Die Kreditwirtschaft bereitete in dieser Zeit auch den Weg der Bevölkerung zur Teilhabe an der Konsumgesellschaft, ließ sich diesen sozialintegrativen Service aber durch hohe Zinsen und Kosten von ihren Kund*innen bezahlen. Dies wurde von Seite der Kreditwirtschaft durch rechtlich fragwürdige Vertragsvereinbarungen und Geschäftsbedingungen mit den Kund*innen vereinbart, was zu zahlreichen höchstrichterlichen Grundsatzurteilen führte. In den Anfängen der Schuldenberatung gab es daher eine inhaltliche Nähe zu den Organisationen des Konsument*innenschutzes. Durch ihr Engagement zu rechtlichen Fragen des Konsument*innenschutzes war die Soziale Arbeit wesentliche Akteurin und ein dringend notwendiges Korrektiv der auf Konsum und Finanzdienstleistungen beruhenden arbeitsteiligen Gesellschaft. In ihr musste das Verhältnis von Konsument*innen und den Akteur*innen der Finanzdienstleistungen neu verhandelt und teilweise auch durch höchstrichterliche Urteile zum Konsument*innenschutz erstritten werden (vgl. Buschkamp 2019: 148ff).
Doch hierzu ist das Feld inzwischen weitgehend abgesteckt und Themen wie sittenwidrig überhöhte Zinsen, einseitig benachteiligende Geschäftsbedingungen oder Gültigkeit überraschender Vertragsklauseln bei der Sicherung von Ratenkreditverträgen durch Gesetze oder durch entsprechende Rechtsprechung weitgehend geregelt. Folglich sind solche Fragen nicht mehr in dem Maße Bestandteil der täglichen Arbeit der Beratungsstellen oder deren Fachverbänden. Dies bedeutet aber nicht, dass gänzlich auf das Engagement der Sozialen Arbeit oder des Konsument*innenschutzes verzichtet werden kann. Der gesellschaftliche Wandel, hier aktuell die Folgen der Digitalisierung, erfordern immer wieder die politische Einflussnahme der Sozialen Arbeit, um veränderte Rahmenbedingungen der Konsum- und Kreditwirtschaft der Menschen in prekären Einkommenssituationen oder benachteiligten Lebenslagen anzupassen.
Ausbauen konnte die Schuldenberatung schließlich ihre Position beim Privatkonkurs- und Restschuldbefreiungsverfahren und hier insbesondere ihr Mitwirken bei gerichtlichen Verfahrensabläufen (vgl. Elbers 2019: 260ff). Hier gelang es der Schuldenberatung insbesondere im Rahmen der Einführung von gerichtlichen Restschuldbefreiungsverfahren in Deutschland und Österreich eine zentrale Position bis hin zur Zugangsschwelle zu diesen Verfahren zu besetzen. Schuldenberatungsstellen übernehmen in solchen Verfahren umfassende administrative Aufgaben, nicht zuletzt zur Entlastung der Justiz, und sind Träger wesentlicher Teile dieser komplexen gerichtlichen Abläufe. Selbst in der Schweiz, in der zwar ein Privatkonkurs möglich ist, der aber nicht zu einer Restschuldbefreiung führt, fand die Schuldenberatung ihren Platz als zentrale Akteurin bei der Antragstellung dieses Verfahrens und hat Zugriff auf Rechtszüge wie die vorübergehende Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, die eine Entschuldung erleichtert.
2.5 Schuldenberatung als Hilfe im Markt der Zahlungsstörungen
Die Soziale Arbeit und die Schuldenberatung versuchen die Betroffenen vor den Folgen der Verschuldung zu bewahren, die vom Gesellschaftssystem so vorgesehen, beabsichtigt oder sogar gewollt sind. Die Rechtsnormen lassen nicht nur die Verschuldung und deren wirtschaftliche Nachteile durch Ratenzahlungen, Zinsen und Kosten zu. Das Feld der Zahlungsstörungen und Zahlungsunfähigkeit wirtschaftlich bzw. gewinnbringend zu nutzen, ist in den nationalen Rechtssystemen ebenfalls erlaubt und gewollt. Vieles von dem, was die Situation der Verschuldungsbetroffenen zusätzlich erschwert, ist rechtlich explizit vorgesehen oder geduldet. So prägen vor allem die gewerblichen Akteur*innen der Inkassobranche, die aus der wirtschaftlichen Überforderung von Privathaushalte gewerblich und gewinnmaximierend profitieren, den Begriff der Zahlungsstörung – ein ästhetischer Versuch darzustellen, dass nicht die leichtfertige Vergabe von Schuldverpflichtungen, sondern nur einzelne individuelle Störungen der Rückzahlung von Schuldverpflichtungen problematisch sind. Insgesamt handelt es sich hier aber um ein wirtschaftliches Kalkül, die Konsumnachfrage, die Verschuldungsbereitschaft der Bevölkerung und deren Schulden nach ökonomischen Gesichtspunkten zu bewirtschaften. Als Korrektiv hierzu tritt Schuldenberatung in Erscheinung.
