»I will do my very best, Mister Bechthold«, meinte Tischler und berichtete in Kürze von dem leeren Brief und den seltsamen Fingerabdrücken. Gespannt wartete sie auf die Reaktion ihres Kollegen, die freilich ganz anders ausfiel als erwartet.
»Gut und schön. Das ist eine mysteriöse Geschichte. Der Punkt ist der, und deswegen steh ich so unter Starkstrom, wir haben heute Nachmittag einen Zugriff.«
»Bylkow?«, fragte Tischler nach.
»Genau. Er hat sich mit ein paar seiner Getreuen im Norden verschanzt. Wo genau, darf ich dir nicht sagen. Die Bude wird auf jeden Fall heute noch gestürmt.«
»Da würde ich gern mitstürmen. Die Sturmtruppen waren schon in meiner Kindheit mein Lieblingscomic.«
»Nein, Barbara. Das ist nur was für …«
»Für harte Männer, die im Stehen pinkeln? Für LKA-Fuzzies?« Tischler war gespielt aufgebracht. Sie wusste, dass sie eigentlich bei dem Einsatz nichts verloren hatte, aber ein bisschen Empörung hat noch nie geschadet, wenn man ein Ziel erreichen will.
»Nein, aber es ist einfach unser Einsatz.«
»Bitte. Ich halte mich auch brav im Hintergrund und spiele Mäuschen.«
»Nein.« Bechthold klang nicht mehr ganz so ablehnend, was Tischler aufgefallen war.
»Weißt du was, ich bringe dir sofort den Brief vorbei. Das ist schließlich euer Beweisstück. Und ich tue, als wüsste ich von nichts. Du lädst mich für meine Nettigkeit als Gast zur Verhaftungsparty ein. Ist doch eine Superidee, gelle?«
Tischler wartete die Antwort nicht ab, sondern legte sofort auf. Überrumpelungstaktik, dachte sie, klappt manchmal auch bei Polizisten.
Dieser Engel sah aus wie Scarlett Johansson, ja, sie war das Mädchen mit dem Perlenohrring in der Filmversion, also das Zitat des Zitats, wenn man so wollte, oder die Bearbeitung der Bearbeitung. Die etwas blässliche, wie keusche Schönheit mit den sinnlichen Lippen, die fast schon verboten rot leuchteten. Ähnlich wie auf dem Filmplakat, drehte sich Vermeers Muse um und blickte den Betrachter direkt an, als wolle sie ihm ein Geheimnis anvertrauen.
Und jener Engel daneben glich Emily Blunt, hatte also nicht das blütenweiße, antiseptische der klassischen Engel, sah eher aus wie ein Himmelsbote auf Dope, der nicht genau wusste, ob er zufrieden sein sollte mit seiner postmortalen Zuweisung. Vielleicht wäre es in der Hölle doch spritziger gewesen, scheint sich der Blunt-Engel zu denken.
Das Deckenfresko von Polonius’ Wohnung war ein grandioser moderner Himmel, den die Musen des Künstlers bevölkerten. Es konnten Schauspielerinnen oder Sängerinnen sein, aber auch Frauen, die er persönlich kannte, vorrangig solche, mit denen er das Bett geteilt hatte.
Irina fand sich selbst noch nicht auf dem Fresko. Sie war auch gar nicht scharf darauf, hier verewigt zu werden und als Bildtrophäe die Wand zu schmücken. Diese Ehre durfte ruhig anderen zuteil werden. Im Prinzip wusste sie nicht, was sie von dem Deckengemälde halten sollte. Es war eine Mischung aus Edelkitsch und Pop-Art, allerdings eher pubertärer Pop-Art. Die handwerkliche Genauigkeit freilich war verblüffend. Polonius hatte auch Michelangelos delphische Sibylle in seinen Himmel aufgenommen, ein ironisches Zitat, wie er meinte. Tatsächlich war das Gesicht eine nahezu fotografische Replik des Originals, obwohl der Untergrund ein völlig anderer war. Seine Decke in dem Fünfzigerjahre-Bau hatte mit der der Sixtinischen Kapelle nur wenig gemein.
Nachmachen kann er wie kein Zweiter, dachte sich Irina, als sie eine Figur nach der anderen studierte. Sie kannte sie zwar alle, schließlich lag sie nicht zum ersten Mal in Polonius’ Bett, doch entdeckte sie jedes Mal wieder neue Details.
Der Künstler selbst war, wie immer, nach dem Sex eingeschlafen. Der mit dem Samenerguss einhergehende Energieverlust führte bei ihm zu jäher Müdigkeit. Irina dagegen war nach dem Sex frisch, störte sich aber nicht daran, dass Polonius schlief. Wenn überhaupt, nervte sie sein Gegrunze. Polonius schnarchte nicht, er machte die Geräusche eines sich suhlenden Hausschweins. Allein das hinderte Irina am Einschlafen.
