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IV. Arten der Beschäftigungsverhältnisse
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Bei den verschiedenen Arten von typischen und atypischen Beschäftigungsverhältnissen ist es zeugnisrechtlich unerheblich, ob das Beschäftigungsverhältnis auf Vertrag beruht oder auf gesetzlicher Fiktion wie z.B. § 625 BGB, § 15 TzBfG, § 24 BBiG.
1. Dauerhafte Beschäftigung?
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Die Dauer der Beschäftigung spielt keine Rolle für das Zeugnis. Auch kurze Beschäftigungszeiten befreien nicht von der Pflicht, ein Zeugnis zu erteilen, jedenfalls als einfaches Zeugnis.
Ob ein qualifiziertes Zeugnis verlangt werden kann, ist bei kurzfristiger Tätigkeit fraglich – ob schon wenige Wochen zur Beurteilung ausreichen?93 Nach wenigen Wochen könnte das Verlangen nach Beurteilung als Rechtsmissbrauch zurückgewiesen werden,94 da über einen derart kurzen Beurteilungszeitraum überhaupt keine sinnvolle Bewertung möglich ist.
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Dem Zeugnisaussteller ist jedoch zu empfehlen, bei sehr kurzen Beschäftigungszeiten nicht mit „Rechtsmissbrauch“ zu argumentieren und nicht die Beurteilung abzulehnen, sondern (um prozessual auf der sicheren Seite zu stehen) vielmehr die Beurteilung abzugeben, aber mit dem Vorbehalt zu versehen, dass die Zuverlässigkeit des Urteils angesichts des kurzen Beurteilungszeitraums eingeschränkt sei.
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Eine ausreichende Beschäftigungsdauer für ein aussagekräftiges Zeugnis dürfte am Ende der üblichen Probezeit, also nach 6 Monaten vorliegen (siehe Rn. 314).
Jede Beschäftigung, die kürzer als 6 Monateist, sollte mit dem Vorbehalt versehen werden.
2. „Dauerndes“ Beschäftigungsverhältnis (§ 630 BGB)
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Als einzige Zeugnisvorschrift verlangt § 630 BGB, dass es sich um ein „ dauerndes “ Dienstverhältnis handeln muss.
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Schon das Reichsgericht entschied, dass „Tagelöhner“ oder wöchentlich und ähnlich kurz Kündbare in keinem dauernden Arbeitsverhältnis stünden.95 Als das BGB und damit § 630 in Kraft traten, bestand die Meinung, solche Personen sollten vom Zeugnisanspruch ausgeschlossen werden wegen angeblich zu großer Belästigung für den Dienstgeber.
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Der BGH96 meint, die Verpflichtung „ für ständige oder langfristige Aufgaben “ weise auf ein dauerndes Dienstverhältnis hin im Gegensatz etwa zu Urlaubs- oder Krankheitsvertretung, Aushilfe bei besonderem Arbeitsanfall oder Mitwirkung bei einer einmaligen Veranstaltung.
Bei dem unter § 630 BGB fallenden Personenkreis (siehe Rn. 84) wird deren Beschäftigungsverhältnis normalerweise stets längere Zeit dauern bzw. angelegt sein, so dass dieses Zeitproblem praktisch keine Rolle spielen wird und daher ein Zeugnis nach § 630 BGB zu erteilen ist.
3. Probearbeitsverhältnis
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Es ist zwar beim Probearbeitsverhältnis zu unterscheiden, ob es sich um ein unbefristetes Arbeitsverhältnis mit vorgeschalteter Probezeit (was in der Regel vorliegt) oder um ein befristetes Probearbeitsverhältnis handelt – zeugnisrelevant sind diese Unterschiede jedoch nicht. Wird das Arbeitsverhältnis nicht über die Probezeit hinaus fortgesetzt, so besteht Anspruch auf ein Zeugnis; war die Probezeit sehr kurz, so gilt das oben bei Rn. 108 Gesagte hinsichtlich des Vorbehalts entsprechend.
(Siehe speziell Rn. 388).
4. Besondere Beschäftigungsverhältnisse
a) Einfühlungsverhältnis
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Keine Zeugnispflicht besteht beim Einfühlungsverhältnis, da der „Einfühlende“ keine Arbeitspflichten übernimmt, er untersteht nicht dem Direktionsrecht des Arbeitgebers (nur seinem Hausrecht) und erhält keine Vergütung; es liegt ein ganz loses Rechtsverhältnis eigener Art vor;97 allenfalls wird ihm eine Bescheinigung über die Dauer dieses Rechtsverhältnisses gegeben.
