VII. Erteilung des Zeugnisses
1. Allgemeines
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Spätestens mit Ablauf der Bearbeitungszeit (siehe Rn. 137) ist das Zeugnis zu erteilen.
Wegen der Bedeutung des qualifizierten Zeugnisses für das berufliche Fortkommen wird es vom Arbeitgeber durchweg erteilt, auch wenn der Arbeitnehmer ein Zeugnis ohne nähere Spezifizierung beantragt (sich also nicht äußert, ob das Zeugnis ein einfaches oder qualifiziertes sein soll, bzw. wenn er ein „ ordentliches Zeugnis “165 haben will oder schlicht beantragt, die „Papiere fertigzumachen“166). Viele Firmen stellen das qualifizierte Zeugnis sogar aus, ohne den Antrag abzuwarten!
Wieviel Arbeitszeugnisse werden jährlich erteilt?
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Eine genaue Herleitung ist nicht möglich, daher nur der Versuch einer Annäherung:
Wenn unterstellt wird, dass mit jeder Kündigung auch ein (End-)Arbeitszeugnis im Zusammenhang steht und dass bei schätzungsweise 11 bis 15 % aller Kündigungen prozessiert wird,167 dann kann bei fast 180.000 arbeitsgerichtlichen Klagen wegen Kündigungen168 deren Gesamtzahl und damit auch die Zahl der Arbeitszeugnisse auf 1,6 Millionen hochgerechnet werden. Hinzuzurechnen wären die unbekannten Zahlen für Zeugnisse bei (sehr zahlreich eingeschätzten) Eigenkündigungen, für vorläufige Zeugnisse und für Zwischenzeugnisse sowie für Aufhebungs- oder Abwicklungsverträge, deren Inhalte ebenfalls Zeugnisse umfassen können – das alles wird vermutlich zu einer einzuschätzenden Größenordnung von rund 3 Millionen Zeugnissen pro Jahr führen;169 ein insgesamt sicherlich beachtlicher Zeit- und Arbeitsaufwand, der aber gerechtfertigt ist angesichts der Bedeutung des Zeugnisses für den einzelnen Arbeitnehmer.
2. Zeugnis beim Aufhebungs- und Abwicklungsvertrag
Zeugnis beim Aufhebungsvertrag
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Bei einem Aufhebungsvertrag ist es zweckmäßig, den Zeugnisinhalt bereits im Vertrag festzulegen, um nachträglich Streitigkeiten zu vermeiden, oder den Vertrag erst nach Vorlage des Zeugnisses zu unterschreiben.170
Zeugnis beim Abwicklungsvertrag
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Beim Abwicklungsvertrag etwa mit Verzicht auf Erhebung der Kündigungsschutzklage gegen Erteilung eines Zeugnisses ist wegen der (nur) 3-wöchigen Klagefrist Eile geboten, d.h. vor Ablauf dieser Klagefrist muss Einigung erzielt sein über den Inhalt des Zeugnisses.
Exkurs: Abwicklungsvertrag, § 307 BGB und das Zeugnis
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Ist der Abwicklungsvertrag (formularmäßig) vom Arbeitgeber vorformuliert, so kommt es gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB auf die arbeitgeberseitige Gegenleistung an, ob dem vorgesehenen Klageverzicht eine angemessene Kompensation gegenübersteht – ein Klageverzicht ohne Kompensation ist unangemessen im Sinne von § 307 BGB171 und damit unwirksam. Eine Kompensation liegt vor, wenn der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf diese (angemessene) Gegenleistung hat, wenn er also etwas (zusätzlich) erhält, was er ohne diesen Klageverzicht nicht erhalten hätte.
• Die Verwendung der kompletten Schlussformel im Zeugnis wird als ausreichende Gegenleistung angesehen172 (denn auf diese Floskel besteht laut BAG kein Anspruch, siehe Rn. 354ff.).
• Steht dem Arbeitnehmer nur ein durchschnittliches Zeugnis zu und erhält er als Gegenleistung ein gutes Zeugnis (auf das er keinen Anspruch hätte), dann stellt das keine ausreichende Kompensation dar.173 Denn mit der Verpflichtung, ein Zeugnis zu erteilen, erfüllt der Arbeitgeber lediglich den gesetzlichen Anspruch des Arbeitnehmers. Eine Verpflichtung, ein objektiv unzutreffendes, nämlich „zu gutes“ Zeugnis zu erteilen, stellt wegen Verstoßes gegen das Wahrheitsgebot ebenfalls keinen angemessenen Vorteil für den Arbeitnehmer dar.
