Die Straße vor ihnen flimmerte in der Hitze, obwohl die Sonne schon hinter den Häusern verschwunden war.
Ein paar französische Männer am Nachbartisch guckten böse zu ihnen rüber. Kerschkamp verschwand aufs Klo. Er blieb eine Ewigkeit weg. Der Ami faselte von irgendwelchen Freimaurern, die in den höchsten Positionen sitzen und eine weltweite Verschwörung aushecken würden. Woraufhin Ratte erzählte, dass er mal nachts mit der Eisenbahn irgendwohin gefahren sei, und da sei eine Baghwan-Frau im Abteil gewesen, mit der er dann gebumst habe. Obwohl noch ein anderer Typ mit im Abteil saß, aber der schlief.
»Das ist ganz normal für die«, sagte Ratte, »freie Liebe und so, voll geil!«
»Glaube ich nicht«, sagte Lepcke. »Echt, einfach so?«
»Klar.« Ratte nickte. »Ist bekannt. Weiß doch jeder.«
Kerschkamp kam vom Klo.
»Mann, hat das gutgetan … Kann ich nur empfehlen, Leute!«
Als Appaz die Kabinentür hinter sich zuschloss, sah er die Kugelschreiberschrift auf der Tapete neben dem Lichtschalter: KERSCHKAMP WAS HERE. HEAVY TOUR ’75.
Die Party war ein paar Straßen weiter. Sie brauchten nicht lange nach der Hausnummer zu suchen, weil die Musik so laut war, dass sie es sogar durch die geschlossenen Fenster hörten. Im Treppenhaus stolperten sie über ein knutschendes Pärchen. Ratte grinste. Der Ami guckte angewidert weg.
Die Wohnungstür war offen. Im Flur drückte sich das nächste Pärchen rum. Das schon deutlich weiter war als das im Treppenhaus.
»O Mann«, stöhnte Ratte glücklich. »Geil.«
Didier kam mit einer Flasche Rotwein auf sie zugetorkelt. Er umarmte einen nach dem anderen, als wären sie uralte Freunde und hätten sich Jahre nicht gesehen. Dann stürzte er plötzlich in die Küche und kotzte in die Spüle.
Ratte zuckte mit den Achseln und zeigte mit dem Kopf auf das Pärchen in der Ecke. Der Typ trug ein grellorangefarbenes Jeanshemd. Appaz konnte nur seinen Rücken sehen und die Beine der Frau, die seinen Hintern umklammerten.
Kerschkamp boxte Appaz in die Seite und hielt grinsend seinen Daumen in die Höhe. Der Ami sah aus, als wollte er Didier gleich beim Kotzen Gesellschaft leisten.
Sie drückten sich in den Raum, aus dem die Musik kam. Ein Sofa stand beiseite gerückt an der Wand. Auf dem Teppich saßen ein paar Leute im Kreis und ließen einen Joint rumgehen. Jean oder Pierre oder wer auch immer legte gerade eine neue Platte auf. Ratte steuerte zielstrebig den Platz neben einem Mädchen mit langen blonden Haaren an und begann augenblicklich damit, sie zuzulabern. Appaz quetschte sich auf ihre andere Seite.
»Daytime is not my time«, dröhnte es aus den Lautsprechern, »but my time is the right time …«
»Hä?«, machte Kerschkamp verblüfft. »Das ist doch Jane, Leute!«
Appaz nickte. Verrückt. Sie waren auf einer Party mitten in Frankreich, und die Franzosen hörten Jane.
»Jane ist aus Hannover«, versuchte Kerschkamp Jean oder Pierre zu erklären, »genau wie wir! D’Hanovre, wie wir …«
Jean oder Pierre grinste und hielt Kerschkamp den Joint hin.
Ratte wollte der Blonden klarmachen, dass sie auch eine Band hätten. Pain in the Ass. Mit ihm als Gitarristen. »And also him«, er zeigte auf Lepcke. »He plays guitar, too.«
»You are Jane?«, fragte die Blonde ungläubig.
»Nein … o Mann, erklär du es ihr!«
Ratte stand auf, um sich eine Flasche Bier aus der Küche zu holen. Appaz nutzte die Gelegenheit und machte es sich ein bisschen bequemer. Mit dem Kopf auf dem Oberschenkel der Blonden. Sie schien nichts dagegen zu haben. Sie beugte sich vor, so dass ihm ihre Haare übers Gesicht streiften.
»We play the blues«, erklärte Appaz an ihren Brüsten vorbei, die sich deutlich unter ihrem T-Shirt abzeichneten.
»But we know Jane«, ließ sich Kerschkamp von irgendwoher vernehmen, »and I’m a drummer, too. Like Peter Panka from Jane, you know?«
»I like the blues«, flüsterte die Blonde und beugte sich noch weiter vor.