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Nur das einfache Zeugnis kommt in Betracht beim Anlernverhältnis; die Beurteilung entfällt, da sich hierbei ausschließlich der Arbeitnehmer auf seine künftige Arbeit vorbereitet hat ohne Überprüfung durch den Arbeitgeber.
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Geht es jedoch bei diesem Anlernvertrag um eine Ausbildung für einen anerkannten Ausbildungsberuf, so ist dieser Vertrag nichtig98 (§ 4 Abs. 2 BBiG i.V.m. § 134 BGB), da die Ausbildung nur nach dem BBiG erfolgen darf. Es bestand dann aber ein faktisches Arbeitsverhältnis, bei dem ein Zeugnis in Betracht kommt.
c) Spezielle Arbeitsformen
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Der Zeugnisanspruch besteht bei Beschäftigungsverhältnissen unabhängig von deren inhaltlichen Ausgestaltung, so z.B.
• bei Beschäftigungen nach dem TzBfG (befristet Beschäftigte oder Teilzeit-Beschäftigte, zu denen auch geringfügig Beschäftige zählen wie die 450 €-Minijobber),
• bei Beschäftigungen im Nebenberuf,
• beim faktischen Arbeitsverhältnis (siehe Rn. 198),
• bei der Leiharbeit (siehe Rn. 585ff.).
d) Flexible Arbeitsformen
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Der digitale Wandel in der Arbeitswelt ermöglicht flexible Arbeitsformen. Zeugnisrelevant ist vor allem die Flexibilisierung des Arbeitsorts; so ist es nicht mehr zwingend, an einem festen Arbeitsplatz in der Betriebsstätte des Arbeitgebers die Arbeitsleistung zu erbringen, vielmehr sind auswärtige Arbeitsplätze möglich, sei es zu Hause (am Telearbeitsplatz, im Homeoffice oder in der Heimarbeit) oder unterwegs an jedem denkbaren, vom Arbeitnehmer gewählten Arbeitsplatz (mobiles Arbeiten).
Unabhängig vom Arbeitsplatz bleiben sie Betriebsangehörige als Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnliche Person und können ein Zeugnis verlangen, jedenfalls als einfaches Zeugnis – zur Problematik der Beurteilung des Verhaltens siehe Rn. 338.
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Beim Crowdworker hängt es von der Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls ab, ob ein Arbeitsverhältnis vorliegt99 oder ob er (ohne Zeugnis) als Selbständiger (im Werkvertrag) gesehen wird.100
e) Gruppenarbeitsverhältnis
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Bei diesem Beschäftigungsverhältnis, bei dem mehrere Personen in gemeinsamer Tätigkeit eine bestimmte Arbeit verrichten, ist zu unterschieden:
• Bei einer Betriebsgruppe (Teamarbeit, wie z.B. bei einer Montagekolonne, Akkordgruppe oder einem gemeinsamen Forschungsvorhaben – siehe auch § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG) kommt ein Zeugnis in Betracht, wobei aber die jeweilige Einzelleistung innerhalb der Gruppe, isoliert für sich betrachtet, von außerhalb der Gruppe Stehenden kaum beurteilt werden kann, da der Anteil an der Gesamtleistung durchweg nicht klar von außen ersichtlich ist. Hier muss der Gruppenleiter bei der Beurteilung mitwirken.
• Bei einer „Eigengruppe“, bei der die Mitglieder untereinander nicht arbeitsrechtlich, sondern gesellschaftsrechtlich verbunden sind (z.B. Artistengruppe, Musikkapelle), steht die Gruppe als solche eventuell in einem Arbeitsverhältnis, nicht das einzelne Gruppenmitglied, so dass ein Zeugnis ausscheidet.101
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Wird in Gruppen nach der sogenannten Scrum -Methode als besondere Form agiler Tätigkeit gearbeitet, so kann nach Meinung des ArbG Lübeck102 sogar ein qualifiziertes Arbeitszeugnis erteilt werden.
Aber:
Der Arbeitgeber verzichtet auf fachliche Weisungen, fachliche Vorgesetzte gibt es nicht, vielmehr bestehen in der hierarchielosen Struktur Eigenverantwortung sowie Entscheidungsfreiheit der Team-Mitglieder, und das Gruppenergebnis steht im Vordergrund; es ist kein Raum, die individuelle Leistung des einzelnen Teammitglieds zu messen.
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