Über ihr Leben, vor allem jenes beim 1. FC Union, wollte ich sie befragen – und erlebte augenblicklich mit, wie sich die drei ehemaligen Mannschaftskameraden beim Erzählen die Bälle zuspielten und einander frotzelten, dass mir das Zuhören eine reine Freude war. Seit Mitte der 1970er bilden die drei – zunächst auf dem Platz und bald weit darüber hinaus – ein Team. In guten wie in schlechten Zeiten.
Nun lade ich Dich, liebe Leserin und lieber Leser, herzlich ein, an alledem teilzuhaben. Die Geschichte Unions und auch die des DDR-Fußballs sind anderenorts gebührend und wissenschaftlich fundiert in die Schrift gestellt. Dieses Buch hingegen lebt von den Erinnerungen und Anekdoten, die mir Wolfgang Matthies, Joachim Sigusch, Rolf Weber, Heinz Werner und bald auch viele weitere Wegbegleiter Pottis erzählten. Lauter Geschichtchen, die auf ihre eigene Art über jene größtenteils längst vergangenen Zeiten berichten. Diese Erinnerungen festzuhalten war und ist meine Motivation für dieses Buch – und nun genug Vorgeplänkel. Der Pfiff ertönt, das Spiel beginnt!
Fan und Autor Frank Nussbücker mit seinen Helden Wolfgang Matthies, Joachim Sigusch und Rolf Weber, Oktober 2017 im Bootshaus Sportdenkmal
Bedingungsloser Kämpfer und grundehrlicher Typ
von Wolfgang „Maxe“ Steinbach 1
Als Wolfgang Matthies im Sommer 1983 zu uns nach Magdeburg kam, war er für uns alle eine feste Größe. Wir kannten ihn von Union, wo er bereits etliche Jahre zwischen den Pfosten gestanden hatte. Es überraschte mich nicht, dass er zu uns stieß. Von seinem Können her war es für ihn ein einfacher Schritt zu einem der DDR-Spitzenklubs. Aus sportlicher Sicht ein wichtiger und guter Schritt für ihn, denke ich.
„Bei uns hatteste endlich mal ‘ne richtige Mannschaft!“, ziehe ich ihn bis heute auf. Die Köpenicker spielten ja bestenfalls um Tabellenplatz acht. Auf der anderen Seite galt Union schon zu Ostzeiten als ganz besonderer Klub. Es gab in der DDR zwei Vereine, bei denen ich liebend gern mal gespielt hätte: die BSG Chemie Leipzig und der 1. FC Union Berlin. Union war allein schon wegen des Stadions und seiner Atmosphäre etwas ganz Besonderes.
Auch der FCM hatte schon immer eine hervorragende Fanszene, aber in einem weiträumigen Leichtathletik-Stadion mit Laufbahn und Marathontor kam das nie so rüber wie in einem echten Fußballstadion. 5.000 Zuschauer bei Union waren lauter, als wenn in unserem Ernst-Grube-Stadion 25.000 drin waren. Die Atmosphäre im Stadion An der Alten Försterei war einfach anders, genau wie in den englischen Stadien jener Jahre.
Ich weiß, wovon ich da spreche. Als der FCM 1979 im Europapokal der Pokalsieger bei Arsenal London gastierte, machten wir uns fast in die Hose. Hattest du Einwurf, fühlte sich das geradewegs so an, als hielten die Zuschauer von hinten den Ball fest. In einem solchen Hexenkessel zu bestehen war nicht einfach.
Und ich bin beim besten Willen kein Hasenfuß. Am wohlsten fühlte ich mich, wenn die gegnerischen Fans pfiffen. Da wusste ich: Du machst ein gutes Spiel, und das ärgert die Leute. Pfiffen sie uns aus, legte ich immer noch ‘ne Schippe drauf, besonders auswärts. Darauf bilde ich mir nichts ein. Ich glaube, das geht jedem Fußballer so, der ein bisschen Ehre im Leib hat. Zu diesen gehört in jedem Fall ein Wolfgang Matthies!
Was uns zudem verband, war die große Klappe aufm Platz. Ist ja klar: Wenn du wie ich bloß 1,66 hoch bist, musst du dich eben lautstark bemerkbar machen. Natürlich muss da auch was dahinterstecken! Auf der Straße zeigte ich mich merklich ruhiger. Aufm Platz hatte ich manchmal das Gefühl, ich bin mindestens 1,80 groß.
Auch Potti verwandelte sich, sobald er zwischen den Pfosten stand, in einen anderen Menschen. Sonst ein dufter Kumpel mit reichlich Humor, zeigte er sich auf dem Rasen äußerst ehrgeizig, geradezu verbissen. Sagtest du da was Falsches, rastete er mitunter regelrecht aus. Nach dem Spiel oder in der Freizeit war das ein völlig anderer Typ.
