Ihre Lauf-Trainingseinheiten absolvierten die Fußballer des ABC im Stadtwald Köllnische Heide. „Der Trainer auf dem Fahrrad, wir Jungs auf unseren Füßen, so ging es durch den Wald“, erinnert sich Claus-Peter Oehmcke. Als er Wolfgang, Bernd und deren Mannschaftskameraden unter seinen Fittichen hatte, lief er jedoch selbst mit. „Rainer Hartpeng und ich spielten gerade frisch in der 1. Männermannschaft, da nutzten wir das Ganze gleich als Training für uns.“
„Waldläufe waren an der Tagesordnung“, bestätigt Bernd Müller, „und wir hatten einen alten Bunker im Wald an der Friedlander Straße. Da ging es hoch und runter und im Winter mit dem Schlitten.“
Selbst Wolfgang Matthies erinnert sich übrigens bis heute ganz gern an jene Waldläufe in der Heide. Viel lieber jedenfalls als an alle späteren Laufeinheiten beim 1. FC Union.
Wolfgang wusste seit jeher, dass er Fußballer werden würde, und in seinem Zeichenlehrer und Fußball-AG 4-Leiter Hermann Kopittke hatte er von Anfang an einen begeisterten Förderer: „Kopittke ließ mich eine Stunde früher nach Hause gehen, wenn zu Weltmeisterschaften oder bei der Olympiade die Spiele schon mittags angepfiffen wurden.
Schulschluss war ja erst 14 Uhr, da hätte ich die Übertragung im Fernsehen ja größtenteils verpasst.“
Wolfgang Matthies im Tor des ABC, Anfang/Mitte der 1960er
Potti als Steppke stelle ich mir als ähnliche Type wie einen Max Kruse vor, der laut Interview im Unionprogramm seine Lehrer einst wissen ließ: „Macht euch keine Sorgen, ich werde sowieso Fußball-Profi.“
Allerdings trat Wolfgang in der Schule nicht nur gegen den Ball: „Kopittke betreute die verschiedensten Arbeitsgemeinschaften, unter anderem ,Junge Philatelisten‘ und natürlich Kunst. Seitdem interessiere ich mich für Briefmarken! Was die Kunst angeht, hatte ich nachweislich nicht das große Talent. Ich machte trotzdem mit, weil das so ein toller Lehrer war!“
Die stellvertretende Schuldirektorin überreicht Wolfgang eine Auszeichnung, ganz sicher für Leistungen auf dem Fußballrasen, Fritz-Lesch-Sportplatz in der Dörpfeldstraße, Adlershof um 1963.
Später unterrichtete Hermann Kopittke Wolfgangs Klasse in ESP, sprich: „Einführung in die sozialistische Produktion“. Ein Fach mit großem Langeweile-Potenzial, aber nicht bei Herrn Kopittke: „Der fuhr mit uns in den Betrieb, dort gingen wir auf den Hof – und spielten Fußball!“
Nicht nur bei Wolfgang Matthies drehte sich fast alles um den magischen Lederball, wie sein Schulfreund Bernd Müller bestätigt: „Kamen wir von der Schule nach Hause, hieß es: Mappe in die Ecke, Ball geholt, ab zum Knödeln! Hinten aufm Hof hatten wir zwei Tore, da haben wir gespielt. Straßenmannschaft gegen Straßenmannschaft, alles selbst organisiert, bolzten wir bis zum Abend herum.“
„Auch bei mir ging‘s in der Schulzeit nur um Fußball!“, wirft Claus-Peter Oehmcke ein. „Wir spielten jeden Tag auf dem Nebenplatz bei ABC. Als ich Jugendweihe hatte, fuhr mich mein Onkel zum Sportplatz, damit ich wenigstens noch in der zweiten Halbzeit auflaufen konnte. Es interessierte mich gar nicht, ob die da feiern oder weiß ich was machen. Sofort rüber, Klamotten angezogen und ruff uffn Platz!“
Ahnten seine Sportskameraden bereits, dass es bei Wolfgang Matthies einmal bis in die oberste Liga raufgehen würde? „Ehrgeizig war Wolfgang schon immer“, erinnert sich Bernd Müller, „sonst wäre er am Ende ja nicht bei Union gelandet. Aber ich kann nicht sagen, dass er sich aufm Platz nun ausgesprochen fanatisch gebärdet hätte. Wir waren ja alle fußballverrückt, und jeder wollte gewinnen! Er war ein lustiger Typ, aber hatte eben auch ‘ne klare Meinung. So ging er später nie in die Partei, was am Ende sicher auch seine Nationalmannschafts-Laufbahn etwas bremste. Wolfgang hatte eben seinen eigenen Stil.“
„Wir spürten schon, dass er mehr draufhat, als beim ABC zu bleiben“, wirft Claus-Peter Oehmcke ein. „Er wollte immer mehr, und er hat‘s ja auch geschafft, dass er bei der Sichtung genommen wurde, bei den Junioren eines Erstligaklubs! Aber auch dann ließ er die Verbindung zu ABC nie abreißen.“
Erlaubte es seine Zeit, besuchte Wolfgang Matthies die Spiele seines alten Vereins. Auch beim Kappenfest im Gesellschaftshaus Grünau, eine Großveranstaltung des ABC mit Musik, Tanz und gut 250 Besuchern, ließ er sich gelegentlich sehen.
