Obwohl die Wurzeln der Burg im 11. und 12. Jahrhundert zu suchen waren, stammte die Mehrheit der noch vorhandenen Bausubstanz aus dem 13. bis 16. Jahrhundert. Eine erstmalige urkundliche Erwähnung fand die gewaltige Festungsanlage in historischen Dokumenten im Jahr 1237. Weitere Aufzeichnungen berichteten von der herausragenden Rolle des Kastells im Kampf gegen die Engländer. Den Pergamenten nach, soll der damalige Burgherr an die viertausend besiegte englische Soldaten bei lebendigem Leibe gepfählt haben, um sie anschließend rund um den Hügel zu seiner Burg zur Abschreckung aufzustellen.
Von den benachbarten Burgherren wurde er als Tyrann beschrieben, dem das Foltern und Töten seiner Feinde ein sadistisches Vergnügen bereitet haben soll. Folgte man diesen Quellen, so kam man auf die erschreckende Zahl von 20.000 bis 30.000 Opfer, wobei jene, die durch die Zerstörung und das Niederbrennen von ganzen Dörfern und anderer Festungen, nicht mitgerechnet waren. Besonders verstörend waren die zum Teil sehr detaillierten Darstellungen seiner Gräueltaten, und die gab es zuhauf. Da fanden sich Pfählungen, Folterungen, Feuertode, Verstümmelungen, Ertränkungen, Enthäutungen, Röstungen und sogar das Kochen von Opfern. Auch soll er Menschen gezwungen haben, das Fleisch ihrer Freunde und Angehörigen zu essen, oder ihnen die Kopfbedeckung an den Kopf zu nageln. Seine Opfer waren Männer und Frauen allen Alters, einschließlich Kinder und Säuglinge, Religionen und sozialer Schichten.
Eine Erzählung berichtete: »Er verursachte mehr Schmerz und Leid als sich selbst die blutrünstigsten Peiniger der Christenheit wie Herodes, Nero, Dioclethan und alle anderen Heiden zusammen vorstellen konnten.«
In einer Aufzeichnung fand sich der Hinweis, dass er oftmals die Nasen gefangener Soldaten abschneiden ließ, die er dann an den Hof des englischen Königs Eduard I. sandte, um damit zu prahlen, wie viele Feinde er getötet hatte.
Folgte man den Aufzeichnungen, so war das Pfählen seine bevorzugte Art der Folter und Hinrichtung. Dabei ging er unterschiedlich vor, je nachdem, ob er einen schnellen oder langsamen Tod seines Opfers erreichen wollte. Eine der Methoden, von denen berichtet wurde, war, je ein Pferd an die Beine des Opfers zu spannen und einen angespitzten Pfahl schrittweise durch den Anus oder die Vagina in dessen Körper zu treiben, bis er wieder aus dem Körper hervortrat. Doch die wesentlich grausamere Methode, über die einige Chronisten schrieben, war, das Ende des Pfahls nicht spitz zu halten, zu ölen und dann aufzustellen. Während die Opfer sich nun durch ihr eigenes Körpergewicht immer mehr aufspießten, wurde durch den nicht spitzen und geölten Pfahl gleichzeitig verhindert, dass sie zu schnell durch Schock oder die Verletzung lebenswichtiger Organe starben. Dieser Tod am Pfahl war langsam und qualvoll und sein Eintreten dauerte manchmal Stunden oder Tage. Andere Zeitzeugen gaben Kunde darüber, dass die Opfer auch durch den Unterleib oder die Brust gepfählt wurden, was einen relativ schnellen Tod zur Folge hatte. Kinder sollen manchmal gepfählt und dabei durch die Brust ihrer Mutter gedrückt worden sein. In anderen Fällen wurden die Opfer auf dem Kopf stehend hingerichtet. Zur Abschreckung ließ er die Leichen oft über Monate an den Pfählen verwesen.
Im Team sah man hier eine gute Möglichkeit sich als zukünftige Archäologen einen gewissen Namen zu machen. Nicht zuletzt war sie auch von dem unvorstellbar Bösen fasziniert. Gerade ruhte das Arbeitsgerät und die Studenten genossen ihre selbst festgelegte Mittagspause.
Alexander Lawson hatte es sich auf dem Rücken liegend im dichten, verfilzten Gras des ehemaligen Burggrabens bequem gemacht und ließ sich von den wärmenden Sonnenstrahlen verwöhnen. Von irgendwoher aus dem umliegenden Gehölz, erklang gepresst zwitschernd mit schrillen krächzenden Tönen, der wenig melodische Gesang einer Wacholderdrossel. Dazwischen konnte man die gedämpften Stimmen der anderen Studenten hören. Aber Lawson achtete nicht wirklich darauf. Gedankenverloren starrte er in den hellblauen, strahlenden Himmel und nahm von Zeit zu Zeit einen Zug von seiner Zigarette.
