt hatten, schritt keiner von ihnen ein. Niemand wollte in den Vorfall hineingezogen werden, lieber wurde weggesehen.
Alexander Lawson war da anders. Er wurde sich seines Handelns erst bewusst, als er bereits neben dem betrunkenen, schwarzhaarigen Unruhestifter stand, um ihm mit einem heftigen, festen Ruck die Hand vom Arm des Mädchens zu reißen.
»Ganz friedlich, mein Bester!«, hörte er sich selbst sagen, und wunderte sich darüber, dass seine Stimme dabei so hart klang. »Sie werden sie auf der Stelle loslassen!«
Überrascht wandte sich der Bursche ihm zu und starrte ihn an.
»Was willst du Würstchen denn von mir? Suchst du etwa Streit, Mann?« In den Augen des Burschen blitzte es gefährlich auf. »Das Rothaar gehört mir, hast du verstanden!?«
Lawson wollte dem Grobschlächtigen gerade an den Kopf werfen, dass er ihn evolutionstechnisch mindestens zwei Stufen unter der eines Blutegels einstufte, aber er verkniff es sich. Es wäre nur auf eine wilde Schlägerei hinausgelaufen, und ob er die hätte für sich entscheiden können, wäre mehr als fraglich gewesen. Deutlich spürte er das Zittern des Mädchens. Mit ihren schmalen, filigranen Händen klammerte sie sich fest an ihn.
»Helfen Sie mir bitte«, bat sie ihn. In ihrer lieblichen Stimme klang ein ängstlicher Unterton mit.
»Wenn dir jemand hilft, dann bin ich das!«, reagierte Lawsons Nebenbuhler aggressiv. »Du kommst jetzt zu mir, Rothaar! Du gehörst mir!«
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