»Nasdrowje. Es lebe die deutsch-russische Freundschaft«, meinte Tischler süffisant.
»Ja. Aber mit Freundschaft dürfte die nächste Stunde nichts zu tun haben. Bylkow ist noch nicht da, aber die Neuware.«
»Und was sind das für Drogen? Heroin? Speed? Koks?«
Bechthold grinste ein wenig. »Natascha, Olga und Swetlana heißen die Drogen.«
»Oh lala«, Tischler schnalzte mit der Zunge, »also richtig heiße Ware.«
»Ja. Die meisten Frauen kommen aus Moldawien. Freiwillig ist da vermutlich keine dabei. Aber du weißt ja, wie das abläuft.«
»Falsche Versprechungen, man würde ihnen einen Job im goldenen Deutschland verschaffen, und schon sitzen sie in der Falle.« Tischler hasste diese Menschenhändler, die aus unschuldigen Mädchen Zwangsprostituierte machten.
»Mittlerweile werden diese Frauen regelrecht entführt und damit epresst, dass man ihre Familie umbringt, wenn sie etwas sagen.«
»Die Umgangsformen werden noch rauer. Dass das möglich ist.« Tischler schüttelte angeekelt den Kopf.
»Und das Schlimme ist, solche Dreckstypen bluffen nicht. Die schrecken vor nichts zurück.«
»Was habt ihr sonst noch gegen Bylkow in der Hand?«, fragte Tischler nach.
»Wallenberg hat uns einiges an Material geliefert. Es reicht für eine meterlange Anklageschrift, darunter auch zwei Mordanklagen. Ob es auch dafür reicht, diesen Kerl für den Rest seines Lebens einzubuchten, weiß ich nicht. Der wird sich mit einer ganzen Armee von Winkeladvokaten eindecken. Ich spekuliere darauf, dass wir die Mädchen, die heute angeliefert werden, zum Reden bringen.«
»Und der Mord an Olga Sibowska?« Tischler interessierte natürlich primär der Fall, der ihr entzogen worden war. Sie empfand es weiterhin als Demütigung, wohl wissend, dass dies Unsinn war und der Vorgang nichts mit ihrer Kompetenz zu tun hatte. »Gibt es da etwas Neues?«
»Nein, aber …« Bechthold stockte und strich sich über das Kinn. »Ich weiß, das klingt jetzt unprofessionell, aber der Sibowska-Mord ist im Prinzip nicht mehr wichtig. Das hat einer seiner Handlanger erledigt. Vielleicht erwischen wir denjenigen, vielleicht auch nicht. Bylkow auf jeden Fall erlebt heute seinen letzten Tag in Freiheit. Das ist wichtig.«
Barbara Tischler war nicht wohl bei dem Gedanken, dass ein Mordfall, den sie selbst bearbeitet hatte, wenngleich auch nur kurz, plötzlich unbedeutend wäre. Allerdings verstand sie auch die Position ihres Kollegen. Bei Mafiakraken wie Bylkow musste man froh sein, wenn man sie festnageln konnte. Jedes ihrer Verbrechen aufzudecken und hieb- und stichfest vor Gericht nachzuweisen, war ein Ding der Unmöglichkeit.
»Ich glaube, ich weiß, was dir jetzt durch den Kopf geht«, meinte Bechthold, der als Polizist wie seine Kollegin dachte. »Aber der Fall ist im Prinzip abgeschlossen, selbst wenn er nicht aufgeklärt wird. Da kann dein rätselhafter leerer Brief nichts daran ändern.«
Tischler nickte unmerklich und wollte gerade etwas entgegnen, als plötzlich ein Funkspruch eintraf. Bylkow war im Anmarsch. Wenige Sekunden später fuhr eine schwarze Limousine mit abgetönten Scheiben vor. Schnell wurden die Tore der Halle geöffnet und der Wagen verschwand im Dunkel.
»Und ihr seid sicher, dass Bylkow in dem Karren sitzt?«, fragte Tischler mit einer gesunden Portion Skepsis.
»Ja. Ziemlich sicher. Hundertprozentig sicher werden wir in ein paar Minuten sein.«
Die Leiter des SEKs gaben hektische Befehle, in Stellung zu gehen. Jeweils fünfzehn bewaffnete Polizisten hatten sich in den beiden benachbarten Hallen versteckt. Nun erhielten sie den Befehl auszurücken und das Zielobjekt zu umstellen. Dreißig schwarzgekleidete, vermummte Männer verwandelten die Halle in eine Mausefalle.
»Wie viele Gangster befinden sich momentan in der Halle«, fragte Tischler.
»Voraussichtlich acht. Mit Bylkow.«
»Glaubst du, dass sie sich ergeben?«
Bechthold atmete laut durch. Die Anspannung war ihm anzumerken.