Wolfgangs Verbindung zu Bernd Müller überstand auch die Wirren der stürmischen Jugendzeit, wie dieser mittels einer kleinen Geschichte herausstellt: „In der Schule waren wir eine Clique, drei, vier Jungs und drei, vier Mädels. Wir feierten Partys, unternahmen was, trieben zusammen Sport. Im Sommer gingen wir schwimmen, im Winterhalbjahr liefen wir oft Schlittschuh. Die Tennis-Anlage an der Dörpfeldstraße wurde zur Eisbahn umgespritzt.“
Gaby, eines der Mädels, ging in Wolfgangs Klasse und wurde Bernds Liebste. „Als ich dann bei der Armee war, lernte sie jemand anderen kennen“, entsinnt sich Müller. „Sie schrieb mir, dass Schluss ist. Nun, auch ich blieb nicht allein. Zum Kappenfest kam ich auf Urlaub raus und fragte meine neue Freundin: ,Kommste mit?‘ Sie wollte, und wir gingen zum Gesellschaftshaus. Draußen standen mein Bruder und Wolfgang. ,Gaby ist da!‘, warnten sie mich. Sie saß am Tisch mit meinen Eltern, und alle sahen mich mit großen Augen an. Gaby wirkte sehr traurig, dabei hatte sie doch mit mir Schluss gemacht!
Wolfgang ging mit ihr raus, um sie zu trösten. Dann kam er wieder rein und stellte mich zur Rede: ,Was haste denn da mit Gaby angestellt?!‘“
Offensichtlich fühlte sich Wolfgang Matthies verantwortlich dafür, dass keiner seiner Freunde dem anderen wehtat. Bernd erklärte die Sachlage, und längst ist ja alles wieder gut, wie er zu erzählen weiß: „Gaby heiratete meinen Nachfolger und ist bis heute meine beste Freundin. Ich heiratete meine damals neue Freundin, und Wolfgang heiratete kurz nach uns seine Marina, am 4. Juni 1976 auf dem Standesamt, einen Tag später in der Kirche.“
Wolfgang und seine Frau Marina hatten einander im November 1972 kennengelernt – ebenfalls im Gesellschaftshaus Grünau, bei einem Betriebsvergnügen des Kabelwerks Adlershof, wo Marina arbeitete. Zwei Jahre nach ihrer Hochzeit, am 8. Mai 1978, wurde ihre Tochter Rabea geboren.
Die Freundschaft zwischen Bernd und Wolfgang besteht bis heute: „Wolfgang war bei meinem sechzigsten Geburtstag und ich bei seinem sechzigsten im Bootshaus Sportdenkmal bei Rolli Weber. Jeder von uns bekam von unserem alten Lehrer ein selbst gebundenes Heft mit Erinnerungsfotos und Texten.“
Ein schmucker junger Mann: Wolfgang Matthies mit 19 oder 20 Jahren, Berlin, Anfang der 1970er
Hermann Kopittke hält zweifelsohne eine Aktie am sportlichen Erfolg des Wolfgang Matthies. Über viele Jahre organisierte der Kunst-, Philatelie- und Fußball-Enthusiast zum Abschluss des Schuljahrs das „Spiel der Spiele“, in welchem die abgehenden Schüler gegen ihre Lehrer antraten. Wenn es seine Zeit erlaubt, war und ist Wolfgang dabei – auch viele Jahre später, als man aus Altersgründen nicht mehr auf dem Fußballplatz, sondern am Skat-Tisch gegeneinander antrat.
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