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Also:
Die Absprache, ein Zeugnis zu erteilen, bringt im Rahmen des § 307 BGB nichts:
Entweder wird nur der gesetzliche Anspruch erfüllt,
oder das Zeugnis ist unzutreffend und schon deshalb keine angemessene Gegenleistung.
3. Zeugnis bei Kündigung und Kündigungsschutzklage
Ist das Beschäftigungsverhältnis gekündigt, so ist zu klären, welche Art des qualifizierten Zeugnisses zu welchem Zeitpunkt zu erteilen ist.
– Zusammenfassend –
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Das Zwischenzeugnis scheidet in jedem Falle aus, da es ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis voraussetzt (siehe Rn. 527). In Betracht kommen daher nur das vorläufige oder das endgültige Zeugnis.
a) Kündigung ohne anschließende Klage
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• Wird der Arbeitnehmer nach erfolgter Kündigung nicht mehr beschäftigt (z.B. beurlaubt oder von der Arbeit freigestellt) und scheidet er damit faktisch aus dem Betrieb aus, so kann er zu diesem Zeitpunkt das endgültige Zeugnis verlangen.174 Im Zeugnis sind Leistung und Führung abschließend beurteilbar; zum Datum der Zeugnisausstellung siehe Rn. 481.Bewerbung während der Freistellung
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Will sich der Arbeitnehmer während seiner Freistellung bewerben, kann er das endgültige Zeugnis vorlegen, aus dem aber die Freistellung zu erkennen ist (was nicht immer förderlich sein mag). Die Zeugnispraxis hilft sich in solchen Fällen nicht selten mit einem „Zwischenzeugnis“, um dann am Ende des Beschäftigungsverhältnisses im Wesentlichen wortgleich das endgültige Zeugnis zu erteilen; das ist nicht nur unnötige Arbeit, sondern auch falsch, denn das „Zwischenzeugnis“ suggeriert ein ungekündigtes Beschäftigungsverhältnis (was aber vom Arbeitnehmer bei seinen Bewerbungen als sehr vorteilhaft gesehen wird!).
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• Wird er hingegen nach erfolgter Kündigung weiterbeschäftigt, so können seine Leistung und Führung in diesem weiteren Zeitraum für das Zeugnis noch maßgebend sein, also entfällt das endgültige Zeugnis im Zeitpunkt der Kündigungserklärung, vielmehr kann er jetzt ein vorläufiges Zeugnis verlangen (siehe dazu Rn. 519ff.).
b) Kündigung mit anschließender Klage
Vorweg:
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Das Zeugnisverlangen bedeutet keine Zustimmung zur Kündigung, und der Arbeitnehmer handelt auch nicht widersprüchlich, wenn er trotz Kündigungsschutzklage ein Zeugnis verlangt und damit eigentlich von der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ausgeht – aber ihm muss angesichts der Ungewissheit über den Ausgang des Prozesses die Chance eingeräumt werden, sich rein vorsorglich und rechtzeitig um einen anderen Arbeitsplatz zu bewerben (siehe auch § 629 BGB), was nur sinnvoll mit einem Zeugnis ist.
Ein gekündigter Arbeitnehmer
„ ist gehalten, sich um eine neue Beschäftigung zu bemühen, selbst wenn er die Kündigung für unwirksam hält und mit einer Kündigungsschutzklage angreift (§ 615 Satz 2 BGB sowie §§ 11 und 12 KSchG). Diesen Zweck kann ... nur ein Zeugnis erfüllen “.175
aa) Beendigung der Tätigkeit
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Ist die Tätigkeit beendet und läuft noch der Kündigungsschutzprozess, so kann der Arbeitgeber die Erteilung des endgültigen Zeugnisses nicht mit der Begründung verweigern, über seine Kündigung sei noch nicht rechtskräftig entschieden, und daher käme kein Zeugnis, allenfalls ein Zwischenzeugnis in Betracht – das wäre widersprüchlich , denn der Arbeitgeber verhält sich so, wie wenn der Arbeitnehmer weiterbeschäftigt wird, und dies widerspricht seiner eigenen Kündigung, denn er geht ja mit seiner Kündigung davon aus, dass das Arbeitsverhältnis beendet ist (und dann kommt nur das Endzeugnis in Betracht); er würde sich auf die Unwirksamkeit seiner eigenen Kündigung berufen, dann müsste er die Kündigung gleichzeitig zurückzunehmen, um nicht widersprüchlich zu handeln!176
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