Unsere Aufgabe ist also, wieder hören zu lernen. Wir können den Hörsinn wieder aufbauen, indem wir die akustische Ortung und Verarbeitung der Hörinformationen im Gehirn trainieren . Hierfür müssen wir nichts nachwachsen lassen oder ersetzen. Die Hardware beziehungsweise die physischen Komponenten unseres Hörsinns sind, wie sie eben gerade sind. Unsere Aufgabe ist, diese vorhandene Hardware wieder vollständig und korrekt zu nutzen. Wie und warum das geht, ist mit seinen verschiedenen Aspekten in diesem Buch erklärt, eine genaue Anleitung für das Training finden Sie in Kapitel I.5 (Das MUNDUS-Basisverfahren zur Hörregeneration®), weitere ergänzende und stärkende Übungen in den folgenden Kapiteln.
Auf Altbewährtes setzen – Unsere Steuerung
Die gesamte Wahrnehmung unserer individuellen Welt, sowohl der Welt »da draußen« als auch der in unserem Inneren, ist immer geprägt von unserem Bewusstsein. Das ist die Instanz in uns, die wahrnimmt, vergleicht und unterscheidet. Immer lernen wir dabei oder greifen auf bereits Erlerntes zurück. Dabei ist die Verarbeitung von bereits bekannten und sich wiederholenden Informationen automatisiert und bedarf kaum unserer Aufmerksamkeit, wie zum Beispiel das Schalten der Gänge beim Autofahren. Haben wir es einmal erlernt und oft genug wiederholt, können wir es nebenbei ausführen, ohne darüber nachzudenken.
Im Vorgang des Lernens werden überlastende Informationen und Schwierigkeiten ganz oder teilweise ausgeklammert, zum Beispiel wenn wir als kleine Kinder gerade dabei sind, lesen zu lernen und dabei unter enormen Druck gesetzt oder sogar abgewertet werden (Du bist aber langsam! Du lernst das nie!). Das, was für unser Erleben zu viel ist, wird in einen Bereich unseres Bewusstseins eingeordnet, der nicht mehr unmittelbar zugänglich ist, das sogenannte Unterbewusstsein.
Grundsätzlich sind wir für den Lernprozess bestens ausgestattet. Wir tragen dafür ausgereifte Strukturen in uns, die sich im Laufe der Evolution über Millionen von Jahren entwickelt und bewährt haben. Diese Fähigkeit zu lernen ist wunderbar geeignet, sich auf Veränderungen einzustellen, sich anzupassen und sich selbst zu regulieren.
Alles, was wir heute beherrschen – sowohl als Menschheit insgesamt wie auch als individuelle Wesen –, konnten wir nicht auf Anhieb. Schauen wir ein Kind an, das gerade die ersten Schritte gehen möchte. Wie viele Stufen müssen gemeistert werden, wie oft fällt es hin und steht immer wieder auf? So lange, bis es die feine Regulation und Ausrichtung und gezielte Steuerung der einzelnen Muskeln gelernt hat, um gehen zu können. Ähnlich verhält es sich mit dem Hören.
Wir kommen in der Regel mit einem sehr feinen Gehör zur Welt, müssen jedoch die Verarbeitung und Zuordnung der Geräusche erst erlernen. Das machen Kinder ganz automatisch. Und wie? Mit einem ihrer Lieblingsspiele zum Beispiel: Verstecken! Dies ist nebenbei bemerkt schon eine sehr gute Übung auch für Erwachsene …
ÜBUNG: VERSTECKEN SPIELEN
Diese Übung macht richtig Spaß und kann bei jedem Wetter drinnen oder draußen gespielt werden: »Wo bist du? Ich höre dich – ich komme!« So lernt man spielerisch, Geräusche im Raum zu orten. Eine Auflistung aller Übungen mit einigen Hinweisen finden Sie im Anhang.
Haben wir eine Fähigkeit »verloren« oder haben wir etwas bisher überhaupt noch nicht gelernt, können wir uns das wieder aneignen, Schritt für Schritt. Wir können trainieren. Entscheidend ist hier ein folgerichtiges Vorgehen, das in aufeinanderfolgenden und aufeinander aufbauenden Schritten die gewünschte Fähigkeit entwickelt.
Das Training ist einer der Schlüssel für die Arbeit an der Regeneration unseres Hörsinns. Sie denken jetzt vielleicht: »Ich höre doch ständig, dann bin ich doch auch immer im Training?« Nein. Wenn wir nicht mehr gut hören, sind wir nicht im Training, sondern in der Belastung .
