So ist die unbeherrschte Wildnis für die meisten Menschen ein Ort der Angst und der Inakzeptanz. Zugvögel, die temporär in großen Massen auftreten, werden als abnormal wahrgenommen und als störend empfunden. Gänse, die auf ihrem Zugweg einen Mauserplatz aufsuchen und dort nach Nahrung suchen, werden zum Problem deklariert. Stare oder Krähen, die im Winter in Plantagen und Parks rasten, werden, da sie als kulturfremd wahrgenommen werden, nicht akzeptiert.
Die Bezeichnung Raubtier stammt aus diesem Denken. Obwohl ein in der freien Wildbahn lebendes Tier niemals raubt, sondern nur Nahrung in Form von Beute entnimmt, nehmen wir diese Tiere als Gegenspieler wahr. Während der Adel und die großen Landbesitzer schon früh daran arbeiteten, die großen, wild lebenden Fleischfresser zu dezimieren und zu kontrollieren, blieben Fuchs, Marder und Ratte für die Kleinviehhalter eine große Bedrohung.
Ein gesundes Dorfumfeld zeichnet sich durch tierbelebte Straßen aus.
Durch die naturwissenschaftliche Beobachtung der Ökologie und der Netzwerke des Lebens zeigte sich der wahre Wert von Wolf, Luchs und Wildkatze in unseren Ökosystemen. Naturschutzfachlich ist daher ein Besatz mit diesen Tieren aus vielen Gründen nötig und zwingend erforderlich.
Allerdings führte der gesellschaftliche Wandel zu einer komplett neu gestalteten Landbevölkerung. Das Jagdrecht wurde verbürgerlicht und einer breiten Masse zugänglich. Die Hirten und Hutetraditionen (Beweidung auf Weiden, die vormals Wald waren, der aber nicht gänzlich gerodet worden ist. Die Weiden sind von lichtem Baumbestand durchsetzt.) wurden wegrationalisiert und das Vieh dem Weidezaun überlassen. Der Mensch entfernte sich vom Land und hinterließ eine hochspezialisierte Landschaft mit wenigen Arbeitsplätzen. Die Zahl der Jäger ist größer als die Zahl der Hirten, und das, wo es doch mehr Vieh als Wild gibt. Das führt zu einem Denken, dass allen Bedrohungen des Viehbestands durch Wolf, Bär und Luchs nur durch die Jagd begegnet werden kann. Kleinviehhalter mussten schon immer ihren Viehbestand hegen und pflegen und nachts sichern, damit der Fuchs nicht die Gans holt, den Weidetierhaltern ist diese Form des Einpferchens und Eingralens verloren gegangen. In einer Landschaft, in der Hirten wieder ein erträgliches Arbeitsumfeld finden, indem Einkommen, Regelungen und Infrastruktur positiv auf diese Arbeit wirken, ist ein Nebeneinander von Mensch und Wildnis möglich.
Alle romantisierenden Gemälde mit arkadischen Motiven zeigen den Hirten als Vermittler zwischen Wildnis und Menschen, niemals jedoch Gewehre, Fallen und Giftköder.
Die Haltung von Kleinvieh löst viele Probleme der fehlenden Kulturlandschaftspflege und reintegriert die wertvollen Flächen in Kreisläufe.
KLEINVIEHHALTUNG: VOM BALKON BIS ZUM BAUERNHOF
Kleinviehhaltung liegt in unseren Genen. Kaum jemand kommt 2 oder 3 Generationen zurück, ohne dass nicht zumindest ein Vorfahr einen Stallhasen (Kaninchen) gehalten hat. Meist sind sogar richtige Rossbauern in den Vorfahren vertreten. Das Meerschweinchen, das die Kinder heute halten, ist nur ein kleines Trostpflaster für den unbewussten Verlust.
Zwar sind wir meist froh, wenn wir nicht mehr um 5 Uhr in den Stall müssen, damit wir gemolkene Kühe zurücklassen, wenn wir um halb 7 in den Berufsverkehr starten. Dennoch ist der Anblick von gesundem Weidevieh, von glücklichen Tieren auf dem Urlaubsbauernhof – oder gar der Urlaub in Rumänien in guten Weidelandschaften – sehr befriedigend und spricht längst verborgene Instinkte an. Daher sollte man versuchen, in allen Lebens- und Wohnlagen zumindest ein Mindestmaß an tierischer Selbstversorgung zu ermöglichen.
