»Warum das? Gibt es etwas zu feiern?«, fragte Marie.
»Natürlich«, erwiderte Isabelle vergnügt. »Das Leben ist schön, besonders, wenn man seine beste Freundin nach langer Zeit wiedersieht und sie eine richtige Entscheidung getroffen hat. Aber ich weiß schon, du kannst oder willst nicht darüber reden, du freie Frau!«
Marie musste wider Willen lachen. Isabelle war wunderbar. Sie strahlte ihre eigene Heiterkeit aus und einen schier unermüdlichen Optimismus.
Der Kellner kam und stellte Brot, ein Töpfchen Butter und eine Karaffe Wasser auf den Tisch. Sobald er weg war, beugte Isabelle sich vor und rüttelte ihre Freundin am Arm. »Seit Januar wusste ich genau, dass es dieses Jahr Zeit war für deinen Schritt! Und du wusstest es auch, gib es zu.«
Marie runzelte die Stirn. Und das war das Nervende an Isabelle: dass sie im vergangen Jahr auf Esoterik gekommen war. Sie hatte diese verrückte Hellseherin entdeckt, die unschuldigen Opfern die Zukunft mit Karten auslegte oder sie mit einem Bleilot auspendeln wollte. Isabelle war so begeistert von der Frau gewesen, dass sie Marie einmal mitgeschleppt hatte, damit auch die in den Genuss einer Wahrsagung käme. »Was hat die Hellseherin dir noch einmal wörtlich gesagt?«, fragte Isabelle jetzt, vertraulich leise.
»Da kommt der Kir«, lenkte Marie ab.
Sie warteten, bis der Kellner wieder gegangen war. Dann prosteten sie sich zu und kosteten das erfrischende Getränk.
»He, du hast noch nicht auf meine Frage geantwortet«, griff Isabelle den Faden dann wieder auf. »Die Hellseherin hat dir gesagt, dass du bald dem Mann deines Lebens begegnen wirst!«
»Na, der lässt dann wohl auf sich warten, oder hast du ihn schon gesehen?«, fragte Marie ironisch. »Überhaupt, solche Sprüche kannst du in jedem Groschenmagazin nachlesen, findest du nicht? Du glaubst doch nicht wirklich an solche Prophezeiungen?«
»Hm, ich bin nicht ganz sicher. Weißt du, die Hellseherin hat mir schon Dinge vorhergesagt, die dann wirklich passiert sind.«
»Ah. Dass dein Freund dich einmal mehr betrogen hat?« Marie biss sich auf die Lippen. »Entschuldige. Das war gemein.«
Isabelle zog einen Flunsch. »Genau, das war es! Aber dafür wiederhole ich dir, was dir die Hellseherin geweissagt hat, sie sagte: Ich sehe einen Mann, der dich in Todesgefahr bringt, und ich sehe einen Mann, der dir gut tun wird. Dieser Mann stand dir immer schon nahe, auch wenn du ihn nie gesehen hast. Er wird dein Leben verändern, denn er ist deine Bestimmung. Siehst du? Ich habe nicht vergessen, was du mir damals erzählt hast! Und du hast es auch nicht …«
Verlegen sah Marie sich nach allen Seiten um. Hoffentlich hatte niemand den Unfug gehört! »Isabelle, das ist Blödsinn«, zischte sie. »Und zum Glück! Ich habe gar keine Lust darauf, einem Mann zu begegnen, der mich in Todesgefahr bringt.«
»Dafür kommt dann der andere, der dir gut tut und deine Bestimmung ist. Ich finde das nicht übel.«
Marie verdrehte die Augen, musste aber grinsen. »Es gibt übrigens wirklich einen neuen Mann in meinem Leben«, sagte sie verschwörerisch.
Isabelle riss die Augen auf.