Ein Beispiel: Wenn ich mir meinen Rücken verrenkt habe oder mit der Zeit aus meiner Mitte gekommen bin, entsteht Schmerz. Es tut weh – dem versuche ich auszuweichen und stehe durch diese Schonhaltung oft noch schiefer in der Welt. Nun sage ich mir: »Ich muss trotzdem etwas tun und meinen Körper trainieren, laufen gehen, joggen, rennen.« Schreite ich vom Vorsatz zur Tat, dann ist das in Wirklichkeit eine Belastung, weil mein System das Training gar nicht umsetzen kann. Erst wenn mein Rücken wieder eingerenkt ist, wenn ich wieder in meine Mitte, in meine Balance gefunden habe, ist es sinnvoll, spazieren zu gehen oder zu joggen. Dann tut es meinem Körper gut und stärkt ihn.
Beispiel für die Folgen einer Schonhaltung. Vertikale Achse: Der Kopf ist nach rechts verschoben. Die rechte Schulter hängt, dadurch ist der Oberkörper insgesamt verschoben und in Spannung (Schulterblätter und Arme sind nicht auf gleicher Höhe). Die 34-jährige Mutter von 3 Kindern hat oft Rückenschmerzen und Verspannungen. Wahrscheinlich erfolgte dadurch eine Verstärkung des beidseitigen Tinnitus und der Hörschwäche .
Tinnitus: allgemeine Bezeichnung für subjektiv wahrgenommenes Rauschen, Klingeln und Pfeifen aller Art in den Ohren (lat. tinnitus [Klingeln, Geklirr]).
Genauso ist es mit dem Hören. Bin ich aus der Mitte (der Zusammenhang wird am Ende dieses Kapitels erläutert), dann ist Hören eine Belastung und kein Training. Ich merke es daran, dass Hören für mich anstrengend ist und längeres Zuhören mich ermüdet – auch wenn das, was ich höre, mich interessiert.
Unsere Aufgabe ist also, wieder eine natürliche Ordnung aufzubauen, das heißt, einen gesunden Impuls in ein vorhandenes Ungleichgewicht einzubringen mit dem Ziel, unsere natürliche Wahrnehmung wiederherzustellen.
Die übergeordnete Steuerung für unseren Körper – Die 3 Säulen
Unsere Wahrnehmungsfähigkeit ist verbunden mit einer zentralen Steuerung, die alle Vorgänge der Wahrnehmung, der Verarbeitung und Ausführung der körperlichen Funktionen koordiniert. Diese zentrale Steuerung ist unser bewusstes Sein.
Auf der körperlichen Ebene ist dieses Bewusstsein in unserem Gehirn und Nervensystem repräsentiert, die aus einzelnen Zellen aufgebaut sind. Das Körperbewusstsein arbeitet zum Beispiel auch dann, wenn wir schlafen. Der körperliche Aspekt unseres Gesamtbewusstseins funktioniert weitgehend autonom und instinktiv mit Informationen, die in unseren Genen verankert sind und in erster Linie das Überleben des Organismus sichern sollen.
Unser Bewusstsein besteht auch aus einem weiteren Aspekt, den wir mit Begriffen wie »Seele«, »Geist« und »Verstand« beschreiben. Er ist nicht an den Körper gebunden und kann auch unabhängig vom Körper Erfahrungen machen, wie das zum Beispiel geschieht, wenn wir uns etwas gedanklich vorstellen und ausmalen.
Beide Aspekte des Bewusstseins stehen immer im Austausch und lernen voneinander. Dabei arbeitet unser Bewusstsein ähnlich wie ein Computer mit Programmen (dem Vorgang des Gehens zum Beispiel), um Prozesse zu automatisieren und Informationen zu verarbeiten. Diese Programme können von unserem Bewusstsein neu geschrieben (Neues lernen), umgeschrieben (bestehende Fähigkeiten verändern) oder auch gelöscht werden (eine Fähigkeit nicht mehr beherrschen oder vergessen).
Um unser Bewusstsein als Steuerungsinstanz wieder zu verbessern – und damit die Basis für die Verarbeitung des Hörvorgangs –, müssen wir 3 zentrale Säulen einbeziehen:
• Körpergeometrie: Sie definiert die Balance und Symmetrie unseres Körpers in der vertikalen und horizontalen Struktur. In ihr sind unsere Erfahrungen und Belastungen gespeichert und abgebildet.
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