Ein weiterer Teil meiner Elternarbeit beinhaltet körpertherapeutische Übungen (im Sinne eines ganzheitlichen Therapieansatzes, der den ganzen Organismus einbezieht). Oft haben gerade übermüdete, angestrengte Mütter den Kontakt zu sich selbst verloren. Sie haben die Fähigkeit verloren, ihre Aufmerksamkeit nach innen zu richten und erscheinen wie außerhalb ihres Körpers ohne ausreichende Selbstwahrnehmung. Hier helfen meist rasch Atemschulung und Übungen zur Förderung des Gewahrseins und zur Zentrierung (z. B. tiefe Atmung in Bauch und Beckenbereich oder während der Säugling am Bauch der Mutter liegt, die Aufmerksamkeit auf die Hautoberfläche richten – wie berührt ihre Haut bei jedem Atemzug den Körper ihres Kindes?)
Ich biete bei meiner Arbeit mit Säuglingen und Kleinkindern zum Platznehmen immer einen Bereich an, der mit Bodenkissen, Wandteppich und Polsterrollen gemütlich gestaltet ist. Es befinden sich alle Anwesenden auf einer Ebene, was zu Erdung im Raum führt. Durch den körperlichen wie gleichzeitig gebotenen emotionalen Halt wird die Selbstunterstützung gefördert.
Die Therapie/Beratungssituation vermittelt weiterhin Geborgenheit und Ruhe. Neben der therapeutischen Bearbeitung verschiedener Themen kann eine Mutter »auftanken«: Durch Ruhe und Gelassenheit kann sie so auch zu ihrer inneren Ruhe und ihrer Gelassenheit finden – weiterhin gestützt durch die Vermittlung von Entspannungs- und Stabilisierungsübungen.
Damit Halt auch im Alltag erfahren werden kann, ist immer wieder die Ressourcenarbeit bzw. Stützung 5wichtig: Wer kann aus der Familie, aus dem Freundeskreis helfen? Wie kann Mutter/Vater zu mehr Schlaf oder freier Zeit für sich selbst kommen? Was half bisher fürs Auftanken, was sind die persönlichen Kraft quellen?
Ich vermittle dem Kind, dass es in seinem Sein und Tun willkommen ist. Bei der Kontaktaufnahme gehe ich, wie mit jeglicher anderen Altersgruppe, äußerst respektvoll um. Zu einer Berührung kommt es nur, wenn ich ein Einverständnis durch Signale vom Baby erhalte. Die Grenzen des Kindes zu akzeptieren, ist selbstverständlich.
Neben dem Hören gilt es, die Körpersprache und den emotionalen Ausdruck des Kindes zu erfassen. Bei der direkten Rede an das Baby achte ich, wie im Gespräch mit der Mutter, auf Respekt und Verständnis und ich bleibe sprachlich auf der Erwachsenenebene. Wenn ich meinen Eindruck vom gezeigten Verhalten des Kindes, von seiner Gestik und Mimik, einfühlsam versprachliche, also meine Interpretation in direkter Rede an das Kind richte, so kann ich auch indirekt eine Botschaft an die Mutter senden.
Wenn ich zum Beispiel weiß, dass die Bezugsperson ein kindliches Explorationsverhalten (wie ein Zerreißen eines Blatt Papiers oder ein In-den-Mund-Stecken) als mutwilliges Zerstören ansieht, so kann ich mich bei einem nächsten Entdeckungsspiel direkt an das Kind wenden und seine Entdeckungslust anerkennend in Worte fassen: »Ja, jetzt findest du gerade heraus, dass Papier zerreißen kann, und du merkst, dass du das auch zusammenknüllen kannst; da entdeckst du gerade etwas Neues, gut machst du das!«
So kann durch dieses Vermittlungsgeschehen die Einfühlung der Eltern gefördert und mit dem Erleben des Kindes verbunden werden. Und ich sende immer wieder die Botschaft an das Kind, dass ich es verstehe und unterstütze.
Die Interaktion im Vordergrund
Eine Schlüsselfunktion nimmt hier die Awareness ein. Ich bringe meine gestalttherapeutisch geschulte Achtsamkeit ein, um vorerst eine Orientierung bezüglich des Kontakt- und Kommunikationsverhaltens zwischen Mutter und Kind zu erhalten.
Das bedeutet im Laufe einer therapeutischen Sitzung, z. B. während der Interaktionen bei Wickeln, Füttern, Stillen oder Spielen, dass ich sensibilisiert bin, zu achten:
• Auf die allgemeine Interaktionsbereitschaft, auf den Blickkontakt bzw. Blickvermeidung, die Vokalisation (Stimmlage, Sprechtempo, Lautstärke)
• Kommen negative Äußerungen in Inhalt und Ton vor, kommt es zu stimmlicher und mimischer Nachahmung?
