Die unterschiedlichen Standorte lassen sich also wirtschaftlich, geografisch, politisch, als Cluster oder anhand von anderen Kriterien erfassen und beschreiben. Der Blickwinkel der Zielgruppen entscheidet, welches Gebiet im Einzelfall als Standort betrachtet wird. Standorte sollten von außen ein homogenes und konsistentes Bild in der Vorstellung der jeweiligen Kunden/Stakeholder erzeugen und ein profiliertes Image aufweisen, um die relevanten Zielgruppen ansprechen zu können und sich von anderen Standorten deutlich zu differenzieren. Standorte können sich geografisch auch überlagern, wie z. B. im Fall von Bonn, der Region Köln-Bonn, der Metropolregion Rheinland, NRW, Deutschland und der EU. Auch Reiseziele können sich geografisch überlagern, wie z. B. die Messe Köln oder der Kölner Dom, welche gleichzeitig in der Stadt Köln, im Rheinland und in Deutschland liegen (
Abb. 2-3).
Auf den unterschiedlichen Ebenen werden meist verschiedene Images gepflegt/vermittelt, ähnlich wie dies z. B. von Einzel-, Familien- oder Dachmarken der Unternehmen bekannt ist. So kommt es trotz sich überlagernder Regionen mit eigenen Marketinganstrengungen zu keiner ineffizienten Doppelvermarktung und es können regional, national oder international unterschiedliche Zielgruppen mit jeweils differenzierten Angeboten angesprochen werden. Dieser Wettbewerb erfordert eine gute Kenntnis der Kunden/Zielgruppen und ihres Wahlverhaltens. Mittels eines professionellen Stakeholdermarketings (360-Grad-Marketing) und einer klaren Positionierung lässt sich die Basis für den Erfolg legen.
Lokal oder regional sehr verhaftete Unternehmer oder Gründer werden auch nur Details der Standorte in der örtlichen oder regionalen Umgebung wahrnehmen bzw. als relevant betrachten (
Abb. 2-3). Detailausprägungen einer entfernten Region oder gar eines anderen Landes als potenzieller Standort werden kaum wahrgenommen und bewertet. So wird ein Unternehmer aus Bonn ggf. im »Bonner
Abb. 2-3: Wahrnehmung naher und entfernter Ziel-/Standorte (Quelle: Nach Wiesner 2013, S. 21)
Bogen« oder am Flughafen Köln-Bonn investieren, aber von den Bedingungen in Bayern oder der Schweiz keine Detailvorstellungen haben, da ihn dortige Standorte nicht interessieren.
Auch erholungssuchende Menschen suchen häufig zunächst im engen Umfeld nach Attraktionen oder Orten für kleine Fluchten aus dem Alltag oder Wochenendausflüge, bevor sie an entferntere Destinationen denken und diese eher bei ausgedehnteren Urlauben aufsuchen. Salzburg, Davos, Timmendorfer Strand oder Bonn sind zweifelsohne touristische Zielorte, aber genauso beliebt als Tagungs- und Kongressdestinationen. Die Motive für Reisen in solche Orte können sowohl privater als auch geschäftlicher Natur oder eine Kombination aus beidem sein. Messe- oder Kongressreisen haben häufig einen geschäftlichen, gelegentlich aber auch zusätzlich einen privaten Anlass. Gelegentlich kommt es vor, dass Geschäftsreisen eigentlich private Anlässe haben und so die Reisenden das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Weniger erfahrene Reisende werden ihnen bekannte Zielorte eher unbekannten Fernzielen vorziehen.
Je (international) erfahrener ein Standortsuchender ist, desto eher nimmt er auch im Ausland Standortbedingungen wahr, da sich sein Blickwinkel durch Erfahrungen und Detailkenntnisse verändert (
Abb. 2-4). Doch je weiter potenzielle Interessenten von einem Standort entfernt sind, desto weniger nehmen sie kleinere Standorte oder deren Details wahr. Ein Interessent aus den USA, Indien oder China wird wohl kaum den Main-Tauber-Kreis als potenziellen Standort zur Investition wahrnehmen, aber vielleicht die größere Region Heilbronn-Franken, eher noch das Bundesland Baden-Württemberg und ganz sicher die Bundesrepublik Deutschland. Bei geringen Detailkenntnissen ist vielleicht zunächst nur die EU als potenzieller Standort interessant, bevor sich später eine Detailsuche in den Mitgliedsstaaten anschließt.