»Ein Deutscher, mein neuer Nachbar. Um es dir aber gleich zu sagen: Der hat weder das Zeug zum Mann fürs Leben, noch zu einem, der mich in Lebensgefahr bringt. Wobei – ja doch! Heute hätte er mich fast umgefahren, als ich mit dem Rad unterwegs war …«
»Erzähl!«
»Dann mach dich auf das Schlimmste gefasst.«
Florian streckte die Beine unter dem Tisch aus. Das musste ein gutes Restaurant sein, die Terrasse war voll, und er hörte um sich nur Französisch: lauter Einheimische. Zum Glück hatte er einen der Tische am Rand der Terrasse erwischt, von dem aus er die Aussicht zum Meer hin genoss. Die Sonne stand noch immer hoch am Himmel und spiegelte sich auf dem stillen Wasser des Hafenbeckens; am Horizont zeichneten sich die Silhouetten der tour Vauban und der kleinen Kapelle ab. Im roten Wehrturm war er nicht gewesen, aber in der Kapelle. Dass die Engländer ihr den Turm abgeschossen hatten, 1697, hatte ihn weniger beeindruckt als die MG-Einschusslöcher im Dachgebälk. Das waren, dem Reiseführer nach, Spuren der Befreiung Camarets durch die Amerikaner.
Aber es war ein zu schöner Abend, um über den zweiten Weltkrieg nachzugrübeln und über das Tagebuch seiner Oma. Der Kellner kam und Florian gab seine Bestellung auf. Er hatte sich für die Meeresfrüchteplatte entschieden; so etwas war hier sogar erschwinglich.
»Am liebsten würde ich den Typ vergraulen, und zwar schnellstmöglich! Hast du keine Idee, wie ich das machen könnte?« Marie sah Isabelle flehentlich an.
»Nein, aber weißt du was? Ich bin froh, dass dieser neue Nachbar da ist.«
»Wie bitte?«
»Wie es scheint, lenkt der dich von deinem Kummer ab.«
»Wie meinst du das jetzt?«, fragte Marie verblüfft.
»Den ganzen Abend hast du nur über einen Mann gesprochen, und es ist nicht der, von dem ich gedacht hatte, eine Menge zu hören.«
»Hm. Vielleicht ist sogar etwas dran. Vielleicht habe ich heute wirklich weniger an – ihn gedacht …«
»Kannst du wirklich nicht einmal seinen Namen aussprechen?«
»Doch«, sagte Marie langsam, »heute Abend vielleicht schon. Sylvain.« Sie wartete, aber die gewohnten Tränen wollten nicht kommen. Also holte sie tief Luft und begann, erstmals einem anderen Menschen von ihrer Trennung zu erzählen.
Florian riss die Augen auf, als die Meeresfrüchteplatte vor ihn gestellt wurde. »This is for one person?«, hakte er beim Kellner nach und hob einen Finger. Der Kellner nickte, wünschte ihm »bon appétit« und ließ ihn mit der Pyramide von Meeresfrüchten allein. Na denn, sagte sich Florian und musterte die ungewohnten Bestecke, die neben der Meeresfrüchteplatte ihrer Benutzung harrten. Vorerst griff er dann doch zur herkömmlichen Gabel und pulte eine Miesmuschel aus ihrer Schale. Miesmuscheln hatte er schon gegessen, mit denen kam er klar; für den Hummer gab es die Schere, für die Austern das Messer und die Spießchen mussten für die Meeresschnecken sein. Er würde das schon in den Griff kriegen.
»Sag mal, du lachst doch nicht über meine Probleme?«, fragte Marie schroff ihre Freundin.
Isabelles Gesicht wurde ernst. »Blödsinn, ich lache doch gar nicht, und schon gar nicht über dich! Was denkst du! Ich habe jedes Wort über dich und den Dreckskerl gehört! Ich lache nur ein bisschen über den da. Dreh dich mal unauffällig um. Er sitzt schräg rechts hinter dir. Unauffällig!«
Marie tat es – und ließ die Gabel los, die in die Hummersauce fiel. »Oh nein!« stieß sie hervor, aber nicht wegen der Soßenspritzer auf ihrem T-Shirt.
Isabelle, die den Ausruf ihrer Freundin noch anders interpretierte, beteuerte nachdrücklich: »Doch, das ist es ja eben. Das macht der schon die ganze Zeit! Der hat von Meeresfrüchten keine Ahnung«, sie kicherte. Der Mann, den sie beobachtet hatte, kämpfte eben mit der Schere, die ihm helfen sollten, den Hummer zu bewältigen. Besonders geschickt war er aber nicht …
Marie beugte sich zu ihrer Freundin vor und zischte: »Das ist er!«
»Wer?«, fragte Isabelle laut zurück.
»Na er – der Panzerfahrer und Hortensienmörder!«, raunte Marie entnervt.
»Echt?« Isabelles Blick schoss noch einmal zu dem Mann hin. »Der sieht gar nicht aus wie ein Deutscher«, stellte sie fest.
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