• Findet ein interaktives Spielen statt (Berührungsspiele, Zeigen von Spielzeug, Vormachen der Mimik/Vokalisation)
• Auf welche Art und wie häufig wird das Baby stimuliert? Wie wird der Körperkontakt (Berührungen, Bewegungen, Position) gestaltet, wird z.B. das eigene Gesicht im zentralen Blickfeld gezeigt und wo sieht das Baby hin?
• Habe ich den Eindruck von Echtheit, werden Gefühle, positive, wie negative, eindeutig gezeigt oder drückt es sich in »Pseudoverhalten« aus (pseudogeduldig z.B., foppend/hänselnd/drangsalierendes Verhalten oder Benennung mit unfreundlichen Kosenamen wie »so ein Depperl«, »Hosenscheißer«, »mein Angsthase«)?
• Zu welcher Resonanz kommt es bei dem Zusammenspiel von Inhalt, Ton und Ausdruck?
• u. v. m.
Bei all diesem Erleben meinerseits auf phänomenologischer, emotionaler, sensomotorischer Ebene und Beziehungsebene geht es um die auf Klientenseite nicht bewusst gesteuerte Synchronie, Responsivität, Reziprozität (Fähigkeit zur Ursache-Wirkungsinteraktion), Kontingenz und den wechselseitigen Einfluss aff ektiven Ausdrucks.
Ziel ist daher, ein neues Gewahrsein auf Seiten der Mutter zu erreichen. Denn sind die Mechanismen der Kontaktunterbrechung oder einer Kontaktprozess-Schwächung in ihr Bewusstsein gelangt, so reguliert sich das Miteinander in der Folge von selbst (diese Aussage beziehe ich wiederum auf den Hauptanteil meiner Eltern-Kleinkindtherapie-Klienten, die nur leichte Störungen ihrer Ich-, Es- und Persönlichkeitsfunktionen 6zeigen). Babys reagieren immer darauf, wenn sich das Kontaktfeld der Mutter verändert. Eine energetische und emotionale Öffnung wird dann möglich und sein Organismus kann zu einer bioenergetischen Selbstregulation zurückkehren (vgl. Reich 1999).
Durch ein Baby-Awareness-Training (Schulung der Aufmerksamkeit auf die individuellen Signale des Kindes) und die Feedback-Erfahrung (richtige Interpretation der wahrgenommenen Signale) im Hier und Jetzt der Therapie wird das elterliche Sicherheitsgefühl bestärkt, durch ein neu entwickeltes Gewahrsein wird adäquate elterliche Responsivität 7, die für die Selbstentwicklung des Kindes so wichtig ist, möglich bzw. gefördert.
Es folgt zur Verdeutlichung ein beispielhaft zusammengefasster Therapiebericht von Aylin 8, einem damals 16 Monate alten Mädchen aus dem türkischen Kulturkreis.
Laut Auskunft Ihrer Mutter, Frau D., die über die Empfehlung ihrer Kinderärztin zu mir findet, äße Aylin viel zu wenig. Sie könne das Kind nur füttern, wenn es durch Fernsehen oder Spielsachen abgelenkt sei. Die Mutter (19 Jahre alt), der Vater (21 Jahre alt), beide in Wien geboren, seien sehr beunruhigt, weil die Tochter »so wenig esse« und machten sich Sorgen um ihre physische und psychische Gesundheit.
Beide Herkunftsfamilien nehmen regen Anteil an der Erziehung und Pflege des Kindes. Das zeigt sich auch an den wechselnden Familienmitgliedern, die Fr. D. zu unseren Terminen begleiten.
Aylin ist, von der Kinderärztin abgeklärt, in gutem Gesundheitszustand. Sie ist ein blasses, zartes, sehr schlankes Kleinkind, liegt mit ihrem Körpergewicht jedoch im Normbereich (15. Perzentile). Sie hat schöne große dunkle Augen, die wenig Blickkontakt halten; im Raum und mit Spielsachen exploriert sie wenig, zeigt sich aber auch nicht schüchtern oder ängstlich. Der immer wieder gesuchte Körperkontakt zur Mutter ist altersentsprechend. Mein erster Eindruck ist, dass sie wenig Selbstkontakt hat, genau wie die hübsche, ebenso zarte Mutter. Auf beiden scheint ein enormer Druck zu lasten. Die Großeltern väterlicherseits, deren Meinung absolut zu respektieren ist, sind überzeugt, dass Aylin zu mager und die junge Mutter zu nachlässig sei. Frau D. tue ihr Möglichstes, um Aylin »zu stopfen« und ist dabei kaum mehr im Kontakt mit ihrer Tochter und mit sich selbst. Weder Aylin noch ihre Mutter haben die Möglichkeit, ihre Bedürfnisse ausreichend wahrzunehmen. Der junge Vater vertritt die Meinung seiner Eltern und konzentriert sich nur mehr auf die Essmengen seiner Tochter. Frau D. erzählt exemplarisch: »Kaum kommt er von der Arbeit heim, fragt er mich sofort, ohne Begrüßung, wie viel sie gegessen hat.«
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