»Ich hoffe es, Barbara. Ich hoffe es.«
Als die Polizisten ihre Stellungen bezogen hatten, rief einer der Einsatzleiter auf einem von Bylkows Handys an. Tatsächlich ging der Gangsterboss persönlich ans Telefon. Ihm wurde mitgeteilt, dass die Halle umstellt sei und in zwei Minuten gestürmt würde, wenn sie sich nicht ergäben. Ohne Antwort beendete Bylkow das Gespräch.
»Und nun?«, fragte Tischler gespannt. Eine solche Riesenaktion hatte sie selbst noch nicht erlebt.
»Heißt es abwarten.« Bechthold blickte auf seine Uhr. Zwei bleierne Minuten lagen vor ihnen. Langsam, quälend langsam, bewegte sich der Sekundenzeiger. Kurz vor Ablauf des Ultimatums öffneten sich die Tore der Halle. Gleichzeitig meldete sich das Handy des Einsatzleiters.
»Lassen Sie uns durch, sonst sind die Frauen tot«, sagte eine harte Stimme mit russischem Akzent. Bevor der Einsatzleiter etwas antworten konnte, war die Verbindung unterbrochen. Im selben Moment fuhr Bylkows Limousine aus der Halle. Im Schritttempo. Auf dem Kühlergrill lag eine gefesselte Frau. Vor jedem Reifen ging ein Gangster, der eine der Zwangsprostituierten vor sich hielt und ihr eine Waffe an die Schläfe hielt.
»Die Limousine ist gepanzert. Wir könnten einzig auf die Reifen schießen, aber das wollen sie verhindern, indem sie die Frauen als Schutzschild benutzen. Diese Schweine!«, giftete Bechthold.
Die entführten Moldawierinnen waren geknebelt. Dennoch hörte man ihr Klagen und Schluchzen. Langsam glitt die Limousine voran, sie hielt Schritt mit ihrer Eskorte. Die Luft war zum Zerreißen angespannt. Alle Gewehre der SEK-Einheit waren auf die Gangster gerichtet, allesamt bullige Kerle mit kahlrasiertem Schädel und einschlägigen Tattoos. Den Frauen stand die nackte Angst ins Gesicht geschrieben.
Es war eine gespenstische Szenerie. Kein Laut ertönte. Man hörte lediglich das Winseln der Frauen und den leise surrenden Motor der Limousine. Als der Wagen das Gelände der alten Halle verließ, standen ein paar Polizisten auf und bedrohten die Gangster. Diese ließen sich jedoch nicht beirren.
Plötzlich drehten die Reifen der Limousine durch und die Frau auf der Kühlerhaube wurde zu Boden geschleudert. Im selben Moment schlossen sich die vier Gangster, welche die Reifen bewacht hatten, zu einer Reihe und deckten so das entfliehende Auto. Schon war die Limousine Bylkows mit quietschenden Reifen um die Ecke gebogen.
»Bär an Biber, Zugriff jetzt«, sprach der Einsatzleiter in sein Funkgerät. Sofort erklangen daraufhin Schüsse.
Fragend blickte Tischler ihren Kollegen an.
»Wir waren auf diese Situation vorbereitet. Alle Fluchtwege sind durch kleinere Kommandos versperrt.« Bechthold atmete tief durch. Die Anspannung hatte ihm Schweißperlen auf die Stirn getrieben. »Hoffen wir, dass wir den Drecksack jetzt endlich haben.
Tatsächlich kam sogleich die Meldung, dass man der Limousine die Reifen zerschossen und diese umstellt hatte. Wenige Minuten später stiegen Bylkow und drei seiner Männer aus. Ganz unspektakulär hoben sie die Hände und ließen sich widerstandslos festnehmen.
Die vier Gangster dagegen, die weiterhin die Frauen als Schutzschild benutzten, gingen langsam zur Halle zurück. Sie ließen ihren Blick nicht von den Polizisten. Ihre Pistolen schienen wie angeklebt an den Schläfen der Frauen. Kaum hatten sie die offene Halle erreicht, schlossen sie die Tore und verbarrikadierten sich.
Bechthold beriet sich mit der Einsatzleitung. Tischler blickte inzwischen aus dem Fenster. Die Frau, die vom Kühlergrill gefallen war, hatte sich offensichtlich an Arm und Kopf verletzt. Ein Sanka kam und zwei Sanitäter kümmerten sich um sie.
Hoffentlich ist dein Martyrium jetzt vorbei, dachte sich Tischler. Nach wenigen Minuten kam Bechthold zu ihr zurück.
»Wir rufen die Gangster noch einmal auf, sich zu ergeben, was vermutlich nichts bringen dürfte.«
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