Nach einer knappen halben Stunde meldete sich das Handy des Künstlers. Es befand sich in der Tasche seiner schlabbrigen Hose, die neben der Matratze lag, ein Bett hielt der Künstler für überflüssig wie spießig. Er hatte »Die Moldau« aus Smetanas »Mein Vaterland« als Klingelton einprogrammiert, ein patriotischer Tribut an seine tschechische Heimat. Nach wenigen Takten beendete Polonius sein Grunzen und streckte sich.
»Willst du nicht rangehen?«, fragte ihn Irina.
»Bin nicht erreichbar«, grummelte Polonius. Er machte keine Anstalten, an das Handy zu gehen. Stattdessen drehte er sich um und streichelte Irinas rechte Brust, seinen Lieblingsbusen, wie er immer betonte.
Kaum war das Handy wieder verstummt, meldete sich das Festnetztelefon. Nach fünf Klingeltönen schaltete sich der Anrufbeantworter ein. Die Stimme, die nach der Ansage erklang, ließ den Künstler plötzlich hellhörig werden. Der Mann forderte Polonius auf, sofort an den Apparat zu gehen, was dieser auch tat.
Nackt stand er auf und ging zu dem Hörer. Dabei tropfte noch etwas Sperma auf den Boden.
»Mann, ich hab dir gesagt, du sollst mich nicht mehr anrufen«, sagte Polonius sichtlich angefressen. Dann ging er ins Nebenzimmer, wo ihn Irina nicht mehr hören konnte. Es war auch nicht ihre Neugier, die sie aus dem Bett trieb, sondern nur ein jäher Anfall von Durst. Dennoch wurde sie hellhörig bei den Gesprächsfetzen, die sie aufschnappte.
»Spinnst du? Das dauert mindestens drei Wochen. Und dann ist es vielleicht noch Pfusch. Ein Experte kennt es auf jeden Fall.« Polonius war wütend auf den Anrufer und dessen Anliegen, das spürte Irina. Aber ihr Anblick erfreute ihn auch nicht gerade.
»Wart mal kurz«, sprach er in den Hörer und wandte sich Irina zu. »Schätzchen, ich telefoniere gerade. Siehst du das? Und ich will nicht gestört werden, klar?«
Mit einer unfeinen Handbewegung bedeutete er ihr, dass sie wieder in das Schlafzimmer verschwinden sollte. Aber Irina hatte ihren Stolz und holte sich erst eine Flasche Wasser aus der Küche. Solange hielt Polonius die Sprechmuschel bedeckt. Er telefonierte erst weiter, als sie weg war. Eigentlich hatte Irina noch Lust auf eine zweite Runde gehabt, doch die war ihr nun vergangen.
09Obwohl man sie auf einem sicheren Beobachterplatz gewissermaßen geparkt hatte, musste Barbara Tischler eine kugelsichere Weste tragen. Sicher war sicher und die Vorschriften wurden eingehalten. Auch wenn es bereits einige Monate her war, konnte sich die Kommissarin noch lebhaft daran erinnern, wann sie das letzte Mal eine solche Schutzweste getragen hatte. Denn ohne Weste hätte ihr damals eine Kugel die Brust durchschossen.
An diesem Nachmittag war sie allerdings außer Schussweite. Sie bezog mit Oberkommissar Bechthold, einem weiteren LKA-Kollegen sowie dem Leiter des Sondereinsatzkommandos, in einem benachbarten Haus Stellung. Von dort hatten sie freien Blick auf die graue, schäbige Halle. Die Fenstergitter wurden allmählich vom Rost zerfressen, die Wände hatten lange schon keine Farbe mehr gesehen.
Die Halle stand auf einem Industriegelände im Norden Münchens, eigentlich abbruchreif, aber man wollte kein Aufsehen erregen. Denn seit zwei Jahren nutzte sie die Organisation Bylkows für gewisse Transaktionen. Drogenschmuggel, Menschenhandel, aber auch Morde sollten dort schon passiert sein.
Wo sich der Bandenchef selbst aufhielt, wusste man nicht genau, aber die Halle stand unter permanenter Observation. Man hoffte darauf, den brutalen Boss dort verhaften zu können, wenn er auftauchte. Und das Warten hatte sich gelohnt.
»Wir haben gestern eher zufällig ein Telefonat abgehört«, erläuterte Bechthold. »Und herausbekommen, dass Bylkow höchstpersönlich zur Prüfung der Neuware kommt. Es war wirklich Zufall. Und zwar hat einer von Bylkows Fußsoldaten seine Mutter angerufen und ihr erzählt, er würde endlich seinen Boss kennen lernen. Die russischen Kollegen haben den Anruf aufgezeichnet und sofort an uns weitergeleitet.«
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