Sein Universitätsprofessor hatte ihm vor einigen Wochen die Leitung des ganzen Projektes angeboten und er war darauf eingegangen. Warum auch nicht, hatte er gedacht, immerhin war das für ihn eine einmalige Chance. Er wäre ein Narr gewesen, das Angebot abzulehnen.
Noch deutlich erinnerte er sich an das Gespräch, welches er einen Tag vor der Abreise mit Professor Alverston in dessen Büro in der Fakultät geführt hatte. Längere Zeit hatte dieser gebannt auf die Kopie eines vergilbten Pergaments gestarrt.
»Es gibt ein aufregendes Geheimnis in ›Dùn Gòrdan-Castle‹, Lawson«, hatte Alverston gesagt, als er sein Studium beendet hatte und zu ihm aufsah. »Eines, über das ich Ihnen zu diesem Zeitpunkt aber noch nichts mitteilen werde.«
Überrascht hatte er seinen Lehrer angestarrt.
»Gibt es dafür einen bestimmten Grund, Professor Alverston?«, hatte er von ihm wissen wollen.
»Ich habe Sie für die Stelle eines Assistenten vorgesehen, wie ich Ihnen schon vor einiger Zeit sagte. Und ich möchte dies als eine letzte, besondere Prüfung verstanden wissen«, hatte Professor Alverston ihm lächelnd zur Antwort gegeben. »Die Jugend soll eine Chance bekommen sich zu bewähren. Ich weiß etwas, Sie wissen nichts. Aber ein guter Archäologe sollte dennoch in der Lage sein etwas zu finden, fündig zu werden.« Er hatte seine Brille abgenommen und ihm einen sehr nachdenklichen Blick zugeworfen. Dann hatte er nach einer kurzen Pause hinzugefügt: »Ich überlege noch, ob ich Ihnen einen kleinen Hinweis gebe soll.«
»Wenn Sie den Tipp schon andeuten, …?«, hatte er frech gegrinst.
»Dann will ich mal kein Spielverderber sein«, hatte der Professor schmunzelnd erwidert. »Sie sollten sich den Rittersaal genauestens ansehen. Und wenn ich genauestens sage, dann meine ich das auch so.« Er hatte ihm keine Chance gegeben weiter nachzuhaken und das Gespräch beendet. »Und jetzt habe ich zu tun. Wenn Sie mich entschuldigen wollen?«
Er hatte sich von seinem Professor verabschiedet und lange über die vagen Andeutungen seines Lehrers gegrübelt. Doch so sehr er auch sich anstrengte, er konnte sich absolut keinen Reim auf die vage Andeutung Alverstons machen. Und das bezeichnete man nun als ernsthafte Wissenschaft, dachte er, wenn jeder sorgfältig seine Geheimnisse hütete.
Alexander Lawson hatte sich aufgesetzt. Unzufrieden darüber nicht mehr erfahren zu haben, warf er die fast aufgerauchte Zigarette vor sich ins hohe Gras und zertrat sie mit dem Absatz seines Turnschuhs. Eine aufgeregte, schrille Stimme ließ ihn aufhorchen. Kreischend flatterten ein paar Vögel auf.
»Hey! Wo steckst du, Alex?«, rief eine Stimme aus der Studiengruppe.
»Lauren hat etwas entdeckt!«, meldete sich ein anderes männliches Organ.
Mit einem schnellen Satz sprang Lawson auf die Füße. Er lief ein Stück den ausgetrockneten Burggraben entlang und kletterte den Abhang zur Ruine empor. Nach kaum mehr als einer Minute kam er keuchend oben an. Keine fünfundzwanzig Yards entfernt sah er die kleine Gruppe seiner Mitstudenten.
Lauren Pritchard, seine attraktive Studienkollegin mit einer pinkfarbenen Kurzhaarfrisur, stand mit Shane Miller, Kyle Maxwell, Celia Pike und Finn Donovan vor der noch erstaunlich gut erhaltenen südlichen Innenwand des alten Rittersaals. Aufgeregt winkte sie ihn mit erhobenen Armen heran.
Hastig überquerte Lawson den Burghof. Durch eine riesige, unregelmäßig geformte Mauerlücke betrat er den Saal, in den von oben das helle Licht des Tages fiel.
»Was gibt es denn so Spannendes?«, rief er der Gruppe schon aus einiger Entfernung zu. »Habt ihr einen geheimnisvollen Goldschatz entdeckt? Die auf ewig verwunschenen Gebeine eines mittelalterlichen Ritters, oder vielleicht … wäre noch viel besser ... gar den Zauberstab des großen Merlins?«
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