Appaz hob seinen Kopf ein bisschen und küsste sie.
»He, warte mal, was soll das denn?«
Ratte war zurück. Appaz hörte, wie er sein Bier aufmachte.
Die Blonde schob ihm ihre Zunge zwischen die Lippen. Sie strich ihm über den Arm und über die Schulter. Dann blieb ihre Hand auf seiner Brust liegen.
»I love the blues«, flüsterte Appaz an ihrem Mund.
Sie kicherte. Richtete sich auf und warf ihre Haare zurück. Appaz war schwindlig.
»Kameradenschwein«, stellte Ratte fest. »Aber hier, hast du schon gesehen, wie das Bier bei denen hier heißt?«
Er hielt Appaz die Flasche hin und lachte blöde.
»La Meuse«, las Appaz.
»Ist ja irre«, sagte Kerschkamp.
Der Typ mit dem orangefarbenen Hemd kam ins Zimmer, und die Blonde nahm ihre Hand von Appaz’ Brust. Der Typ sagte etwas zu ihr. Sie warf wieder ihre Haare zurück und stand auf. Er zog sie hinter sich her aus dem Zimmer.
»Hä?«, machte Ratte und rülpste. »Kapier ich nicht.«
Jean oder Pierre beugte sich zu Kerschkamp und redete hektisch auf ihn ein.
»Was ist denn los plötzlich?«, wollte Ratte wissen.
»Irgendwas, dass wir besser gehen sollen«, sagte Kerschkamp, »wegen Kurt eben und der Blonden …«
»Wieso? Ist das die Freundin von dem Typen oder was?« Rattes Stimme klang aggressiv. »Das ist doch der Hühnerficker vom Flur eben, was will der überhaupt?«
Er stand leicht schwankend auf.
»Lass uns abhauen«, sagte Appaz.
»Genau«, sagte Kerschkamp.
Jean oder Pierre war voll damit beschäftigt, den nächsten Joint zu rollen. Die anderen taten so, als wären Appaz und seine Freunde schon nicht mehr da.
»Das ist doch Scheiße«, schimpfte Ratte laut, »was soll das überhaupt? Ich denke, das ist eine Party hier …«
Aber er folgte Kerschkamp und Appaz auf den Flur. Von dem Typen mit dem orangefarbenem Hemd war nichts zu sehen. Von der Blonden auch nicht. Didier saß in der Küche und hatte offensichtlich nochmal gekotzt. Diesmal auf den Fußboden. Aber er hob die Hand, als er sie sah.
Lepcke stand an der Tür zum Klo und rüttelte an der Klinke.
»Scheiße«, sagte er, »der Ami hat sich eingeschlossen … Los, Mann, jetzt mach schon auf!«
Lepcke haute mit der Faust gegen die Tür.
»Mach auf, Mann!«
Appaz guckte erst Kerschkamp an und dann Ratte. Sie hatten keine Ahnung, was sie machen sollten.
Die Klotür ging auf. Der Ami kam kichernd raus.
»Habt ihr Schiss gekriegt, was?«
Er kicherte immer weiter.
»Sehr witzig«, sagte Lepcke beleidigt.
»Los, wir gehen«, erklärte Kerschkamp und schob den Ami vor sich her ins Treppenhaus.
Als sie auf die Straße kamen, stand auf der anderen Seite die Blonde. Mit einem Mädchen im Minirock. Sie drehten sich schnell weg. Jetzt sah Appaz auch den Typen mit dem orangefarbenen Hemd. Er lehnte ein Stück entfernt an der Hausmauer und rauchte. Und er war nicht alleine. Appaz konnte drei oder vier andere Typen hinter ihm im Halbdunkel erkennen.
»Scheiße«, sagte Ratte und bückte sich zum Bordstein, um den Boden der Bierflasche abzuschlagen, die er mitgenommen hatte.
»Hör auf«, sagte Kerschkamp.
Ratte guckte hoch.
»Ich mach’s«, sagte er.
Appaz schüttelte den Kopf und zog ihn mit sich.
»Sie kommen«, sagte Kerschkamp.
Lepcke war der Erste von ihnen, der anfing zu rennen.
»Habt ihr Schiss oder was?«, fragte der Ami keuchend.
Appaz blaffte ihn an, dass er endlich die Schnauze halten sollte. Der Ami hatte keine Ahnung, worum es überhaupt ging.
Als sie auf die Hauptstraße einbogen, wurden sie ein bisschen langsamer. Appaz war froh, dass noch so viele Leute unterwegs waren. Der Typ mit dem orangefarbenen Hemd und seine Freunde waren verschwunden.
An der Brücke fing Lepcke wieder an zu rennen.
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