2.6 Schuldenberatung in einer verschuldungsgeleiteten Volkswirtschaft
Zuletzt sei die Funktionsweise der Verschuldung von Privatpersonen und Privathaushalten auch auf der Ebene der Volkswirtschaft analysiert. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist der Geldkreislauf zwischen Privathaushalten, Unternehmen und Staat ausgeglichen. Dabei tauschen Privathaushalte mit den Unternehmen Arbeitskraft gegen Geld und Geld gegen Güter und Dienstleistungen. Der Staat greift durch Besteuerung der Einkommen, Subventionen und Sozialleistungen ein, um den Geldkreislauf ausgeglichen zu halten (Blümle 1999).
In diesem Modell enthalten ist aber auch das Element Schulden, das die Akteur*innen des volkswirtschaftlichen Geldkreislaufes aufeinander abstimmt und aufrechterhält. Inwiefern Schulden im Verhältnis von Privathaushalten und Unternehmen reguliert sind oder dem freien Markt überlassen bleiben, liegt in der Verantwortung des Staates. Er entscheidet, welches Ausmaß und welche Formen der Verschuldung erlaubt und möglich sind, ob und wie überhöhter Verschuldung entgegengewirkt wird und inwiefern der Staat selbst mit dem Instrument Verschuldung auf Angebot und Nachfrage einer Volkswirtschaft Einfluss nehmen soll. So kam es in Deutschland, Österreich und der Schweiz in der zweiten Hälfte des vorangegangenen Jahrhunderts immer wieder zur Einflussnahme der Politik auf die Konsumnachfrage der privaten Haushalte. Hierbei ging es nicht nur um eine Steigerung des Lebensstandards durch Konsumgüter, es ging vielfach um die Schaffung von Arbeitsplätzen mit dem Ziel der Vollbeschäftigung. Diese Einflussnahme auf die Konsumnachfrage der privaten Haushalte erfolgte unter anderem durch eine Deregulierung des Konsumkreditbereichs der Kreditwirtschaft und vereinfachte Refinanzierungsmöglichkeiten bei den Zentralbanken. Drohte eine konjunkturelle Überhitzung und eine überhöhte Binnennachfrage der privaten Haushalte, wurde über die Steuerungsinstrumente der nationalen Zentralbanken und später auch durch die Europäische Zentralbank den negativen Trends entgegengewirkt (vgl. Mattes 2007: 131).
Mit anderen Worten: Verschuldung ist in einer arbeitsteiligen Gesellschaft ein zentrales Steuerungsinstrument des Staates, um Angebot und Nachfrage an Gütern und Dienstleistungen zu beeinflussen, volkswirtschaftliches Wachstum zu fördern und um konjunkturellen Schwankungen und Risiken entgegenzuwirken. Dazu gehört auch, dass der Staat selbst als Gläubiger*in auftritt, indem er Teile seiner Intervention und Steuerung über die Verschuldung der Haushalte und Unternehmen vornimmt, Folgen des Zahlungsverzugs gesetzlich reguliert oder dereguliert. Schulden wirken sich aber nicht nur auf abstrakte volkswirtschaftliche Geldkreisläufe aus. Sie treten in den Lebenslagen der Menschen in Erscheinung, die in der jeweiligen Gesellschaft ihren Alltag bewältigen, mit Benachteiligung konfrontiert oder im biographischen Verlauf Kritischen Lebensereignisse ausgesetzt sind. Letztlich verbleibt den privaten Haushalten ein individualisiertes Risiko, wie sie mit ihren Schulden umzugehen haben, nachdem der volkswirtschaftliche Effekt der gesteigerten Konsumnachfrage verpufft, das Geld ausgegeben und in Zeiten der Rezession und Arbeitslosigkeit die angehäuften Schulden noch weiter bestehen.
Schuldenberatung nimmt sich der Menschen an, die sich zwar volkswirtschaftlich korrekt als Konsument*innen und Kreditnehmer*innen verhalten, sozusagen der Kreditwirtschaft die Möglichkeit geben in ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Lohnarbeit zu investieren und das Arbeitseinkommen verzinslich vorzufinanzieren, im Einzelfall dadurch in Schwierigkeiten geraten. Bei Eintreten von Zahlungsstörungen benötigen die Betroffenen Hilfe und Unterstützung, um möglichst schnell wieder den Bedingungen der Volkswirtschaft zu entsprechen und Teil ökonomischer Geldkreisläufe sein zu können.
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