Abb. 2-4: Erfahrungen verändern Blickwinkel und Ziel(gebiets)kenntnisse (Quelle: Nach Wiesner 2013, S.22)
Standorte sind keine homogenen Leistungsangebote, die in standardisierter Form dargeboten werden können, denn sie sind tatsächlich sehr verschieden: Hafen-, Industrie- oder Behördenstadt, Tourismusregion oder Gesundheitsort, Metropolregion, Logistikstandort am Autobahnkreuz oder ein Geschäftsquartier. Nicht jeder Standort verfügt über eine handlungsfähige Verwaltung oder Organisation, die im Zusammenwirken mit Volksvertretungen und interessierten Bürgern den Standort gestalten und (re-)präsentieren. An allen Standorten findet eine Wertschöpfung statt, für die die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen sind (
Abb. 2-5).
Abb. 2-5: Standortfunktionen mit Profilbildungspotenzial (Quelle: Nach Wiesner 2013, S. 25)
Standorte im Sinne dieses Buches sollten grundsätzlich in der Lage sein, attraktive Potenziale zu bieten und Standortbedingungen zu beeinflussen, daher dürfen sie nicht zu klein sein und die dortigen Entscheidungsträger müssen über entsprechende (politische) Befugnisse verfügen. Abbildung 2-6 veranschaulicht, dass sich meist nicht alle Rahmenbedingungen bzw. Attraktivitätskriterien durch einen Standort wie eine Stadt oder Region allein festlegen lassen. In Deutschland, Österreich und auch der Schweiz werden die Rahmenbedingungen der örtlichen Standorte in unterschiedlicher Intensität durch die EU bzw. den EWR sowie die nationale Ebene vorgegeben bzw. beeinflusst.
Traditionell sind es staatliche Institutionen, die sich um die Attraktivität und Vermarktung von Standorten kümmern bzw. entsprechende Rahmenbedingungen setzen. Die EU und die mit ihr verbundenen Staaten des EWR harmonisieren die grundlegenden rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in fast ganz Europa und setzen damit häufig auch weltweite Standards. Die EU betreibt auch eine ausgleichende Strukturpolitik und Regionalentwicklung. So werden Regionen/Städte u. a. von der EU-Kommission finanziell bei der Schaffung örtlicher bzw. regionaler Infrastrukturen und Vermarktungsaktivitäten gefördert (
Abb. 2-6).
Abb. 2-6: Verantwortlichkeiten für die Rahmenbedingungen und Attraktivität der Standorte (Quelle: Nach Wiesner 2013, S. 20)
Nationale Regierungen und Verwaltungen setzen die wesentlichen Rahmenbedingungen: Rechts-, Wirtschafts- und Sozialordnung, Geldwertstabilität, Steuersystem, Garantie persönlicher und wirtschaftlicher Sicherheit, Arbeitsvorschriften, Infrastrukturen, Förderungen, Struktur- und Finanzausgleich. Diese sollen ausgewogene Verhältnisse im ganzen Land schaffen. Bei den Gebühren, Zollvergünstigungen, Sozialabgaben, direkten und indirekten Subventionen, Abschreibungsmöglichkeiten, Energie- und Kommunikationskosten handelt es sich um kostenrelevante, also »harte« Standortfaktoren. Auch Bundesländer/Kantone gestalten einige der relevanten Bedingungen z. B. durch ihre Bildungs- und Kulturpolitik, Regionalplanungen, das Baurecht und die Infrastrukturen, Investitions- und Finanzierungshilfen oder Abgaben – sie setzen den Rahmen für Forschung, Aus- und Weiterbildung, schnelles Internet oder Sicherheit (
Abb. 2-6).
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