Wie auch immer, ich war also gegen den BFC vom Platz geflogen. Mein erstes Spiel nach der Sperre fiel auf den 6. September 1986 – ausgerechnet gegen Union im Stadion An der Alten Försterei. Bei dieser Gelegenheit haute ich Potti, der inzwischen längst wieder bei seinem Heimatverein im Tor stand, einen Freistoß in den Winkel. 3An unserer Freundschaft änderte das nichts … hoffe ich mal. Bis heute verstehen wir uns wunderbar, der olle „Fliegenfänger“ und ich …
Und jetzt wünsche ich euch viel Spaß beim Lesen der Erinnerungen von und um Wolfgang „Potti“ Matthies!
1Offensiver Mittelfeldspieler beim 1. FC Magdeburg von 1971 bis 1987 sowie von 1989 bis 1990. „Maxe“, Jahrgang 1954, bestritt insgesamt 337 Erstliga-Spiele für den FCM, in denen er 75 Tore schoss, dazu 28 A-Länderspiele (1 Tor) sowie sechs Einsätze in der DDR-Olympia-Auswahl. Dreimal wurde er mit dem FCM DDR-Meister (1972, 1974, 1975), viermal FDGB-Pokalsieger (1973, 1978, 1979, 1983). Genau wie Wolfgang Matthies bei Union gelang Wolfgang Steinbach beim FCM nach seinem „ersten“ Abschied ein Comeback. Doch auch damit war für ihn noch nicht Schluss – erst nach weiteren 104 Zweitligaspielen für den VfB Oldenburg beendete er 1994 seine Spielerkarriere und wurde Trainer. 2006 kürten ihn die Fans des 1. FC Magdeburg zum „besten FCM-Spieler aller Zeiten“, quasi genau wie die Unioner ihren Wolfgang Matthies.
2BFC steht für „Berliner Fußballclub“ und war schon lange vor der DDR gebräuchlich, so beispielsweise bei BFC Hertha 1892 oder BFC Alemannia 1890. Heute der bekannteste BFC ist allerdings zweifellos jener der Sportvereinigung Dynamo der inneren Sicherheitsorgane der DDR.
3Letztlich gewann der 1. FC Union mit 2:1, Steinbachs Anschlusstreffer – wie bereits Unions 2:0 durch Uwe Borchardt ein direkt verwandelter Freistoß und von den Rängen sofort mit einem kämpferischen „Eisern Union!“ quittiert – markierte den Endstand.
ABC DES STRASSENFUSSBALLS
Adlershof liegt malerisch an der Köllnischen Heide. Wohl weil seine Häuser auf Feuchtwiesen erbaut wurden, betrug deren Traufhöhe lange Zeit nur zwölf statt der nebenan in Berlin üblichen 22 Meter. Einst lediglich von ein paar Kleinstbauern bewohnt, sorgten unter anderem der Ausbau der Bahnlinie Berlin–Görlitz 1866/67 sowie der vierzig Jahre später errichtete Teltowkanal für die Industrialisierung des Orts. 1912 nahm die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt ihren Betrieb auf. Seit 1920 gehört Adlershof zu Berlin.
1946 fand hier die Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin (ab 1972 Akademie der Wissenschaften der DDR) ihren Sitz, eine Nachfahrin der einstigen Preußischen Lehranstalt. Eines ihrer Institute widmete sich der Erforschung des Kosmos, zu ihm gehörte ein Radioteleskop mit stattlichen 36 Metern Durchmesser. Am 21. Dezember 1952 ging das ebenfalls hier angesiedelte Fernsehzentrum des Deutschen Fernsehfunks (DFF) auf Sendung.
Zahlreiche Berühmtheiten wohnten oder wirkten in Adlershof, unter anderem Ernst Lau, Erfinder der Gleitsichtbrille, die Schriftstellerin Anna Seghers, Fernseh-Pionier Ernst Augustin oder Filmregisseur Wolfgang Kohlhaase. Dazu kommen mit Willi Schwabe und dem als „Sudel-Ede“ verschrienen DFF-Chefideologen Karl-Eduard von Schnitzler zwei Fernsehstars, wie sie unterschiedlicher kaum hätten sein können – Schwabe erfreute sich besonders dank der von ihm von 1955 bis 1990 alle zwei Wochen moderierten Fernsehsendung „Willi Schwabes Rumpelkammer“, in der er Ausschnitte aus Filmklassikern präsentierte, größter Bekanntwie Beliebtheit; Schnitzler wiederum kommentierte von 1960 bis 1989 im Politmagazin „Der schwarze Kanal“ in linientreuester Manier Ausschnitte mit „Bild und Ton: original BRD-Fernsehen“, was selbst überzeugtesten Genossen Gelegenheit zum ungestraften Reinschauen beim Klassenfeind gab.