KLEINVIEHHALTUNG AUF DEM LAND
Auf dem Land, also in den Dorf- und Mischgebieten der Dörfer und auf den alten Hofstellen ist die Tierhaltung meist gar kein Problem. Zwar ist es oft schwierig, angrenzende Weiden zu finden oder überhaupt Grünland zu pachten. Dennoch ist es möglich, einen leerstehenden Stall zu finden, eine Obstwiese zu pachten oder in einem kleinen Hof unterzukommen.
In den Neubaugebieten gibt es leider zunehmend Regelungen, die das Halten von Haus- und Nutztieren einschränken oder gar verbieten. Nach dem Einholen von Informationen sollte man dann noch von Fall zu Fall erörtern, inwiefern nicht doch ein paar Zwerghühner, drei Laufenten oder ein paar Kaninchen den Garten beleben können.
Beim Aufstellen eines neuen Bebauungsplanes sollte man die Gemeinde dahingehend aufmerksam machen, dass das Halten von Haus- und Nutztieren mit in den Plan aufgenommen wird und somit im neuen Baugebiet erlaubt ist.
Gänse halten den Bewuchs auch da kurz, wo Schafe und Ziegen nicht unbeaufsichtigt weiden können.
Die natürliche Nutzung eines Feuchtgebietes erhält Funktionen und Strukturen. Sie spart Kosten in der naturschutzfachlichen Pflege und wird auch in Notzeiten nicht eingespart. Denn die Hirten wissen, dass sie diesem Biotop die Vitalität ihres Viehs verdanken.
INFO! Bebauungsplan anpassen
Fordern Sie Ihre Gemeindeverwaltung auf, im Rahmen einer Neuausweisung von Baugebieten die Rahmenbedingungen für eine Kleinviehhaltung im Sinne der ökologischen und nachhaltigen Dorf- und Stadtentwicklung zu ermöglichen. Diese Forderung lässt sich im Einklang mit den Zielen „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ und „Artenschutz“ der vereinten Nationen bringen und unterstützt diverse Förderprogramme für mehr Natur im Siedlungsbereich.
KLEINVIEHHALTUNG IN DER STADT
In der Stadt gilt das Gleiche wie für Neubaugebiete und Wohngebiete in den Dörfern. Der Gartenplatz beschränkt die Anschaffung von Tieren und die Vorschriften und Akzeptanz im Wohnumfeld regeln den Rest.
Sollte man nur eine Wohnung zur Verfügung haben, so ist der Platz auf dem Balkon meist zu klein und Mietverträge reglementieren die Haltung sehr deutlich.
Das Tierhalten in Schreber- und Gemeinschaftsgärten mag hier eine Alternative sein, die neben dem Vorteil der Arbeitsteilung oft auch den Nachteil der ungewünschten Fütterung oder des Diebstahls mit sich bringt.
KLEINVIEHHALTUNG IM INDUSTRIEGEBIET
Für Gartenlose lohnt sich die Überlegung, ob sich auf dem Betriebsgelände des Arbeitgebers nicht ein Projekt zur Förderung der regionalen Ernährung starten lässt. Von Tomaten entlang der Firmenhalle bis hin zum kleinen Hühnerhof. Das Engagement der Mitarbeiter ist gewünscht und führt zu einem besseren Betriebsklima. Die Beweidung der Grünflächen und der Baulandreserve eröffnet bald neue Möglichkeiten und schon ist man in der Lage, das gesamte Industriegebiet ringsum zu beweiden.
Tierhaltungskonzepte für Industriegebiete werden im Rahmen von CSR-Maßnahmen (corporate social responsibility/soziale Verantwortung des Unternehmens) und für das betriebliche Gesundheits- und Umweltmanagement zunehmend von großer Bedeutung sein.
Eine beliebte Abnahmequelle für die Produkte ist die Betriebskantine und ein gemeinschaftlicher Kühlschrank/Tauschtisch, der die Arbeit für alle schmeckbar macht.
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