Potti beim 1. FC Magdeburg, das passte wunderbar! Wir wussten, dass er ein hervorragender Torwart ist, jederzeit drauf geeicht, Höchstleistung zu bringen. Das wusste auch Dirk Heyne, der andere Stammtorhüter in unserem Kader, und es stachelte ihn an. Der Lange, wie wir Dirk wegen seiner 2,01 Metern Körpergröße nannten, war ebenfalls ein Top-Tormann. Für uns machte es keinen Unterschied, ob Potti oder Heyne zwischen den Pfosten stand. Beides überragende Leute auf ihrer Position, auf die wir uns jederzeit verlassen konnten! Wie sie bei aller Konkurrenz miteinander umgingen, davor ziehe ich meinen Hut. Nie hörte man einen der beiden schlecht über den anderen reden. Es war ein gesunder Konkurrenzkampf, die Leistungsunterschiede zwischen ihnen waren minimal. Potti zeigte sich mutiger beim Rauskommen, während sich Dirk oft auf seine Länge verließ.
Wenn Potti rauskam, nahm er auf nichts und niemanden Rücksicht, am wenigsten auf sich selbst. Da knallte er alles weg, was sich ihm in den Weg stellte. Das ist für einen Torhüter gefährlich. Während seiner zwei Jahre bei uns verletzte er sich mehrere Male schwer.
Generell erlebte ich Potti als bedingungslosen Kämpfer, der nie ganz mit sich zufrieden war. Selbst wenn wir zu null gespielt und gewonnen hatten, wirkte er mitunter so, als hätte er das Spiel verloren. Auch nach einer Niederlage suchte er die Schuld zuallererst bei sich selbst, nicht etwa bei einem seiner Mitspieler.
Potti wirft sich zwischen Freund und Gegner, hier beim Oberliga-Spiel BSG Wismut Aue – 1. FC Union Berlin 3:0 am 26. April 1986.
Das alles ist von der Grundeinstellung her ja erst mal richtig, aber aus meiner Sicht stand ihm sein Übereifer, immer alles richtig machen zu wollen, so manches Mal im Weg. Irgendwann verkrampfst du dabei – und merkst es gar nicht mehr. Eine gewisse Lockerheit gehört einfach dazu. Natürlich auch Ernsthaftigkeit, aber Potti war in dieser Beziehung nicht zu bremsen. Im Spiel sowieso nicht, aber auch beim Training wurmte es ihn fürchterlich, musste er dann doch mal hinter sich greifen.
Als ich später Trainer war, riet ich meinem Torhüter mitunter: „Du kannst dich nicht bei jedem Schuss werfen! Such dir beim Torschuss-Training vier, fünf Bälle raus, und dann nimmst du mal wieder die Arme runter. Du kannst nicht nach jedem Ball fliegen. Das geht nicht, das stehst du nicht durch!“
Potti indes wollte auch beim Training partout jeden Ball halten! Ging dann doch mal einer rein, konnte er sich ewig daran hochziehen. Wie ich schon sagte: Stand Potti aufm Platz, egal ob Spiel oder Training, war das ein komplett anderer Mensch.
Allerdings muss ich zugeben: Mir ging‘s in der Hinsicht nicht viel anders. Von Hause aus verliere ich höchst ungern. So konnte es schon mal passieren, dass ich beim Training einen Mitspieler wegkloppte. Mitunter hätte ich dafür vom Trainingsplatz fliegen müssen. Dass ich so ein schlechter Verlierer bin, trieb mich auf der anderen Seite enorm an. So sorgte mein Ehrgeiz mit dafür, dass ich als Spieler einiges erreichte. Kurz und gut, auch hier gibt es gewisse Ähnlichkeiten zwischen Potti und mir.
Einmal flog ich in der Oberliga vom Platz. Erinnere ich mich richtig, war das zu Hause gegen den BFC Dynamo 2, nach einem Foul an Terletzki. Eine Freundschaft zum BFC pflegte damals wohl kaum einer von uns Fußballern. Nun ist Fußball ja auch kein Zuckerschlecken. Was die Zweikampfhärte angeht, ist das heute eine andere Nummer. Allein schon die vielen Kameras im Stadion sorgen dafür, dass das Körperliche weit runtergefahren ist. Das war früher schon anders, da hast du eher mal ‘nen Ellenbogen ausgefahren. Heute darfst du den Gegenspieler ja nicht mal mehr am Jersey zupfen.
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