Die Atmosphäre in Berlin, Nahtstelle zwischen den einander im Kalten Krieg gegenüberstehenden politisch-ideologischen Blöcken, zeigte sich im Jahr von Wolfgang Matthies‘ Geburt als äußerst konfliktgeladen.
Am 24. Februar 1953 melden sich (laut Chronik der Internetseite berlingeschichte.de) 2.600 Flüchtlinge aus Ostberlin im Westteil der Stadt. Keine zwei Monate später eröffnet BRD-Bundespräsident Theodor Heuss das Notaufnahmelager für DDR-Flüchtlinge in Marienfelde. Auf ostdeutscher Seite wiederum beschließt der Ministerrat, dass unter anderem sogenannte „Grenzgänger“, die in Ostberlin wohnen und in Westberlin arbeiten, keine Lebensmittelkarten mehr erhalten.
Nachdem Anfang des Jahres in der neu errichteten Stalinallee die ersten Wohnungen bezogen worden sind, verstirbt am 5. März der Namenspatron dieses sozialistischen Pracht-Boulevards. Während in der DDR Staatstrauer befohlen wird, entfernt die Westberliner Polizei am Tag nach Stalins Tod in Tiergarten, Kreuzberg und Zehlendorf etliche rote Fahnen, die mit Trauerflor versehen sind.
Derweil erreicht die Kollektivierung der DDR-Landwirtschaft die Stadt. In Marzahn und Wartenberg gründet sich je eine Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, die ersten beiden LPGs auf Berliner Boden. Und während die Verbindungen nach Westen immer mehr eingeschränkt werden, eröffnet die sowjetische Fluggesellschaft Aeroflot am 29. März den Flugverkehr zwischen Moskau und Berlin-Schönefeld.
Am 16. Juni legen auf mehreren Ostberliner Baustellen, unter anderem einem Block der Stalinallee, Bauarbeiter aus Protest gegen die Erhöhung der Leistungsnormen die Arbeit nieder. Ihrer Forderung nach Rücknahme der Normerhöhung folgt alsbald der Ruf nach dem Rücktritt der Regierung, Streiks und Demonstrationen wachsen binnen eines Tages zum Aufstand an. Von Moskau aus wird über Ostberlin der Ausnahmezustand verhängt, die Unruhen werden von den Panzern der Roten Armee beendet.
Vier Tage später gewinnt der 1. FC Kaiserslautern das Endspiel um die (west-)deutsche Fußballmeisterschaft gegen den VfB Stuttgart mit 4:1 im Berliner Olympiastadion.
Sechs Tage vor Matthies‘ Geburt hebt der sowjetische Stadtkommandant, Generalmajor Pjotr Akimowitsch Dibrowa, den über Ostberlin verhängten Ausnahmezustand auf.
Am 16. Juli findet der letzte Spieltag der DDR-Oberligasaison 1952/53 statt. BSG Motor Oberschöneweide, einer der Vorläufer des 1. FC Union Berlin, steigt als 15. der Abschlusstabelle in die DDR-Liga ab. Höchste Zeit also, dass Wolfgang Matthies am 17. Juli das Licht dieser Welt erblickt.
Der kleine Wolfgang jagt dem Ball hinterher, sobald er sich halbwegs sicher auf seinen Beinen halten kann: „Schon als Piepel spielte ich am liebsten Fußball, gleich bei uns auf der Straße. Ich bin ein richtiger Straßenfußballer. Gegenüber war eine Tischlerei, eingezäunt, eine lange gerade Fläche. Oder wir spielten auf dem Bürgersteig. Weil der nicht breit genug war, gehörte auch die Straße zu unserem Spielfeld. Schnell ein paar Jacken als Tore hingelegt, los ging’s. Auf der Straße herrschte kaum Verkehr. Kam doch mal ein Auto, mussten wir eben kurz warten – und das Spiel lief weiter. Die Tore mussten wir zum Glück nicht jedes Mal wegräumen, denn sie befanden sich auf dem Bürgersteig. Zumindest dafür war der breit genug.“
An ein fußballerisches Vorbild aus dieser Zeit kann sich Wolfgang heute nicht mehr erinnern, bevor ihm doch noch jemand einfällt: „Vielleicht Uwe Seeler?“ Er zuckt mit den Schultern. „Ich weiß nur, ich spiele Fußball, solange ich denken kann.“
Auch an seiner Schule, der 10. Polytechnischen Oberschule (POS) Berlin-Adlershof in der Radickestraße, jagten Wolfgang und seine Kumpels dem runden Leder hinterher, wie sein Schulfreund Bernd Müller zu erzählen weiß: „Ich ging in Wolfgangs Parallelklasse und war fußballverrückt wie er – wie wir alle! Früher durfte man ja erst mit acht Jahren im Verein kicken. Weil es für uns noch nicht so weit war, spielten wir ab der ersten Klasse zusammen in der Schulmannschaft. Herr Kopittke, unser Zeichenlehrer, leitete das Training, zusammen mit Sportlehrer Jabbusch.
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